Berlin. Angela Merkel zuckt zusammen und dreht sich hektisch weg. Nur kein Foto mit diesen nackten Brüsten, scheint die Bundeskanzlerin zu denken. Etwas ungelenk versucht sie, unter einer Absperr-Kordel durchzuschlüpfen. Sekunden zuvor haben Femen-Frauen in Berlin ihre Brüste entblößt. Merkel lächelt den Zwischenfall am Donnerstagabend auf einem Sommerfest von Film- und Fernsehproduzenten professionell weg. Doch die Aktivistinnen der Frauenrechtsgruppe Femen haben es wieder einmal geschafft. Ihre Oben-Ohne-Fotos - auch ohne Merkel - sind überall.
Und solche Fotos häufen sich: bei Heidi Klums Finalshow von „Germany’s Next Topmodel“, auf dem roten Teppich der Berlinale, beim Weltwirtschaftsforum. Merkel hat bereits Bekanntschaft mit Protestaktionen der Femen gemacht: Im April stürmten fünf entblößte Frauen in Hannover auf die Kanzlerin und den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu. Die Spektakel dauern jedes Mal nur Sekunden, dann haben Sicherheitsleute die Frauen abgedrängt.
Doch die nackten Brüste ziehen auch in Sekunden die Blicke an. Lenken sie nicht von der Botschaft ab? Das glaube sie nicht, sagt Femen-Aktivistin Theresa Lehmann. Ihr Protest habe schon Steine ins Rollen gebracht. Auf dem Produzentenfest in Berlin hat er zumindest neugierig gemacht. „Ich finde das interessant“, sagt Schauspielerin Christine Neubauer. Sie habe die Schrift aber nicht lesen können. „Da waren die Herren schon dazwischen gesprungen.“
„Frauen sind noch immer Sklaven“, begründete die selbsternannte „Sextremistin“ Alexandra Schewtschenko vor kurzem ihren barbusigen Kampf. Aktivistin Josephine Witt, die in Tunesien im Gefängnis sitzt, sagte „Zeit Campus“, die Brüste seien ihre Waffen gegen Menschenhandel, die Romantisierung der Sexindustrie und „hinterwäldlerische Familienpolitik in Deutschland“. Neuerdings ziehen die Femen auch gegen Islamismus und die angebliche Unterdrückung muslimischer Frauen ihre T-Shirts aus.
Unter den Frauen, für die sie kämpfen, gibt es aber nicht nur Freunde. Mit ihren radikalen Aktionen wie dem „Topless Jihad Day“ (Tag des Oben-Ohne-Heiligen-Krieges) haben sie den Zorn von muslimischen Frauen auf sich gezogen. Die Facebook-Gruppe „Muslim Women against Femen“ hat bereits mehr als 11 500 Anhänger. Die haben genug davon, dass westliche Feministinnen muslimischen Frauen ihre Werte auferlegten. Lehmann verteidigt: „Den Glauben an sich verurteilen wir nicht, sondern die Tatsache, dass Menschen unterdrückt werden“.
Nach dem Protest gegen Prostitution in Hamburg gab es offene Briefe gegen Femen. Mit ihren Sprüchen „Sexindustry is fascism“ und der KZ-Toraufschrift „Arbeit macht frei“ hätten die Aktivistinnen gründlich daneben gegriffen. Hamburger Feministinnen kritisierten eine „unfassbare Analogie von Holocaust und Sexarbeit“. Prostituierte seien keine „wehrlosen Opfer, die wohl nur darauf warten, dass sie von barbusigen Fackelträgerinnen mit Hakenkreuzbinden befreit werden“.
Jetzt machen die Femen also Angela Merkel zur Zielscheibe ihrer Aktionen. Die Bundeskanzlerin setze sich zu wenig für im Ausland inhaftierte Aktivistinnen ein, begründet Lehmann. Auf ihrer Facebook-Seite erntet die Organisation Kritik: „Merkel ist ein positives und mutmachendes Beispiel für Emanzipation“, schreibt eine Nutzerin. „Diese Aktion schreit nach Populismus.“ Fest steht auch: Je prominenter das Angriffsziel, desto größer die Aufmerksamkeit für Femen. Und: Bald ist US-Präsident Barack Obama in Berlin.
dpa/frs
Via: waz-online.de
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