Femen zum Frauentag – Weil wir nackt sind, hört man uns zu

Blanke Brüste, klare Botschaften:  Die Femen-Aktivistinnen protestieren gegen Diktatoren und gesellschaftliche Missstände, sie kämpfen für Frauenrechte und sie tun es nackt. Im Interview erklären Irina Khanova, Teresa Lenoard und Hellen Langhorst, die Mitbegründerinnen von Femen Germany, warum sie diese Protestform gewählt haben, warum sie den Aufschrei im Netz trotzdem wichtig finden und wie sie mit der Kritik an ihren Aktionen umgehen.

Wofür steht Femen?
Teresa: Femen fordert die Abschaffung des Patriarchats. Wir kämpfen für die Gleichberechtigung von Frauen und für die Freiheit aller Menschen. Unser oberstes Ziel ist, dass alle Menschen für sich selbst entscheiden können und niemand anderem gehören.
Irina: Wir kämpfen auch gegen die Unterdrückung von Frauen durch Religion und gegen Diktaturen.

Das ist ein weites Feld. Entsprechend groß auch die Bandbreite an Aktionen. Femen hat in Berlin gegen NPD-Treffen protestiert, in Rom gegen Homophobie, in der Ukraine gegen Präsident Janukowitsch. Ist das nicht etwas beliebig?
Hellen: Der Zusammenhang sind die Menschenrechte. Wir können uns nicht auf eine Sache beschränken, weil alle so wichtig sind.
Teresa: Es geht immer um Machtverhältnisse und um Ungerechtigkeiten und darum, dass Menschen Leid zugefügt wird.

Aktivistinnen der ukrainischen Protestgruppe Femen haben am Sonntag in Kiew gegen einen möglichen Besuch des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko beim Endspiel der Fußball-Europameisterschaft protestiert. Die fünf Frauen wurden festgenommen. Oben ohne, mit Sturmhauben und Bärten demonstrierten sie vor dem Olympiastadion der ukrainischen Hauptstadt, wo am Abend das Finale zwischen Spanien und Italien ausgetragen werden sollte.

Foto: dpa

Welche Themen sind für die deutsche Gruppe am wichtigsten?
Irina: Für uns in Deutschland ist das wichtigste Thema die Sexindustrie, die wir zerstören möchten, weil sie Frauen zu Objekten macht, weil der Menschenhandel ein katastrophales Ausmaß angenommen hat.
Teresa: Wir sind für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Damit hängen viele Dinge zusammen. Zum Beispiel das Abtreibungsrecht.

Dass Sie nackt protestieren, hat das auch etwas mit Selbstbestimmung zu tun?
Teresa: Auch. Zuerst einmal wollen wir provozieren. Einfach, indem wir das Signal senden: schaut her, hier  passiert etwas anderes als eine normale Demo, bei der du nur mitläufst. Wichtiger ist aber, dass wir unseren Körper benutzen, um die Bedeutung des weiblichen, nackten Körpers zu verändern. Der weibliche Körper ist sonst immer nur Opfer und Objekt der Begierde. Indem wir protestieren und dabei stark und aggressiv auftreten, verändern wir dieses Bild.

Indem Sie Bilder Ihres entblößten Körpers um die Welt gehen lassen, geben Sie doch die Kontrolle ab.
Teresa: Aber wir kontrollieren, was diese Bilder zeigen. Wir entscheiden vorher, wie sie aussehen sollen, und inszenieren unsere Aktionen entsprechend.

Aber was hinterher mit den Bildern geschieht, bestimmen Sie nicht mehr.
Teresa: Wir können natürlich nicht verhindern, dass Bilder von uns für falsche Zwecke missbraucht werden. Dass jemand die ins Netzt stellt und drunter schreibt: „geile Titten“.

Haben Sie keine Angst, dass Ihr Körper zu sehr ablenkt von den Inhalten, für die Sie streiten?
Teresa: Ohne unsere Topless-Aktionen würde sich doch überhaupt niemand für das interessieren, was wir sagen. Zum Beispiel unsere Berlinale-Aktion zur Genitalverstümmelung. Dieses Problem ist für viele hier weit weg. Wir machen darauf aufmerksam, dass auch deutsche Frauen ins Ausland gebracht und verstümmelt werden und beschützt werden müssen, und dass der Staat nichts dafür tut.
Hellen: Und man kommt doch auch nicht drum herum, die Message auf unseren Brüsten zu sehen. Die Nacktheit und die Botschaft gibt es ja nur zusammen.

