Es war ein Sieg, für den er einen sehr hohen Preis zahlen muss: Mit 63,6 Prozent der Stimmen verwies Wladimir Putin (59) bei den russischen Präsidentschaftswahlen am Sonntag seine vier Gegenkandidaten deutlich auf ihre Plätze. Mit diesem Ergebnis machte er jeden zweiten Wahlgang unnötig.
Der Widerstand gegen „Zar Putin“ ist aber noch längst nicht am Ende. Ganz im Gegenteil: Weil es am Sonntag Tausende Wahlrechtsverletzungen gab, gingen gestern erneut Tausende Russen auf die Straße. Allein in Moskau demonstrierten 20.000 gegen Putin. Der Präsident greift gegen seine Kritiker hart durch: Rund 500 Demonstranten – darunter zahlreiche prominente Putin-Gegner – wurden von der Polizei festgenommen.
Expertin: „Die Mittelschicht lehnt Putin entschieden ab“
Susanne Scholl, Russland-Expertin und jahrelang für den ORF in Moskau tätig, erklärt gegenüber ÖSTERREICH: „Die neue russische Mittelschicht ist zutiefst enttäuscht von Putin und lehnt ihn entschieden ab.“ Gerade in der Hauptstadt musste Putin so auch massive Wählerverluste in Kauf nehmen (siehe Grafik unten). Ein weiterer Aspekt, der die Protestwelle erneut anheizt: Obwohl keiner von Putins Gegenkandidaten wirklich eine Chance hatte, soll es bei der Wahl massive Manipulationen gegeben haben.
„Das war kein echter Wahlkampf. Wer am Schluss der Gewinner dieser Wahl wird, stand von Anfang an fest“, erklärte Wahlbeobachter Tonino Picula von der OSZE.
Wahlscheine wurden bündelweise und bereits ausgefüllt in die Urnen geworfen, etliche Russen gaben gleich zweimal in unterschiedlichen Wahlsprengeln ihre Stimme für Putin ab – insgesamt wurden 5.758 Fälle von Wahlbetrug festgestellt. „Diese Wahl war nicht fair“, urteilt die OSZE.
Putin selbst will von diesen Gerüchten nichts wissen. Noch am Wahltag sprach er von „offenen und ehrlichen“ Wahlen und einem „sauberen Sieg“. Offiziell fordert er die Aufklärung aller angeblichen Manipulationen.
Trotz erheblicher Eingriffe und Manipulationen schafft es Putin nicht, sein letztes Wahlergebnis aus dem Jahr 2004 (71,3 Prozent) zu erreichen. Und: Er hat viele Russen verprellt. Noch mehr als bereits zuvor.
ÖSTERREICH: Was sind die Gründe für den Wahlsieg von Wladimir Putin?
Susanne Scholl: Sehr einfach – Putin hat schon vor vielen Jahren jeden ernst zu nehmenden Konkurrenten ausgeschaltet. Und er konnte – wieder einmal – auf die sogenannten administrativen Ressourcen zurückgreifen. Vor diesem Hintergrund ist sein Wahlsieg eigentlich eine Niederlage – denn 2000 und 2004 hat er mit wesentlich höheren Stimmenanteilen gewonnen.
ÖSTERREICH: In welchen Bevölkerungsgruppen hat Putin den größten Rückhalt, wo den geringsten?
Scholl: Das lässt sich nur schwer genau beziffern – sicher ist nur, dass die neue russische Mittelschicht von ihm zutiefst enttäuscht ist und ihn entschieden ablehnt.
ÖSTERREICH: Im Vorfeld gab es viele Proteste gegen Wladimir Putin – wird durch seinen Wahlsieg die Opposition an Stärke gewinnen oder verlieren?
Scholl: Weder noch. Ich nehme an, dass die Proteste weitergehen werden – in welcher Form lässt sich jetzt noch nicht vorhersagen.
ÖSTERREICH: Dmitri Medwedew hat für Putin auf eine zweite Amtszeit verzichtet. Was wird er nun künftig in Russland für eine Rolle spielen?
Scholl: Der Plan scheint zu sein, dass Dmitri Medwedew wieder Regierungschef wird. Es kann aber auch sein, dass er einen anderen hohen Posten erhält. Er wird für seine Funktion als Platzhalter in den vergangenen vier Jahren sicher belohnt werden. (mud)
Via: oe24.at
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