Grundsätzlich ist die Idee gut. Mutig und frisch, irritierend und provokant, revolutionär im besten Sinn des Wortes. Da stellen sich junge Frauen einfach auf die Straße, entblößen den Oberkörper und zeigen ihren nackten Busen. Was an sich nichts Neues wäre, inmitten von barbusigen Werbeplakaten für Bier und Autos. Aber die Femen-Frauen lächeln nicht. Sie verweigern sich jeder neckischen Pose.
Breitbeinig und selbstbewusst stehen sie da, auf ihre Brüste haben sie mit Acrylfarbe Parolen gepinselt: gegen das Patriarchat, gegen Religion, gegen Ausbeutung. Die Femen-Frauen kennen die Regeln der Mediengesellschaft. Sie wissen, dass man mit Nacktheit Kameras anlockt, und dieses Spiel wollen sie beherrschen. Mein blanker Busen, sagen sie, gehört nicht euch, sondern mir ganz allein. Ich benütze ihn bloß, um damit meine Botschaft zu transportieren. Je mehr Menschen ihn sehen, desto besser.
Amina, 19 Jahre alt, fand das gut. Mutig und frisch, irritierend und revolutionär. Sie wollte eine Femen-Gruppe gründen, daheim in Tunesien. Seit Februar stand sie mit Femen-Gründerin Inna Schewtschenko deswegen in Mail-Kontakt. „Mein Körper gehört mir“, pinselte sie schließlich auf die nackte Haut ihre Oberkörpers, arabische Buchstaben, schwarze Farbe, trotziger Blick; sie fotografierte alles und stellte das Foto auf eine Facebook-Seite.
O ja, es funktionierte. Auch in Tunesien erzeugte der Busen Aufmerksamkeit. Die Schülerin wurde vor zehn Tagen in die Talkshow „Labes“ eigeladen, dort saß sie in Turnschuhen, Jeans und einem schlichten dunkelgrünen T-Shirt. Das Gesicht war verpixelt, das T-Shirt ließ sie an.
Sogar auf einen öffentlichen Platz hätte es Amina mit ihrer nackten Haut beinahe geschafft, allerdings anders als beabsichtigt. Der Salafistienprediger Almi Adel, Chef der Tugendkommission, erließ eine Fatwa, wonach Amina mit „80 bis 100 Peitschenhieben öffentlich gezüchtigt“ und anschließend gesteinigt werden müsse, bis dass der Tod eintritt. Tage später standen Zivilpolizisten vor der Tür ihres Hauses und nahmen die junge Frau mit. Es heißt, sie wurde zur Zwangsbehandlung in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, angeblich auf ausdrücklichen Wunsch ihrer Familie. Es ist unklar, was davon zu halten ist.
Vielleicht wollten die Eltern Amina schützen. Vielleicht hatten sie einfach Angst. Vielleicht war es der letzte Übergriff, der dem Mädchen den letzten Rest an Selbstbestimmung entzog. Nein, jetzt gehört der Körper ganz und gar nicht mehr ihr, der Busen, der Bauch, der Mund, das Gehirn so wenig wie alles andere.
Und die Femen-Frauen, in der Ukraine, in Paris, auf Facebook und sonst wo? Die sind empört, twittern, formulieren Online-Petitionen, veranstalten Aktionstage, und ziehen sich wieder öffentlich aus. Breitbeinig stehen sie da, provokant noch immer. Aber irgendetwas stimmt nicht mehr.
Es gibt nämlich einen Denkfehler in ihrem Provokationsspiel. Eine Frau ist eben immer nur eine nackte Frau. Der Busen mag ihr gehören – aber die Augen, die ihn anschauen, die Kameras, die ihn fotografieren, die Medien, die sich daran aufgeilen, die Gerichte, die darüber urteilen – all die gehören halt jemand anderem. So wie die Handschellen, die Schlagstöcke, die Medikamente in der Zwangspsychiatrie. In der Ukraine, in Paris, und in Tunis erst recht.
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Zur Autorin:
Sibylle Hamann
ist Journalistin
in Wien.
Ihre Website:
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2013)
Via: diepresse.com
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