NZZ Online, 12. Juni 2012, 10:15
Polizisten lsen Ende Mai eine Femen-Protestaktion auf und nehmen Frauen in Gewahrsam.
(Bild: Reuters)
Fr die Euro hoffen nicht nur die ukrainischen Behrden auf viele Fans. Auch die Prostituierten des Landes versprechen sich gute Geschfte. Das Sexgeschft ist jedoch ein Problem mit gewaltigen Schattenseiten.
Rudolf Hermann, Prag
«Die Leute werden sich am Fussball freuen und keine Zeit fr Sex haben», ist Markiyan Lubkivskiy, der ukrainische Verantwortliche der Euro 2012, berzeugt. Er usserte sich in diesem Sinne kurz vor dem Turnierstart, als er sich auch bemhte, die Medien zu einem Moratorium fr negative Nachrichten anzuhalten, bis das Fussballfest vorber sei.
In schiefem Licht erschien die Ukraine dabei vor allem wegen der Berichterstattung ber den Umgang der Staatsmacht mit der inhaftierten Oppositionsfhrerin Timoschenko. Doch mit dem Nherrcken des Grossanlasses wurden auch Berichte hufiger, dass sich nicht nur Scharen Fussballfans fr die Euro rsteten, sondern auch eine Armee von Prostituierten. Damit aber kam ein Thema in den Fokus, das man im offiziellen Kiew gerne ausblendet.
Verkrustetes Rollenbild
Schon seit Jahren macht dabei die ukrainische Frauen- und Brgerrechtsgruppe Femen mit spektakulren Kampagnen darauf aufmerksam, dass die Euro einen substanziellen Anstieg der Prostitution bringen und das Image ukrainischer Mdchen als leicht zu habender Girls zementieren werde. «Die Ukraine ist kein Bordell», lautet einer der Protest-Slogans der umtriebigen Gruppe junger Akademikerinnen, die sich bei ihren Kundgebungen jeweils bis zur Grtellinie entblssen und es mit dieser Art Manifestation zu internationaler Bekanntheit gebracht haben.
Die Femen-Damen stellen sich mit ihren Aktionen gegen Rollenbilder, die in der ukrainischen Gesellschaft immer noch tief verankert sind. Prsident Janukowitsch hatte im letzten Jahr am Davoser Weltwirtschaftsforum mit der Bemerkung brilliert, der Frhling sei fr Investoren eine gute Zeit, in die Ukraine zu kommen, weil die hbschen ukrainischen Mdchen sich dann leichter zu kleiden anfingen.
Und der Kiewer Bildungsminister Tabatschnyk liess sich unlngst mit dem Befund vernehmen, erfolgreiche Akademikerinnen seien meist weniger hbsch als andere Frauen. Es berrasche ihn nicht, dass viele Ukrainerinnen den Nutzen von Erziehung implizit infrage stellten. Schliesslich sei die Ukraine das Land mit den schnsten Mdchen.
Mit dem Bild einer Gesellschaft, das Mnnern die Rolle von Machern zuschreibt, whrend Frauen vor allem sexy zu sein haben, sind Janukowitsch und Tabatschnyk jedoch nicht allein. Ein Spaziergang an einem lauen Frhsommerabend ber den Kiewer Prachtboulevard Chreschtschatyk oder im Charkiwer Schewtschenko-Park zeigt ein weibliches Publikum, bei dem berwiegend die Abstze hoch, die Ausschnitte tief und die textilen Verhllungen sprlich sind.
Wachsendes HIV-Problem
Was die Prostitution betrifft, ist diese angesichts verbreiteter Armut in der Ukraine nicht selten eine Verzweiflungstat von Frauen, namentlich wenn sie aus Landgebieten stammen, wo es wenig Arbeitsmglichkeiten gibt – sofern sie sich denn selber entschieden haben und nicht einem kriminellen Ring in die Hnde geraten sind. Menschenrechtsorganisationen wie La Strada fhren einen schwierigen Kampf gegen den Menschenhandel.
Medien zitierten die Schtzungen eines Sprechers der Kiewer NGO «HIV/Aids Alliance», der die Zahl der Prostituierten auf 60'000 bis 90'000 bezifferte. Das sei weit mehr als die rund 12'000, von denen die Regierung ausgehe.
Statt wie offizielle Stellen Missstnden so zu begegnen, dass man ihre Existenz negiert (ein Vertreter des Innenministeriums erklrte vor Pressevertretern, vor vier Jahren htten die Fussballfans in sterreich und der Schweiz «keine Zeit» fr Sex gehabt), will die «HIV/Aids Alliance» rund eine Million Kondome verteilen. Die Ukraine hat weltweit eine der hchsten Infektions- und Neuinfektionsraten, und Aids ist eine tickende Zeitbombe.
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Via: urnerzeitung.ch
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