Wie glaubwürdig ist der feministische Kampf von Femen? Ein Dokumentarfilm zeigt einen herrschsüchtigen Macho als Drahtzieher. Die Frauen machen auch das zur PR-Aktion.
Die Nachrichten sind verwirrend: Ein Mann hält sich schöne Aktivistinnen als Sklavinnen! Nein, Feministinnen jagen ihren Unterdrücker zum Teufel! Was in der ukrainischen Aktivistinnengruppe Femen im letzten Jahr in Wahrheit geschehen ist, hängt ganz davon ab, wessen Wahrheit man hört.
Zu den als gesichert geltenden Fakten dürfte gehören, dass Femen nicht nur von Frauen organisiert wurde, sondern dass ein Mann namens Viktor Swjatski mitgemischt hat. Wie seine Rolle tatsächlich aussah, und was das für die Organisation bedeutet, dazu gibt es verschiedene Versionen.
Die Wahrheit der aufgeregten Artikel, die nun eine Enthüllung herausschreien, klingt so: Hinter Femen steht ein Mann, der die Frauen drangsaliert, als Schlampen bezeichnet, sich die Brüste der Anwärterinnen zeigen lässt und dann entscheidet, wer für die Nacktproteste geeignet ist. Der Femen mitgegründet hat, auch, weil er Frauen aufreißen wollte, und dann zum Chefstrategen der Gruppe wurde. Das deckt ein Dokumentarfilm der 28-jährigen Kitty Green auf, die selbst mehr als ein Jahr mit den Femen-Aktivistinnen zusammengewohnt und ihre Aktionen dokumentiert hat.
Die Wahrheit der Femen-Aktivistin Inna Schewtschenko sieht anders aus: Ja, Viktor Swjatski war Teil von Femen, sagt sie am Telefon von Venedig aus, wo sie und weitere Frauen sich am Donnerstag zur Filmpremiere barbrüstig den Fotografen präsentierten. "Am Anfang war er nur ein Unterstützer, wie viele andere Männer und Frauen im Umfeld von Femen", sagt sie. "Doch dann wurde er zum selbsternannten Anführer, der uns unser Verhalten vorschreiben wollte". Deshalb habe Femen ihn vor einem Jahr rausgeschmissen. Sie könne nicht zulassen, dass irgendjemand ihn als Gründer oder Ideologen von Femen bezeichnet. "Er war das wahre Gesicht des Patriarchats", sagt Schewtschenko. Doch die Frauen von Femen hätten jetzt keine Angst mehr, zu diesem Teil ihrer Geschichte zu stehen. "Mit der Wut und dem Hass, den wir dank ihm jetzt in uns tragen, werden wir die Bewegung weiterführen".
Viktor Swjatskis Rolle war schon länger bekannt
In der Wahrheit der Regisseurin Kitty Green, Australierin mit ukrainischen Wurzeln, ist der Film eine "Beichte" der Femen-Frauen, die einen Neustart als wahrhaft feministische Gruppe erst ermöglicht.
Die Wahrheit aus der Sicht von Viktor Swjatski bleibt größtenteils im Dunkeln. Die Femen-Frauen und die Regisseurin sagen, sie könnten keinen Kontakt zu ihm herstellen. In einem Interview von 2009 bezeichnete er sich als "Freiwilliger" bei Femen und als Feminist.
Noch mehr Wahrheitsfetzen finden sich zwischen all diesen Versionen. Während Inna Schewtschenko behauptet, Femen hätte Viktor Swjatski schon vor gut einem Jahr rausgeschmissen, bloggte die Gruppe noch im Juli dieses Jahres auf ihrer Seite über einen Angriff auf Swjatski und bezeichnet ihn als Femens "Analysten" und "Ideologen".
Außerdem ist, anders als viele Reaktionen auf den Film nahelegen, schon lange bekannt, dass Viktor Swjatski bei Femen aktiv ist oder zumindest war. Nicht nur in dem Interview von 2009 trat er auf, auch schon im März dieses Jahres berichtete die Schweizer Sonntagszeitung, dass Femen sich nicht nur aus unbekannten Quellen finanziere, sondern auch von einem Mann, Swjajski, geführt werde. Die Empörung blieb aus.
Egal, welcher Version der Wahrheit man folgt, deutlich wird vor allem, wie zerrissen die Organisation ist. Das zeigt auch die Geschichte Inna Schewtschenkos selbst. Sie packte im vergangenen Jahr ihre Sachen und floh nach Paris, weil sie es mit Viktor Swjatski als Befehlsgeber nicht mehr aushielt, wie sie jetzt ZEIT ONLINE sagt, und startete von dort aus Femen Europa. Dazu kommt das öffentliche Zerwürfnis mit Ex-Femen-Aktivistin Amina Sboui. Femen gab die "Trennung" zwischen der Tunesierin und der Organisation bekannt, nachdem Sboui sich laut Femen "islamistisch" geäußert hatte: Sboui selbst dagegen sagte, sie sei aus der Gruppe ausgetreten, weil sie nicht alle Religionen akzeptiert sah. Außerdem hatte sie auch nach mehrmaligem Fragen keine Antwort erhalten, wie die Gruppe sich finanziere.
Via: zeit.de
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