06.06.13, 08:48
Tunis
Der 19-jährigen Studentin droht monatelange Haftstrafe, weil sie barbusig protestierte. Bundeskanzlerin trifft am Freitag den tunesischen Ministerpräsidenten und will mit ihm unter anderem über Menschenrechte reden.
Foto: AFP
Drei Aktivistinnen der Gruppe Femen protestieren am 29. Mai in Tunis
Tunis. In Tunesien hat am Mittwoch der Prozess gegen drei Aktivistinnen der Frauenrechtsorganisation Femen aus Deutschland und Frankreich begonnen. Unter ihnen ist auch die Studentin Josephine W., 19, aus Hamburg. Doch das Verfahren wurde gleich zu Beginn auf den 12. Juni vertagt. Bis dahin sollen die Angeklagten in Haft bleiben. Ihr Antrag auf Freilassung unter Auflagen sei abgelehnt worden, sagte der Rechtsanwalt Souhaib Bahri.
Der aus Frankreich angereiste Verteidiger Patrick Klugman hatte sich unmittelbar vor dem Auftakt des Verfahrens in Tunis zuversichtlich gezeigt. Die Staatsanwaltschaft werde die Anklage nicht auf Erregung öffentlichen Ärgernisses, sondern auf "unzüchtiges Verhalten" konzentrieren, sagte er. Darauf stehen allerdings auch bis zu sechs Monate Haft.
Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft am Freitag den tunesischen Ministerpräsidenten und will mit ihm über Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit reden, wie Regierungssprecher Steffen Seibert sagte. Ob es um die deutsche Angeklagte gehen soll, ist offen.
In dem Verfahren vor dem Gericht in Tunis sind die drei Femen-Aktivistinnen wegen einer barbusigen Protestaktion am vergangenen Mittwoch angeklagt. Sie hatten vor dem Justizpalast in Tunis gegen die Inhaftierung der 18-jährigen Femen-Aktivistin Amina Sboui demonstriert. Die Tunesierin sitzt seit zwei Wochen in Haft, weil sie gegen eine Versammlung von Salafisten protestiert und auf eine Mauer nahe einem Friedhof in Kairouan das Wort Femen geschrieben hatte. Klugman sagte der Nachrichtenagentur AFP, es gehe in dem Prozess nicht um unzüchtiges Verhalten, sondern um eine politische Botschaft und um Meinungsfreiheit.
Am Dienstag hatte die Polizei in Tunis nach Angaben von Femen eine ukrainische Aktivistin der Organisation in ihrem Hotel festgenommen und des Landes verwiesen. Alexandra Schewtschenko habe ihre angeklagten Kolleginnen bei dem Prozess unterstützen wollen, hieß es. Von den tunesischen Behörden wurde der Vorfall nicht bestätigt. Schewtschenko, eine der führenden Figuren bei Femen, verbreitete in sozialen Netzwerken, sie sei vom tunesischen Geheimdienst gekidnappt und in die Ukraine gebracht worden.
In Tunesien sei es schockierend und gegen das Gesetz, sich öffentlich zu entkleiden, sagte Anwalt Souhaib Bahri zu NDR Info. Nur die Anwälte und Angehörige der Botschaft dürfen die drei besuchen. Die Hamburgerin Josephine W. macht nach Ansicht ihres Verteidigers einen gefassten Eindruck.
Die Nacktproteste in Tunesien waren die ersten bekannt gewordenen in der arabischen Welt. Politisch aktive Frauen in den muslimischen Ländern sehen die Bewegung zweischneidig. Den Frauenprotest unterstützen sie, die Form in der Mehrheit nicht. Das geht aus Internet-Foren und Kommentaren von jungen Politikerinnen aus dem nordafrikanischen Raum hervor.
Die Femen-Bewegung ist in der Ukraine entstanden, als Protest gegen Sextourismus und Ausbeutung von Frauen. Inzwischen gibt es ein "Ausbildungszentrum" in Paris und nationale Ableger. Femen hat bei politischen Gipfeln protestiert, beim Weltwirtschaftsforum in Davos oder bei der Hannover Messe. Dort waren zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin unmittelbare Augenzeugen, als sich Femen-Aktivistinnen auszogen.
In Hamburg gab es Aufregung um eine Femen-Aktion in der Herbertstraße, als Aktivistinnen gegen die Prostitution auf St. Pauli demonstrierten. Sie zeigten Transparente, auf denen "Arbeit macht frei" stand, eine Parole, die von Konzentrationslagern bekannt ist. Einer der Femen-Slogans hieß "Sex-Sklaverei ist Faschismus", ein anderer "Prostitution ist Genozid". Das rief Kritiker auf den Plan, die Völkermord und Prostitution nicht gleichgesetzt sehen wollten.
Kritik an den Femen-Frauen gibt es auch, weil vor allem junge, schlanke Aktivistinnen mit entblößter Brust protestieren. Damit würden die herrschenden Schönheitsideale bekräftigt, heißt es. Auch beim Finale von "Germany's next Topmodel" protestierten Femen-Frauen gegen den vorgeblichen Schönheitswahn der Sendung von Heidi Klum. Sicherheitsleute trugen sie weg, die Regie in der SAP-Arena verhinderte, dass noch mehr Zuschauer die Proteste wahrnahmen. "Heidis Horror Picture Show" hatten sich die Frauen auf ihre Brüste gemalt.
In Hamburg ist eine der führenden Aktivistinnen Irina Khanova, die aus Russland stammt. Sie sagte zu "Spiegel online", die Frauen seien bei ihren Aktionen auch schon von Passanten angegriffen worden und müssten sich verteidigen können. "Wir müssen unsere Message möglichst lange rüberbringen können." Die Aktionen werden von Sicherheitsleuten und Polizisten meistens schnell unterbunden. Die Frauen wehren sich heftig, sodass die bestellten Fotografen mehrere Motive haben. Die in Tunis verhaftete Josephine W. sagte zu ihrem Engagement bei Femen: "Wir sind Teil einer weltweiten Bewegung und wollen in Deutschland globale Probleme ansprechen."
Ein Teil der Inszenierung der Femen-Aktivistinnen dient dazu, Spenden zu akquirieren. Einige Frauen aus der Ukraine haben das Protestieren zu ihrem Vollzeitjob gemacht. Neben den Spenden lebt Femen als Organisation von einem Online-Shop.
Via: abendblatt.de
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