Journalistin Kübra Gümüşay im dieStandard.at-Interview zu den jüngsten Femen-Protesten: "Man kann nicht alle Musliminnen wie Unterdrückte behandeln"
Islam und Feminismus erscheint vielen noch immer als unvermeidlicher Gegensatz. Muslimische Feministinnen? "Die gibt es. Ein Ding, oder? Mit Kopftuch" schrieb Kübra Gümüşay in ihrer taz-Kolumne, mit der sie wie viele andere auf prominente Zweiflerinnen an dieser Vereinbarkeit reagierte. Die Gruppe Femen hatte bei dem von ihnen initiierten "Topless Jjihad Day" (dieStandard.at: Zeigen Femen Muslimas den Mittelfinger) Bilder inszeniert und Slogans verbreitet, die von zahlreichen MuslimInnen und muslimischen Feministinnen als islamophob und rassistisch kritisiert wurden. Dieser Konflikt zwischen Femen und MuslimInnen ist eine Neuauflage einer Diskussion, bei der in den 00-Jahren vor allem Alice Schwarzer mit Aussagen wie "Das Kopftuch ist die Flagge des Islam" im Zentrum stand. Dass wir auch jetzt wieder vorwiegend darüber reden, was Frauen tragen, anstelle, was sie für ein gleichberechtigtes Leben brauchen, ist für Kübra Gümüşay ein herber Rückschritt. Im Gespräch mit dieStandard.at erklärt sie, warum westliche Feministinnen als "selbsterkorene Befreierinnen" für Frauen manchmal nur wenig leisten und dass viele offenbar noch immer nicht verstanden haben, dass Feminismus nicht immer gleich aussieht.
dieStandard.at: Auf der Facebook-Seite "Muslim Women Against Femen" heißt es mehrmals "Femen, wir brauchen eure Hilfe nicht." Stimmt das? Die Tunesierin Amina Tyler und die Ägypterin Alia al-Madhi wurden in ihren Heimatländern wegen ihrer Kunst massiv bedroht. Solidarität von Feministinnen aus anderen Ländern ist doch sehr wichtig.
Kübra Gümüşay: Ich glaube nicht, dass damit die Aktionen für Amina Tyler gemeint waren. Das war vielmehr ein "Wir brauchen euch nicht, um emanzipiert zu sein"; eine Reaktion auf die Bevormundung durch Femen, die sie mit Aussagen wie, Sklaven hätten nie gewusst, dass sie Sklaven seien, zum Ausdruck brachten.
Wir brauchen natürlich AktivistInnen, die aufstehen und sagen "So geht das nicht!". Ich würde bei den Femen-Protesten für Amina mitmachen, wenn ich wüsste, dass es tatsächlich um Inhalte geht. Aber sich vor eine Moschee der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft zu stellen, die überhaupt keinen Bezug zu Tunesien hat und die noch dazu in vielen islamischen Land verfolgt wird - das war für mich ein Signal, dass es weder um Inhalte geht, noch darum, effektiv und zielgerichtet Amina Tyler zu helfen. Es geht nur um ein Tamtam und Medienaufmerksamkeit. Auch ihr Protest gegen Prostitution mit Sätzen wie "Arbeit macht frei" - das sind verwendete Symbole, die mich immer mehr zweifeln lassen.
dieStandard.at: Aber der Tamtam und die Überspitzung - das ist ja genau die Strategie von Femen.
Gümüşay: Und dann? Wenn es nur darum geht, dann ist das für mich keine unterstützenswerte, nachhaltige feministische Arbeit – mir fehlt da die Arbeit an der Basis. Ausschließlich barbusig durch die Gegend laufen und sich Sätze auf die Brust schreiben, die auf jeden Fall knallen - das allein reicht nicht und ist eher mit Slacktivismus vergleichbar: So jetzt klick ich mal auf "like", auf die und die Seite und bin nun voll der Aktivist.
dieStandard.at: In Medienberichten zur Kritik an Femen wurde der Konflikt als "Westen gegen Muslime" beschrieben, in dem unter anderem Islamfeindlichkeit mit der Wahrung von Frauenrechten legitimiert wird. Zeigt die aktuelle Variante dieses Konfliktes, dass dieser noch immer sehr polemisch verläuft?
Gümüşay: Eigentlich dachte ich, wir hätten das hinter uns. Feminismus muss nicht immer gleich aussehen, dennoch haben wir alle etwas gemeinsam, wofür wir gemeinsam kämpfen: Das Recht auf Wahlfreiheit, auf ein selbstbestimmtes, emanzipiertes Leben – ohne Gewalt. Gleichberechtigung. Es ist dabei irrelevant, ob eine Frau dabei einen Bikini oder ein Kopftuch trägt. Ich empfand das als Konsens unter jungen Feministinnen. Als ich aber die jüngsten Femen-Proteste sah und die Art und Weise, wie das diskutiert wurde, war das ein Rückschlag. Das wirft uns um viele Jahre zurück.
Dennoch sind sich viele – vor allem junge – Feministinnen im Klaren, dass wir das alles schon einmal hatten. Sie sehen das, wie ich auch, recht unaufgeregt und erkennen, dass es sich um rückständige Ansichten aus früheren Debatten handelt.
dieStandard.at: Vor allem in Deutschland setzt sich Alice Schwarzer stark gegen religiöse Argumente ein.