Mitglieder der Frauenrechtsgruppe Femen protestierten zum Start der Berlinale am Rande des roten Teppichs gegen die weibliche Genitalverstümmelung. Die Polizei nimmt vier Frauen kurzfristig in Polizeigewahrsam (07.02.2013).

Foto: REUTERS

Femen wurde 2008 in der Ukraine gegründet. Die Organisation setzt sich für die Rechte von Frauen ein, protestiert gegen Unterdrückung durch politische Diktaturen und Religion.

Seit 2010 treten die Aktivistinnen bei ihren Protesten nackt oder mit entblößtem Oberkörper auf. Der Blumenkranz im Haar ist außerdem zum Markenzeichen geworden.

Einer internationalen Öffentlichkeit wurde die Gruppe durch Proteste gegen die ukrainische Regierung während der Fußball-EM bekannt. In Deutschland erregten sie mit umstrittenen Aktionen gegen Zwangsprostitution Aufsehen.

Inzwischen gibt es Femen-Gruppen in Brasilien und Frankreich, weitere Ableger entscheiden in den Niederlanden, Italien und Ägypten. Weltweit hat die Bewegung nach eigenen Angaben rund 300 Mitglieder.

Die deutsche Gruppe existiert seit 2012 und zählt derzeit etwa 15 feste Mitglieder. Zu erreichen ist sie über Facebook oder per Mail an femengermany@ gmail.com.

Femen finanziert sich selbst über Spenden und umfangreiches Merchandising.

Zur Gruppe gehören auch Männer. Die sind jedoch bei den Aktionen nicht zugelassen, sondern arbeiten im Hintergrund.

Die öffentliche Aufmerksamkeit ist also erst einmal am wichtigsten, danach kommt die sachliche Diskussion?
Teresa: Uns geht es darum, möglichst viele Leute zu erreichen, ihr Bewusstsein zu erweitern, ihr Interesse zu wecken für unsere Themen, sie zu überzeugen, dass sich etwas ändern muss. Für diesen friedlichen Weg ist mediale Aufmerksamkeit nun einmal sehr wichtig.
Hellen: Wir wollen auch die erreichen, die sich nicht schon explizit mit diesen Themen beschäftigen und das sonst auch nicht tun würden.

Sich vor laufen Kameras auszuziehen ist etwas anderes, als Flyer zu verteilen. Wie fühlen Sie sich dabei?
Irina: Für mich war es ein großer Schritt.
Teresa: Für mich auch.
Irina: Dafür braucht man Mut.  Es nicht einfach, und jede Frau muss für sich entscheiden, ob sie diesen Weg gehen will.
Hellen: Wenn ich mit Kleidern die gleiche Aufmerksamkeit erreichen würde, würde ich mich nicht ausziehen.
Irina: Mit dem nackten Körper zeigen wir natürlich auch eine gewisse Verletzlichkeit, wenn wir auf der Straße stehen bei Minusgraden und alle Blicke auf uns gerichtet sind. Unsere Botschaft ist: Wir sind nackt und damit ungeschützt. Wir tragen keine Waffen, unser Protest ist friedlich.

Ihre Aktionen haben Ihnen bereits viel Kritik eingetragen. In Hamburg hat Femen mit Hitlerbärtchen auf der Reeperbahn gegen „Sexfaschismus“ protestiert und bei einer ähnlichen Aktion auch KZ-Sprüche wie „Arbeit macht frei“ verwendet. Daraufhin wurde Ihnen vorgeworfen, den Holocaust und die NS-Gräuel verharmlost zu haben…
Teresa: Wir waren teilweise selbst erstaunt über das Echo, über diesen Shitstorm, und haben uns daraufhin gefragt, ob diese Aktion die richtige war. Natürlich war das eine Provokation. Aber wir stehen dazu. Wir wollten auf die unerträgliche Situation von Sexsklavinnen und Zwangsprostituierten in deutschen Bordellen hinweisen, und wir wollten dazu einen Vergleich herstellen, der schockiert. Wir haben nicht beabsichtigt, den Holocaust zu banalisieren.

