Nachhilfe im Brustentblößen

Eine Brust ist eine Brust ist eine Brust? So simpel ist die Sache nicht. Eine „protestierende Brust“ sei etwas gänzlich anderes als nackte Frauenbrüste auf Billboards oder im TV, sagt Alexandra Schewtschenko. „Eine protestierende Brust ist immer eine Provokation“, erklärt die Kiewer Aktivistin, die auf ihrem blondiertem Langhaar einen Blumenkranz trägt. „Unsere Brüste gehören uns, und keinem Geschäftsmann.“

Alexandra Schewtschenko gehört zu „Femen“, einer Gruppe junger Frauen, die auch im eisigen ukrainischen Winter ihre Brüste entblößen, um so gegen Demokratiedefizit, zu hohe Gaspreise oder Sextourismus zu protestieren. Mit ihrem Oben-ohne-Protest sind sie zu Lieblingen der Medien geworden – und zum Schrecken der Behörden, die ihren Überraschungsauftritten hilflos ausgeliefert sind.

Gestern entblätterten sich die Aktivistinnen lediglich nach der Pressekonferenz und fertigten für ihre Gastgeber – die Grünen – einen „Boob Print“ an: einen farbigen Brustabdruck. Dann erteilten sie in einem Workshop Nachhilfe im Brustentblößen, abends traten sie bei einer Diskussion der grünen Frauen auf. „Wir wollen zeigen, wie man das macht: auf die Straßen gehen, sich ausziehen und siegen.“

 

Verkauf von Brustabdrücken

Im vierten Jahr ihres Bestehens sind aus Studentinnen Vollzeitaktivistinnen geworden. „Wir sind 24 Stunden am Tag in Sachen Femen unterwegs“, sagt Alexandras Mitstreiterin Inna. Dennoch seien sie „einfache Mädchen“ geblieben, deren Mütter sich jeden Tag besorgt erkundigten, „ob wir auch warm genug angezogen sind“.

Femen finanziere sich über Spenden, erklären sie, und einen Internetshop, in dem sie „Boob Prints“ (der „erfolgreichste Artikel“), T-Shirts und Becher mit dem kreisförmigen Femen-Logo verkaufen. Parteien hätten versucht, sie zu korrumpieren, ihnen Umschläge mit Geld überreicht, mit der Auflage, dass Femen keine Protestaktionen gegen sie durchführe. „Dem haben wir natürlich nicht zugestimmt“, sagt Alexandra Schewtschenko mit Nachdruck.

 

„Gegen Patriarchat und Gewalt“

Femen sind ein versprengter Teil einer neuen feministischen Internationale, die auf Slut Walks marschiert und abends Burlesque-Shows besucht. Mit diesen Initiativen eint Femen die an frühfeministische Zeiten erinnernde Betonung des Körpers. Theoretisieren ist hingegen nicht das Ding der Ukrainerinnen. Gegen Patriarchat, Unterdrückung und Gewalt, lauten die Slogans. So grundsätzlich, so vage.

Eine der ersten, auch international bekannt gewordenen Femen-Aktionen fand im Februar 2010 statt. Da zogen sie sich im Wahllokal von Viktor Janukowitsch kurz vor dessen Stimmabgabe aus. Der Einzug von Janukowitsch ins Präsidentenamt stand bevor, Femen warnte vor einem „Ende der Demokratie“. Die Mädchen waren noch nicht so geübt im Enthüllen. Sie habe ihren Mantel fallen lassen, das T-Shirt ausgezogen, die Hände in der typischen Femen-Pose mit einem Transparent in die Höhe gestreckt – und dabei ganz auf die Pelzmütze auf ihrem Kopf vergessen, erinnert sich Alexandra Schewtschenko. „Zumindest meine Mutter dürfte beruhigt gewesen sein“, sagt sie und lacht.

Es gibt aber auch weniger lustige Geschichten der „Demokratieerprobungen“, wie die jungen Frauen ihre Aktionen nennen. In Weißrussland, wo Femen im Dezember 2011 gegen Präsident Alexander Lukaschenko demonstrierte, wurden drei Aktivistinnen zunächst vom KGB festgehalten und dann in einem Wald ausgesetzt. Inna zeigt auf die kurzen blonden Stummel, die sie unter ihrem langen, gewellten Kunsthaar trägt. „Man hat mir die Haare abgeschnitten. Sie haben Angst vor uns.“ Seit dem Amtsantritt von Janukowitsch würden sie nach Protesten stets von der Polizei verhaftet. „Im Westen passiert das nicht.“ Entblößte Brüste sind offenbar doch nicht überall gleich provokant.

Femen ist eine feministische Gruppe aus der Ukraine, die mit Oben-ohne-Protesten provoziert. Zuletzt entblößten sich Aktivistinnen auch in Davos, Moskau und im Vatikan. Femen finanziert sich laut eigenen Angaben aus Spenden und dem Verkauf von Merchandise-Artikeln. Info: www.femen.org

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2012)

Via: diepresse.com


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