Wien/Kiew. Über die Entmachtung des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch ist die Femen-Chefin Inna Schewtschenko erfreut. "Ich bin sehr stolz auf die Ukrainer und die Ukraine", sagte sie am Dienstag im APA-Gespräch. Die Europäische Union kritisierte sie für ihr zögerliches Einschreiten angesichts der Eskalation: "Wäre die EU schneller gewesen, hätten nicht so viele Menschen sterben müssen."
Dass die EU monatelang abgewartet und auf die diplomatische Karte unter Androhung von Sanktionen gesetzt habe, empört die 23-jährige Schewtschenko, die sich im Rahmen ihrer feministischen Bewegung "Femen" mit Oben-Ohne-Protestaktionen, der Solidarisierung mit der russischen Punk-Band Pussy Riot und ihrer Flucht aus der Ukraine nach Frankreich einen Namen gemacht hat. "Immerhin haben die Schritte der Union dann dazu geführt, dass Janukowitsch gegangen ist." Die EU hätte ihre Aktionen aber schon vor den brutalen Zusammenstößen setzen und somit viele Todesopfer verhindern können.
Auch wenn Janukowitsch nach Monaten des Protestes am geschichtsträchtigen Kiewer "Euromaidan" die Flucht ergriffen hat, zeigt sich Schewtschenko die Zukunft ihres Heimatlandes betreffend nur vorsichtig optimistisch: "Ich mache mir keine Illusionen, dass diese Revolution große Veränderungen mit sich bringt."
Eines der wichtigsten Resultate sei zwar der Abgang des "Diktators" Janukowitsch, "aber die Gesichter im Parlament sind alle gleich geblieben, schon seit der Unabhängigkeit der Ukraine vor über 20 Jahren", sagte Schewtschenko. "Die Oligarchen führen nach wie vor das Land, wir haben es mit exakt den gleichen Politikern wie vor der Revolution zu tun."
Das zweite wichtige Ergebnis der Proteste sei, dass die ukrainischen Politiker sich nun vor der eigenen Bevölkerung fürchteten. "Kein einziger Politiker würde sich jetzt trauen, offen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammenzuarbeiten", sagte die Aktivistin. Auch wenn Russland im Hintergrund agieren könne, sieht sie dessen Einflussmöglichkeiten stark eingeschränkt.
"Eine dreckige Politikerin"
Von den drei Oppositionsführern unterstütze sie keinen wirklich. Julia Timoschenko, die Chefin der Vaterlandspartei, sei zwar charismatisch und habe viel politische Erfahrung zu bieten, aber man kenne ihre Machenschaften und "korrupten Verwicklungen". "Sie ist eine dreckige Politikerin", so Schewtschenko. Und die ukrainische Bevölkerung habe genug davon. "Sie wurde zwar unter Jubelrufen am Maidan empfangen, aber auch von mehreren Gruppen ausgepfiffen", erklärte sie. Dass Timoschenko die für Mai angesetzten Präsidentschaftswahlen für sich entscheiden könne, bezweifelt die Aktivistin: "Die Menschen sind ihr gegenüber einfach nicht mehr so euphorisch."
An die Fähigkeit des ehemaligen Boxweltmeisters Vitali Klitschko und seine Partei Udar (Schlag, Anm.), das Land zu führen, glaubt Schewtschenko nicht. "Klitschko hat keinerlei politische Erfahrungen, er ist ein Boxer", betonte sie. "Und er ist definitiv nicht derjenige, der das Land retten und aus der Krise führen kann." Zudem habe sie als Chefin von Femen ein weiteres Problem mit ihm, denn Klitschko wollte die Prostitution per Gesetz legalisieren. Ein Grund für Femen, ihn nicht zu unterstützen, da die ihre Bewegung unter anderem gegen die Ausbeutung von Frauen kämpfe.
Als "sehr beunruhigend" bezeichnete Schewtschenko den dritten im Bunde, Oleg Tjagnibok mit seiner rechtsgerichteten Partei Swoboda. Die nationalistischen Strömungen im Land irritierten sie sehr, sagte die Aktivistin. Tjagnibok gieße nur noch mehr Öl ins Feuer.
Sie warnte vor einem Aufstreben des Nationalismus und betonte hierbei die Verantwortung der EU: "Ich glaube, Europa muss dieses Phänomen zur Kenntnis nehmen und schnellstmöglich etwas dagegen unternehmen", so Schewtschenko. Die EU solle neue Politiker, "frisches Blut" unterstützen, das wünsche sich auch die ukrainische Bevölkerung. Sonst werde das Land in einigen Jahren wieder von heftigen Protesten gegen die alte politische Riege erschüttert, prophezeite sie.
Im Dezember 2013 galt eine von mehreren Protestaktionen Schewtschenkos der ukrainischen Führung. Gemeinsam mit vier anderen Aktivistinnen urinierte sie vor der ukrainischen Botschaft in Paris auf Fotos des mittlerweile entmachteten Präsidenten Janukowitsch. Auf Schewtschenkos Körper stand in großen Lettern geschrieben "Janukowitsch Piss Off", wie auf einem auf Youtube veröffentlichten Video der Nachrichtenagentur AFP zu sehen war.
Schewtschenko ist eine der Protagonistinnen im österreichischen Dokumentarfilm "Everyday Rebellion", für den Arman und Arash Riahi heuer bei der Berlinale den "Cinema for Peace"-Preis gewannen.
Femen wurde 2008 in der Ukraine gegründet, ist aber mittlerweile auch über ihre Grenzen hinaus bekannt und aktiv. Schewtschenko war 2012 aus der Ukraine geflüchtet, weil sie als Unterstützung für die Punk-Band Pussy Riot in Kiew ein christliches Kreuz abgesägt hatte. In Frankreich baute sie eine Femen-Zentrale und ein "internationales Trainingszentrum" auf. Anlässlich eines ORF-Drehs zur Serie "Herr Ostrowski sucht das Glück" hielt sich Schewtschenko für zwei Tage in Wien auf.
Via: wirtschaftsblatt.at
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