Gümüşay: Ich habe mit 19 angefangen, mich mit Feminismus intensiv zu beschäftigen. Vorher dachte ich, Feminismus bedeutet, ich darf mir Achseln und Beine nicht rasieren, darf kein Kopftuch tragen, darf nicht muslimisch sein und muss meine Religion hinter mir lassen. Damit hätte ich mich niemals identifizieren können. Erst mit der mädchenmannschaft.de (eine feministische Bloggerinnen-Gruppe, die auch die Kolumnen von Kübra Gümüşay veröffentlicht, Anm.) habe ich gelernt, dass es um das selbstbestimmte Leben geht. Und das kann vielfältige Formen haben, wie beispielsweise den islamischen Feminismus. Es gibt also nicht nur diese eine Alice-Schwarzer-Version, die ich davor nur kannte.
dieStandard.at: Musliminnen machten klar, dass sie nicht wollen, dass Femen für sie spricht. Doch abgesehen davon sind Musliminnen in der Öffentlichkeit auch nicht gerade auf vielfältige Weise repräsentiert, weil vor allem Akademikerinnen für sie sprechen.
Gümüşay: Feminismus ist kein Begriff des alltäglichen Lebens, deshalb braucht es meist eine gewisse Bildung oder Umgebung, um sich als Feministin zu bezeichnen. Deshalb sind viele muslimische bzw. islamische Feministinnen auch Akademikerinnen. Und ja, in dieser Debatte sprechen meist gebildete muslimische Frauen – denn die Debatte und die Beteiligung an sich setzt Bildung voraus. Ohne Bildung kommt man nicht zu Wort. Das heißt aber nicht, dass dahinter nicht auch starke muslimische Frauen ohne klassische Bildung stehen. Ich habe vor zwei Jahren einige Monate in Ägypten gelebt, wo es sehr viele starke muslimische Frauenrechtlerinnen und Feministinnen gibt. Viele davon bezeichnen sich nicht so, sind es aber ihrem Handeln nach sehr wohl. Sie mögen zwar nicht mit einem feministischen oder intellektuellen Vokabular ausgestattet sein, leisten aber gewaltige und beachtliche Frauenarbeit.
dieStandard.at: Sie sagen, im Feminismus muss es um die Wahlfreiheit gehen. Die Freiheit, Hijab oder Kopftuch zu tragen, oder dass Kleidung nichts darüber aussagt, wie frei frau ist, das sind wichtige Argumente für Musliminnen. "Freiheit" ist in Bezug auf Kleiderordnungen schon ein großes Wort, oder?
Gümüşay: Natürlich sind wir alle beeinflusst. Sprachlich, visuell, durch die Sozialisierung und das Leben in einer Gesellschaft - egal in welcher. Wir wachsen schließlich nicht isoliert und frei von gesellschaftlichen Normen auf. Freiheit ist letztlich immer das, was uns als solche suggeriert wird. Aber man kann sich dessen bewusst sein und fragen: Welche Wahl habe ich und mit welchen Sanktionen werden wir konfrontiert, wenn wir bestimmte Entscheidungen treffen? Das ist es, was wir diskutieren müssen und diskutieren.
dieStandard.at: Wissen westliche Feministinnen zu wenig über die verschiedenen Gründe, warum Frauen ein Kopftuch tragen wollen?
Gümüşay: Man muss in erster Linie gar nicht wissen, warum eine Frau ein Kopftuch oder einen Minirock trägt. Es geht nicht darum, wie sich eine Frau kleidet. Es geht darum herauszuarbeiten, in welchem sozialen Geflecht Frauen leben oder mit welchen Hürden sie im Alltag konfrontiert werden. Der Fokus auf Symbole und Kleidung lenkt von den eigentlichen Problemen ab. Ich negiere ja nicht, dass es Frauen gibt, die dazu gezwungen werden, ein Kopftuch zu tragen. Doch diese Frauen werden auch zu anderen Dingen gezwungen. Angenommen, wir "schaffen" es, dieser Frau das Kopftuch abzunehmen, ist sie dann frei? Nein, die sozialen Zwänge, die sie primär unglücklich machen oder unterdrücken, bestehen weiterhin. Dafür ist aber manche selbsterkorene "Befreierin" vielleicht zufrieden, weil sie jetzt visuell das Kopftuch nicht mehr stört - letztendlich hat man dann aber keine Arbeit für diese Frauen geleistet. Man hat sich nur selbst geholfen.
Die ignorante Einstellung "Was für mich gut ist, ist auch für andere gut" funktioniert bei diesen Kleidungsfragen nicht. Wir alle sind unterschiedlich sozialisiert und uns machen unterschiedliche Dinge glücklich. Eine gute Frauenarbeit begleitet Frauen, aber sie zwingt ihnen nicht einen bestimmten Lebensentwurf auf.
dieStandard.at: Wie könnten unterschiedliche Protestformen besser nebeneinander existieren?
Gümüşay: Zunächst einmal sollte man sich nicht gegenseitig den Verstand absprechen. Und Differenzierungen und Facetten erlauben. Ja, populistisch arbeiten macht vieles einfacher, aber so ist die Realität nun mal nicht, sie ist kompliziert. Wenn man meint, wie Femen, sich für muslimische Frauen einzusetzen, die zu etwas gezwungen werden, kann man nicht alle muslimischen Frauen wie Unterdrückte und Unmündige behandeln. Doch von Femen-Seiten wurde teilweise mit so einer Gehässigkeit agiert, da habe ich Femen gegenüber wenig Vertrauen, dass sie wirklich Frauen helfen wollen. Und das sollte, meines Erachtens, der Hauptmotor sein: Frauen wirklich helfen wollen. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 28.4.2013)
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