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Polizistenhandschuhe auf nackten Mädchenkörpern. Mit solchen Bildern wurde die ukrainische Frauenrechtsgruppe Femen bekannt. Jetzt haben die Aktivistinnen in Paris ein Trainingszentrum eröffnet. Interessierte bekommen dort Lektionen in lautem Schreien und Protest-Marketing.
Die Brüste von Inna Schewtschenko sind klein und fest. Sie wogen nicht, sie hüpfen nicht, sie drängen sich nicht auf. Man kann sie auf Facebook sehen, auf den Straßen von Paris, in Frankreichs Eliteuniversität Sciences Po. Man kann auch diese Geschichte mit ihnen beginnen.
All das ist völlig in Ordnung, denn die Brüste von Inna Schewtschenko sind dann gerade nicht dazu da, um Männern zu gefallen. Sie sind ihr Arbeitsgerät, und sie sind natürlich auch der Grund dafür, dass Journalisten an diesem Novembertag ins Kulturzentrum Lavoir moderne nach Paris gekommen sind. Hier hat die ukrainische Frauenrechtsgruppe Femen vor zwei Monaten ihr erstes internationales Trainingszentrum aufgemacht. Nun trainierten die Frauen zum ersten Mal offiziell. In einer Art Bootcamp wollen sie zu "Soldatinnen" werden.
Ohne ihre Brüste würde das mit der Aufmerksamkeit wohl nicht funktionieren. Mit ihnen funktioniert es verdammt gut. So gut, dass man leicht mal vergisst, worum genau es eigentlich noch mal geht.
Sie wollen nicht sexy sein, sondern irritieren
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Dass Menschen sich für ihre Überzeugungen ausziehen, ist nicht immer zielführend. Um ein Zeichen zu setzen, genügt es. Gegen Zensur, Fleischkonsum, Putin und Fußballer, die ihre Tore nicht treffen zum Beispiel. Die Frauen von Femen ziehen sich seit zwei Jahren aus. Sie sind gegen politische Willkür, das Patriarchat, die Sexindustrie und gegen Religion, weil mit ihr die Unterdrückung der Frau einhergehe.
Es gibt sie seit 2008, vier junge Frauen haben die Gruppe in Kiew aufgebaut, als erste feministische Bewegung in der Ukraine. Als sie angezogen protestierten, hat niemand hingeschaut. Dann gingen sie in Bikinis auf die Straße. Die Leute schauten. Seitdem ist das Prinzip klar. Wenn Femen sich ausziehen, sagen sie, wollen sie nicht sexy sein, sondern irritieren. In Westeuropa, wo es eine lange Tradition des Nacktprotests gibt, gelingt ihnen das nicht immer so gut.
Der Lavoir moderne ist ein gelbes Gebäude im Norden von Paris, drinnen hängt ein Poster, auf dem steht "Ziehen wir uns aus, Musliminnen". Vor der Tür riecht es nach blutigem Fleisch, reifem Obst, in der Auslage eines Imbiss schrumpelt Trockenfisch. Hier lässt Frankreich locker, es pulsiert wie Afrika, und das allein ist gut für Femen, schon die Örtlichkeit ist eine Provokation.
Im Dachzimmer des Lavoir sitzen nun 20 Frauen im Kreis, es gibt einen Tisch mit Lockenstab und Lippenstiften, ein zerwühltes Bett, ein Poster von der Aktivistin Schewtschenko, 22. Die Frauen sind zwischen 20 und 40 Jahre alt, sie tragen Sporthosen für das Protesttraining, das gleich beginnt, und T-Shirts auf den "Sextremism" steht, sie lachen. Es könnte die Umkleide von "Germany's Next Topmodel" sein. Modehefte liegen herum, Femen-Frauen haben sich für Elle ausgezogen und das Gesellschaftsmagazin Technikart.
Eine der Pariser Studentinnen, die auf dem Cover posieren, starrt auf ihr Bild, springt auf und zieht ihr T-Shirt hoch. Schaut nach unten. "Kann ja nicht sein", sagt sie. "Die haben meine Brüste größer gemacht!" Photoshop also, worum ging's noch mal?
Es ist an diesem Tag fast egal. Als die Frauen in den Trainingsraum gehen, sind die Kameras schon da. Sie klicken, als Inna Schewtschenko den Frauen beibringt, wie man richtig schreit. Eine nach der anderen stellt sich vor die Gruppe, die Arme hoch, die Beine hüftbreit, ein Plakat in der Hand und brüllt: "Nudity is freedom", klick, "Poor because of you", klick, "Freedom for political prisoners", klick klick. Dann fällt eine der Aktivistinnen über einen Fotografen, der hinter ihr am Boden liegt.
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Via: sueddeutsche.de
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