Nacktproteste
31. Mai 2013 22:12 Uhr,
Reinhard Mohr
| Aktualisiert 22:12
Femen-Frauen stören Heidis Model-Show. Man kann sie nicht mehr sehen, meint Publizist Reinhard Mohr.
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„Sei heiß, sei sexy!“, ruft Deutschlands TV-Domina Heidi Klum ihren „Mädchen“ gerne zu, wenn die Straffung der Pobacke den Perfektionsansprüchen nicht genügt. Beim Finale von „Germany’s Next Topmodel“ in der Mannheimer SAP-Arena nahmen zwei Aktivistinnen der Gruppe „Femen“ die Aufforderung allerdings ganz wörtlich: Für ein paar Sekunden stürmten sie mit nackten Brüsten auf die Bühne, bevor sie abgeführt wurden. So konnten viele Zuschauer erst später lesen, was in schwarzer Farbe auf den nackten Oberkörpern stand: „Heidi Horror Picture Show“ und „Sadistic Show“.
Auf der Internetseite von „Femen“ ist die Rede von einer „Krankheit der sadistischen Drecksschleuder“, von einem „Fleischfest aus Kotze, Blut und Tränen“, das den „Zwang zur Bulimie und Anorexie“ verstärke. Zugegeben: Millionen Menschen sehen das nicht viel anders und schalten deshalb erst gar nicht ein. Auch jenseits aller Debatten über „Sexismus“ ist es eine Geschmacksfrage, ob man seine kostbare Lebenszeit für stundenlange Trash-Inszenierungen langbeiniger Minderjähriger verwenden will. Dazu kommt der Abnutzungseffekt.
Abgenutzt aber haben sich auch die vermeintlich spektakulären Nacktproteste von „Femen“. Längst gehen sie in der allgemeinen Bilderflut unter. Und: Nackte Frauenbrüste in der Öffentlichkeit sind auch nicht mehr ganz so sensationell wie vor fünfzig Jahren. Das Prinzip Provokation funktioniert eben nur in bestimmten Situationen – und für gewisse Zeit. Davon könnten Rainer Langhans und Uschi Obermaier ein Lied singen. Das berühmte „Stern“-Foto mit den nackten Popos der Kommunarden von 1967 wäre heute nicht mal mehr ein schlechter Gag: Einfach nur zum Gähnen.
Dabei hat die im April 2008 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew gegründete „Femen“-Gruppe durchaus ihre Verdienste. Ihr Protest gegen die postkommunistische Diktatur, die sexuelle Ausbeutung von Frauen und patriarchalisch-religiöse Machtstrukturen ist gerade in den autoritären Nachfolgestaaten der Sowjetunion absolut berechtigt. Dazu kommt: Wo die Meinungsfreiheit nur auf dem Papier steht, können provokative und überraschende Formen des Widerstands gewiss etwas bewirken. Fantasievolle und ironische Aktionen haben schon oft mehr Eindruck hinterlassen als endlose politische Forderungskataloge.
Klar: Es geht um öffentliche Aufmerksamkeit. Dennoch müsste auch den „Femen“-Frauen aufgefallen sein, dass etwa Wladimir Putin nur noch belustigt grinste, als bei der Eröffnung der Hannover-Messe im April ein paar Halbnackte durchs Bild liefen. Das Gleiche gilt für Aktionen gegen Berlusconis „Bunga Bunga“ oder das Berliner „Barbie-Haus“: Nach kurzer Aufregung verpufft die Sache.
Die wahre Provokation findet derweil ganz woanders statt. Zum Beispiel im Talkshow-Studio von Anne Will, wo zuletzt eine komplett verschleierte Muslimin ihren religiösen Fanatismus als demokratische Toleranz verkaufen darf. Und alle schauen zu.
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