"Jede Religion unterdrückt"

Alexandra Schewtschenko, Mitgründerin der Protestgruppe Femen, bei einer Oben-ohne-Aktion.corbis
Alexandra Schewtschenko, Mitgründerin der Protestgruppe Femen, bei einer Oben-ohne-Aktion.corbis

"Aus Angst um ihr Leben und ihre Freiheit" seien sie außer Landes "geflohen", haben die drei Gründerinnen der Feministinnen-Gruppe Femen, Alexandra Schewtschenko, Anna Huzol und Jana Idanowa, die Ukraine verlassen. Das teilte die Gruppe am Samstag auf ihrer Webseite mit. Sie würden ihre Aktivitäten in Europa fortsetzen. Auslöser für die Flucht war eine polizeiliche Vorladung zur Zeugenbefragung. Dabei sollte es um einen Waffenfund im Femen-Büro in Kiew gehen. Am Dienstag waren laut Polizei in dem Büro eine Pistole und eine Granate gefunden worden. Femen vermutet, dass die Waffen der Gruppe untergeschoben wurden. Die Ermittler leiteten eine Untersuchung wegen illegalen Waffenbesitzes ein. Darauf stehen in der Ukraine bis zu fünf Jahre Haft. Bisher ist in dem Fall laut Polizei aber niemand angeklagt.

Femen wurde 2008 in der Ukraine gegründet. Die Gruppe setzt sich für Frauenrechte ein und hält immer wieder Oben-ohne-Proteste ab. In den letzten Tagen war Femen auch mit internen Streitereien in die Schlagzeilen geraten. Die Gruppe hat ihre bekannteste arabische Aktivistin, die Tunesierin Amina Sboui, verloren. Sie warf Femen Islamfeindlichkeit vor. Alexandra Schewtschenko wiederum sagt im Interview, Amina Boui wäre "nicht stark genug gewesen".

"Wiener Zeitung": Frau Schewtschenko, die Tunesierin Amina Sboui ist bei Femen ausgetreten. Sind Sie enttäuscht über ihren Weggang?

Alexandra Schewtschenko: Wir haben leider aus den Medien von Aminas Austritt erfahren, es gab vorher keinerlei Anzeichen dafür, dass sie mit Femen nichts mehr zu tun haben will - im Gegenteil: Amina war eine unserer radikalsten Aktivistinnen.

Sboui wurde wegen einer Oben-ohne-Aktion verurteilt und saß im Gefängnis, momentan wartet sie auf den Beginn eines weiteren Prozesses.

Wenn man wie Amina ständig solchem Druck ausgesetzt ist, dann ist es sehr schwierig, Widerstand zu leisten. Sie ist nicht stark genug für unsere Taktik, den "Sextremismus". Amina ist nicht stark genug, der islamischen Gesellschaft Widerstand zu leisten.

"Mein Name soll nicht mit einer islamfeindlichen Organisation in Verbindung gebracht werden", begründet Sboui ihren Austritt. Es gelte, die Religion eines jeden zu respektieren.

Es ist traurig, dass gerade Amina so etwas sagt. Dies zeigt, dass sie unter falschen Einflüssen steht, ich mache mir Sorgen um sie. Zu Beginn hat sie uns erzählt, sie sei Antiislam-Aktivistin, sie war radikaler als wir anderen. Wir sind auch radikal, aber nicht so wie Amina. Deswegen zeigt mir ihre Kritik jetzt, dass sie unter dem Einfluss von irgendwem steht, vielleicht sogar Drogen nimmt.

Wer sollen denn diese ominösen Einflüsterer sein?

Es gibt in Tunesien momentan viele Strömungen, die Femen ablehnen. Ich denke, es sind Freunde von ihr. In der jetzigen Situation ist es schwierig zu unterscheiden, wer wirklicher Freund ist und wer in Wirklichkeit für die Regierung arbeitet.

Musliminnen auf der ganzen Welt fühlen sich von Femen bevormundet.

Es gibt auch Musliminnen, die uns unterstützen. Diejenigen, die uns Islamophobie unterstellen, leiden unter dem Stockholm-Syndrom. Sie denken, sie würden ihre Herkunft, ihre Tradition, ihren Glauben verteidigen. Aber was soll Unterdrückung mit Religion und Kultur zu tun haben?

Wer gibt Ihnen das Recht, mit Ihrem Oben-ohne-Aktivismus für alle Musliminnen sprechen zu wollen?

Femen ist nicht nur gegen den Islam, Femen ist gegen jede Religion. Denn jede Religion unterdrückt Frauen - und Amina weiß das ganz genau, wir waren uns da immer einig. Deswegen zeigt mir ihr plötzlicher Meinungswechsel, dass irgendwer sie negativ beeinflusst. Es ist beschämend, dass unsere Aktivistinnen ihr Leben für Amina riskiert haben, ihretwegen im Gefängnis saßen und sie jetzt so etwas über Femen sagt. Aber natürlich würden wir niemals etwas machen, was ihr schaden könnte, wir verzeihen ihr und akzeptieren ihre Meinung.

Sboui kritisiert auch, dass sie trotz mehrerer Nachfragen keine befriedigenden Antworten darauf bekommen habe, wie sich Femen finanziere. Sie wolle nicht Mitglied einer Bewegung sein, die mit Geldern zweifelhafter Herkunft arbeite.

Amina hat uns immer wieder nach Geld gefragt, wir konnten ihr keines geben. Immer wieder haben wir ihr gesagt, dass wir ihr Leben nicht finanzieren können, dass wir kein Geld haben. Wir leben von Spenden, alles ist transparent.

Via: wienerzeitung.at


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