Die Femen-Aktivistinnen sind, so scheint es, alle jung und gutaussehend. Zufall?
Teresa: Das ist keine Absicht. Wir nehmen alle Personen auf, die sich vom Patriarchat unterdrückt fühlen, egal welche Haarfarbe jemand hat, ob er große Brüste hat oder kleine. Dass viele von uns den annähernd dem verbreiteten Schönheitsideal entsprechen, zeigt nur, dass wir selbst nicht frei sind von den gesellschaftlichen Strukturen, gegen die wir kämpfen. 
Irina: Je zufriedener man mit seinem Körper ist, desto leichter ist es auch, ihn selbstbewusst einzusetzen. Inzwischen gibt es bei uns aber auch ältere Frauen oder dickere, die das tun. Dass in den Berichten über unsere Aktionen trotzdem meist die Bilder von den blonden, schlanken Aktivistinnen zu sehen sind, liegt vielleicht daran, dass die meisten Zeitungen und Zeitschriften von Männern gemacht werden.
Teresa: Ein bisschen spielen wir natürlich auch damit zu zeigen, Feminismus, das sind nicht nur die alten, verbitterten, hässlichen Frauen mit den kurzen Haaren.

Trotzdem nennen Sie sich selbst Feministinnen. Was bedeutet das für Sie?
Teresa: Feminismus ist nicht irgendeine Sonderwissenschaft. Für mich geht es um Menschenrechte und Frauen sind die Hälfte der Menschheit. Und zwar die, die in allen Gesellschaften benachteiligt ist.
Irina: Feminismus ist für uns wie eine große Armee, und wir sehen uns als Kriegerinnen, die ganz vorne an der Front stehen.

Sie verstehen sich also als Teil einer Bewegung?
Irina: Es gibt seit den 70ern oder 80ern keine richtige Aktivisten-Frauenbewegung mehr, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Wir sind die einzigen, die auf die Straße gehen und unsere Meinung sagen.

Die Aktivistinnen von Femen nutzen den EU-Russland-Gipfel, um in Brüssel gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu protestieren.

Foto: dpa

Die aktuelle Sexismus-Debatte wurde stark von Netzfeministinnen und Bloggerinnen wie Anne Wizorek befeuert. Deren Arbeit ist nicht so plakativ wie Ihre, aber ihre Bedeutung können Sie doch nicht leugnen, oder?
Teresa: Diese Arbeit ist sicher wertvoll. Sie ist viel theoretischer, erreicht aber auch nur einen kleinen Kreis. Wir dagegen setzen auf kurze, klare Messages, eher wie Spotlights. Das passt dazu, dass es viele Leute sehen sollen.

Aber der Twitter-Aufschrei hat doch auch viele Menschen erreicht. Wirkt eine solche Debatte nicht nachhaltiger auf eine Gesellschaft als Ihre Aktionen?
Teresa: Ich würde das gar nicht gegeneinander aufrechnen wollen, welche Bewegung nachhaltiger oder besser ist. Ich finde gut, was da passiert ist. Da hat sich eine Möglichkeit gezeigt, wie der Alltag von Frauen mit dem etwas hochgestochenen Netzfeminismus verbunden werden kann.
Irina: Wir respektieren auch, dass ausführliche Bücher und Artikel über Feminismus und Frauenrechte geschrieben werde. Jede Frau soll sich entscheiden, wie sie sich engagieren möchte. Wir haben diesen Weg gewählt und hoffen, dass wir den Anstoß geben können, damit sich noch mehr für den praktischen Kampf entscheiden.
Teresa: Es ist ja nicht so, dass wir hier ein Patriarchat haben, und da hauen wir kräftig drauf, und dann ist das weg.  Das sind Strukturen, die es seit Jahrhunderten gibt. Die weit verbreitet sind, sowohl in privaten Beziehungen als auch in politischen Strukturen. Sie zu beseitigen ist ein großer Kampf. Insofern ist jeder Ansatz wertvoll und notwendig. Je mehr Leute verschiedene Sachen machen, je breiter die Bewegung ist,  desto besser.

Wie gehen Sie persönlich im Alltag mit Sexismus um?
Teresa: Ich versuche immer möglichst laut zu reagieren und deutlich zu sagen: Das geht so nicht. Auch wenn ich beobachte, dass so etwas anderen passiert, in der Öffentlichkeit.
Hellen: Man darf das in diesem Moment nicht ignorieren. Sonst wird das Problem allgemein ja nicht wahrgenommen. Wenn man schweigt, gibt man den Männern außerdem nicht die Möglichkeit, Ihr Fehlverhalten zu erkennen und zu ändern.

Das klingt so, als würden sie das Kämpferische, Selbstbewusste, das Ihren Aktionen innewohnt, auch in Ihren privaten Alltag übertragen.
Irina: Ich glaube, dass Sexismus auch im Alltag erst aufhört, wenn die Frau nicht mehr als Ware wahrgenommen wird.
Teresa: Der Spruch, „das Private ist politisch“, ist zwar aus den 70ern. Aber er gilt immer noch.

Via: fr-online.de


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