Sex sells, auch oder gerade in einem streng muslimischen Land. Nun hat die Femen-Bewegung Nordafrika erfasst. Anders lässt sich das Phänomen Alia Elmahdy nicht erklären. Die 20-jährige Kairoer Studentin hat ein Nacktfoto von sich ins Internet gestellt. Seither hauen die Ägypter auf Twitter und Facebook in die Tasten. Ihr Blog, zuvor nahezu unbeachtet, verzeichnet inzwischen über
Infografik
Die SchariaGesetze zu Homosexualität
Alia studiert laut ihrem Facebook-Profil an der Amerikanischen Universität in Kairo Medien- und Kunstwissenschaften. Ursprünglich wollte sie mit ihrem Nacktfoto gegen die Prüderie an ägyptischen Universitäten protestieren, wo Kunststudenten früher mit Aktmodellen arbeiteten – nach Jahrzehnten der schleichenden Islamisierung des öffentlichen Raums ist das nicht mehr möglich. Auf einem der Fotos hat sie ihren Schambereich, ihren Mund und ihre Augen mit einem Balken zensiert und verweist auf die «Zensur unseres Wissens, unseres Ausdrucks und unserer Sexualität». Damit nicht genug: Auf Facebook bezeichnete sie das Kopftuch als «ein Stück Stoff, das für die Versklavung von Frauen steht». In der streng muslimischen Gesellschaft Ägyptens ein Affront ohne gleichen.
Publikum ist gespalten
Alia, die sich selbst als «atheistische, säkulare, liberale, feministische, vegetarische, individualistische Ägypterin» bezeichnet, schenkt ihren Kritikern nichts: «Versteckt Kunstbücher, zerstört nackte archäologische Statuen, dann zieht euch aus und betrachtet euch im Spiegel. Verbrennt euren Körper, den ihr so sehr verachtet, und legt eure sexuellen Komplexe für immer ab, bevor ihr mich mit sexistischen Beleidigungen eindeckt oder mir freie Meinungsäusserung verwehrt», schimpft sie auf ihrem Blog.
Die Reaktionen auf Twitter schwanken zwischen Bewunderung, Verachtung und Spott. Mehr als einmal wird sie als «Hure», «geistig gestört» oder «mediengeil» verunglimpft. Andere beglückwünschen sie für Ihre «mutige Tat». Viele begrüssen ihren Akt, halten ihn aber angesichts des Zustands der ägyptischen Gesellschaft für verfrüht. Demgegenüber stehen zahlreiche Einträge, die eine differenzierte und bisweilen amüsante Debatte erkennen lassen.
«Schlecht belichtet»
Heba Farouk Mahfouz etwa schreibt: «Du forderst das Recht ein, nackt zu posieren, aber kritisierst mein Recht, ein Kopftuch zu tragen. Das macht dich zur Heuchlerin.» Nabila Salem verweist auf das Bild eines nackten Mannes, das Alia ebenfalls auf ihrem Blog publiziert hat: «Warum all die Kommentare über sie? Was ist mit ihm?» Ein anderer Benutzer erinnert an jene Diskussion, die Ägypten seiner Meinung nach dringender führen sollte: «Wer genug hat von dieser Debatte, kann sich wieder Sorgen um die Wahlen machen.» Aley Eladawy argumentiert aus künstlerischer Perspektive: «Die Belichtung ist schrecklich, die Pose nichts Besonderes, das Arrangement ein Desaster. Das ist alles, aber keine Kunst.» Darüber wiederum empört sich Karen: «Es geht nicht darum, ob die Bilder kunstvoll sind oder der Revolution helfen. Hier geht es um persönliche Freiheit.»
Die liberale Opposition, die theoretisch mit den Anliegen Alias sympathisieren müsste, ist alles andere als erfreut. Sie fürchtet, dass die Islamisten die Episode zu ihren Gunsten ausschlachten und die säkularen Kräfte einmal mehr als verwestlicht, degeneriert und sexbesessen darstellen werden. Nachdem der arabische Fernsehsender Al-Arabiya berichtet hatte, Alia sei ein Mitglied der Jugendbewegung «6. April», sah sich diese zu einem öffentlichen Dementi genötigt. «Schande über Al-Arabiya für diesen unglaublichen Fehler», hiess es in der Erklärung. Nicht jeder politische Aktivist – egal ob berühmt oder nicht – sei ein Mitglied der Bewegung.
(kri)
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Via: 20min.ch
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