Sie steht in Paris, halb nackt und sehr blond. Es ist Nacht, und nur die Scheinwerfer einiger Autos setzen ihre Politik ins rechte Licht. Wie ihre Arme ein Transparent übers Köpfchen recken, das sie mit einigen Blumen schmückt. Schwarz auf weiß hat sie geschrieben: „Wir sind nicht käuflich.“ Von Hand. Ein wenig improvisiert.
Der nackte Protest der Alexandra Schewtschenko, 23, ist eine spontane Aktion. Eigentlich ist sie im Februar in die französische Hauptstadt gereist, um sich als Model für ein französisches Journal fotografieren zu lassen. Die Freizeit nach Sonnenuntergang nutzt sie nicht etwa für eine Erkundungstour durch die Stadt. Sie tut das, wofür sie und die anderen Feministinnen der Gruppe Femen weit über Kiew hinaus bekannt geworden sind: Sie geht oben ohne auf die Straße.
Eine andere Femen-Frau protestiert vor dem Haus von Dominique Strauss-Kahn gegen die Sex-Eskapaden des Ex-IWF-Chefs. Alexandra setzt sich auf den Champs-Élysées in Szene. Sie zeigt Sex-Appeal – um, wie sie sagt – „gegen die europäische Sex-Industrie zu protestieren“.
Seit der Gründung im Jahr 2008 war Femen schon gegen vieles. Gegen Wahlfälschung und Wladimir Putin. Gegen Sextourismus. Im November 2011 gegen Frauenfeindlichkeit der Kirche vor dem Vatikan in Rom. Im Januar 2012 gegen den Weltwirtschaftsgipfel in Davos. Und jetzt, im Februar, in Paris gegen die Sex-Industrie. Die Frauen fahren nackte Brüste auf als schweres Geschütz, um Aufmerksamkeit zu erzielen.
Seit ihrem 17. Lebensjahr kämpft Alexandra Schewtschenko, die Blonde mit der Modelfigur, an vorderster Front „für die Rechte der Frau“. Als Schülerin lernte sie Femen-Gründerin Anna Guzol kennen: „Da merkte ich, dass ich etwas bewegen kann.“ Zunächst pendelte sie mit den langsamen S-Bahnen nach Kiew zu den Femen. Als ihr das Pendeln zu viel wurde, zog sie in die ukrainische Hauptstadt. Zuvor studierte sie Wirtschaftswissenschaften.
Alexandra Schewtschenkos Eltern waren von den Nacktaktionen zunächst so entsetzt, dass sie die Tochter in die Wohnung einsperrten: „Du bleibst hier!“ Nach zähen Verhandlungen brachte Alexandra ihren Vater, einen Offizier, auf ihre Seite und konnte zurück nach Kiew. „Meine Mutter“, sagt sie, „träumt bis heute, dass ich schnellstens heirate, Kinder bekomme und meinem Mann Borschtsch koche. Aber genau gegen dieses Frauenbild kämpfe ich!“
Beim ersten hüllenlosen Auftritt machte sie sich Sorgen, die eigentlich gar nicht zu einer Feministin passen: „Ich hatte Angst, weil meine Brüste nicht so groß sind, wie ich sie gern hätte. Ich fürchtete, dass man uns deshalb nicht ernst nimmt.“
Zumindest bei der Polizei in ihrer Heimat ist das nicht der Fall. Jedes Mal, wenn sie sich entblößen, werden die Femen-Frauen festgenommen. In Weißrussland verschleppten KGB-Männer drei Aktivistinnen nach einer Protestaktion in einen Wald und übergossen sie mit Öl. Sie drohten, die Frauen anzuzünden – und ließen sie dann ohne Telefone, Dokumente, Geld in der Wildnis stehen.
Schewtschenko kann das nicht abschrecken. Sie selbst musste zu Hause in Kiew mehrmals für ein bis zwei Tage ins Gefängnis. „Es war eiskalt, stank, und die Eisenbetten waren hart. Am Anfang war es schlimm, aber danach ist es okay: Wenn man weiß, was einen erwartet, kann man es ertragen.“
Alexandra Schewtschenko lacht, wenn sie solche Sätze sagt.
„Einmal haben wir nach der Festnahme auf der Wache einen Notruf mitbekommen. Eine junge Frau wollte die Polizei alarmieren, dass ihr betrunkener Vater mit dem Messer auf die Mutter losgeht.“ Auch beim dritten Anruf reagierten die Beamten nicht und machten sich nur lustig, erinnert sich Schewtschenko: „An solche Momente denke ich vor jeder Aktion. Dann weiß ich, dass mein Einsatz notwendig ist. Dann geht die Angst wie von allein weg!“
Vorbehalte von Feministinnen, dass Femen auf dieselben Waffen setzt wie der Feind, also der Mann, lässt Schewtschenko nicht gelten: „Im Krieg sind alle Mittel recht! Wenn wir uns nicht ausziehen würden, würde unsere Aktionen doch niemand wahrnehmen. Das Ausziehen ist Notwehr!“
Manche Männer sehen das offenbar genauso: Finanziert werden die hauptberuflichen Femen-Kämpferinnen wie Alexandra von männlichen Sponsoren. Dazu verkaufen sie Bilder – etwa „Brustdrucke“: Sie bemalen ihre weiblichen Rundungen mit Farben und drücken sie dann wie Stempel auf Papier.
Ist der Kampf mit dem nackten Busen wirklich ein Ausdruck von Emanzipation? Femen-Gründerin Anna Guzol ist auf solche Fragen vorbereitet. „Im Gegensatz zu den Feministinnen von einst wollen wir nicht den Männern nacheifern und gleichziehen, wir bekennen uns zu unserer Sexualität, zu unserer Weiblichkeit“, antwortet sie. „Nur wollen wir selbst über Sexualität bestimmen und sie nicht von Männern instrumentalisieren lassen!“
Via: focus.de
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