Eine Frau mit nackten Brüsten bringt mit einer überdimensionalen Motorsäge ein Holzkreuz zu Fall, als Aktion gegen den Einfluss der Kirche in Osteuropa. Eine Gruppe Amerikaner nimmt hüpfend die Wallstreet ein, so wollen sie auf die Wirtschaftskrise und den Einfluss der Banken aufmerksam machen. Einige Syrer beschreiben Tischtennisbälle mit dem Wort Freiheit und lassen diese dann von einem Hügel aus, eine Stadt hinunterspringen.
Das sieht genauso aus wie in dem Werbevideo für den Sony Bravia Fernseher. Überhaupt sind fast alle Rebellionen (nie werden sie Revolutionen genannt, das klingt viel zu gewalttätig) medienwirksam in Szene gesetzt. Der Film setzt sich aus videoclipartigen Sequenzen weltweiter gewaltloser Rebellionen zusammen. Dabei werden einem Wir-Botschaften zugeflüstert, als handle es sich um ein besonders aufregendes Geheimnis. In der Dunkelheit des Kino wird das Publikum so zum Komplizen. „Wir sind viele, wir setzen uns für etwas ein, komm, mach mit!“
Das mag auf den ersten Blick einladend wirken, aber der Film wirft den arabischen Frühling in den gleichen Topf, wie die FEMEN-Bewegung in Osteuropa, die Vorläufer des Bürgerkriegs in Syrien, mit der Occupy-Bewegung in den USA, den Indignados in Spanien und der grünen Revolution im Iran, und suggeriert so, dass es eine universale Bewegung gibt, die auf der ganzen Welt aktiv ist und sich für die gleichen Werte einsetzt.
Dazwischengeschnitten werden Botschaften von Reverend Billy, einer Kunstfigur von Schauspieler Bill Talen, der eine eigene Protestbewegung gegründet hat: die Church of Stop Shopping. Nun verteufelt er medienwirksam mit viel Pathos den Kommerz. Die Erzählstimme des Dokfilms wiederum besteht aus einer von einem Chor vorgetragenen Anklageschrift an die Mächtigen dieser Welt.
Wenn all diese Bewegungen eines gemeinsam haben, dann dass sie von der Mittelschicht getragen werden. In den westlichen Industrieländern hat das Selbstverständnis dieser Bürgerklasse nach der Wirtschaftskrise in 2007 arg gelitten und nun fordert sie den gewohnten Lebensstandart zurück. In den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens wiederum geht es der Mittelschicht um Freiheit und Menschenrechte, Konzepte wie sie Westeuropa definiert.
Dabei wird Freiheit gleichgesetzt mit individueller Freiheit zu konsumieren, was und wie man will. Das ist ironisch, da der Film genau dieses Verhalten anklagen will. Irritierend hinzu kommen die ständigen Wir-Botschaften. Wenn von „wir“ gesprochen wird, stellt sich automatisch die Frage, wer hier ausgeschlossen wird?
Und schliesslich will der Film die alltägliche Rebellion als coolen Akt verstanden wissen. Er sagt uns, du kannst morgens shoppen und nachmittags trotzdem gegen die aktuellen Zustände auf die Strasse gehen, bevor du abends in der angesagten Bar abhängst. Aber wie das so ist mit (Mode-)Trends: heute sind sind sie in und morgen schon wieder out!
Ziviler Ungehorsam als Antwort auf staatliche Ungerechtigkeit ist ein löbliches Ansinnen. Aber bei diesem Film von Mittelstandsvertretern über den rebellierenden Mittelstand für ein mittelständiges Publikum stellt sich die Frage, ob nur mittelständische Ziele breite Zustimmung verdienen? Wenn man an die sozialen Probleme denkt, welche sich in Ferguson gerade exemplarisch zeigen, fragt man sich, wo hier die mittelständische Unterstützung bleibt mit ihren Trommeln, ihren nackten Brüsten und ihrer coolen Attitüde?
Bewertung: 2 von 5
- Titel: EVERYDAY REBELLION
- Land: ÖSTERREICH, SCHWEIZ
- Regie: ARASH ARMAN T. RIAHI
- Verleih: VICA FILM
- Start: 11. September 2014
Fotos von VINCA FILM
Via: students.ch
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