Kultur
Oxana Shashko, Sasha Shevshenko und Jana Zhdanova sind die Protagonistinnen von Alain Margots Dokumentarfilm «Je suis Femen». Die ukrainischen «Femen»-Aktivistinnen über Beweggründe ihres Engagements, die Situation in der Ukraine und warum sie Angst um ihre Familie haben.
- Die Hauptdarstellerinen Sasha Shevshenko, Oxana Shashko und Jana Zhdanova im neuen Kinofilm «Femen mit Leib und Seele». (pd)
- Quelle:outnow.ch
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Gab es für Sie einen Schlüsselmoment, der Sie politisierte?
Oxana Shashko: Das ist schwierig zu sagen, für mich waren das wohl die Wahlen vom Februar 2010. Damals protestierten wir in Kiew gegen die Farce, dass ein diktatoriales System so tat, als ob die Wählerinnen und Wähler irgendetwas zu sagen hätten.
Sasha Shevshenko: Ja, aber wir waren doch schon früher aktiv, als wir noch in Chmelnyzkyj lebten und als wir darüber sprachen, dass in unserem Land Frauen nicht im politischen Leben repräsentiert waren. Frauen sind schliesslich die Hälfte des Planeten, also sollten sie auch überall präsent sein und die Hälfte aller wichtigen Schaltstellen in Wirtschaft, Politik und überhaupt im öffentlichen Leben sollten mit Frauen besetzt sein.
Jana Zhdanova: Für mich begann es eigentlich schon 2009, als ich anfing, mich gegen den Sextourismus in der Ukraine zu engagieren – aber ich sehe auch dieses Engagement unter dem Aspekt, den Sasha erwähnt hat.
Sie leben seit Ende August 2013 in Frankreich, Sie mussten vor der Repression in ihrem Land flüchten. Wie ist das für Sie, Flüchtlinge zu sein?
O: Als Femen sind wir eine internationale Bewegung, wir haben ja heute Ableger in zahlreichen Ländern. So gesehen, ist es eigentlich nicht so wichtig, wo sich unsere Operationsbasis befindet. Wichtig ist hingegen, dass wir nun wenigstens in einem Land sind, wo wir nicht täglich der Gefahr ausgesetzt sind, umgebracht zu werden.
Sie sprachen anlässlich der Filmpremiere, darüber, dass es für Sie trotzdem nicht einfach ist, Ihre Angehörigen in der Ukraine zu wissen. Wie geht es Ihren Angehörigen derzeit?
O: Es geht ihnen gut, sie sind vor allem heilfroh, dass wir während der Revolution auf dem Majdan nicht mehr im Land waren, denn sie sind sicher, dass wir dann auch zu den Toten gehört hätten.
S: Das sieht meine Familie auch so, ich habe Angehörige, die selber auch bei den Demonstrationen dabei waren. Sie sind jetzt zwar froh, dass Janukowitsch und seine Bande weg sind, aber sie sehen auch, dass die Revolution weitgehend von jenen Bastarden übernommen wurde, die vor Janukowitsch an der Macht waren. Aber sie sind auch optimistisch, dass das nicht so bleiben wird – denn schliesslich war es das Volk auf dem Majdan, dass diese Revolution gemacht hat, und nicht die korrupten Politiker.
J: Ich sage offen, dass ich Angst habe um meine Familie. Im Gegensatz zu Oxana und Sasha komme ich aus der Ostukraine, aus Donezk – und wie explosiv die Lage dort ist, wissen Sie ja wahrscheinlich aus Medienberichten. Ich denke, Putin wird nicht zögern, dort auch einen Krieg zu beginnen, wenn er das für nötig hält.*
Sehen Sie, Oxana und Sasha, diese Gefahr eines Krieges auch so?
S: Der Krieg hat ja bereits begonnen, als Wirtschafts- und Propagandakrieg. Bezüglich letzterem kann ich Ihnen eine Anekdote erzählen: Gestern, nach der Premiere, kamen wir mit einem Festivalbesucher, einem Russen ins Gespräch. Er lebt seit zwanzig Jahren in der Schweiz, er machte den Eindruck eines freundlichen, kultivierten und weltgewandten Mannes. Doch als es um die Lage in der Ukraine ging, war keine Verständigung mehr möglich, da war nur noch der von Putin übernommene Diskurs von den Faschisten und Nazis präsent, die in der Ukraine die Macht übernommen hätten und täglich Russen töteten.
O: Alle unsere Argumente und Einwände waren nutzlos, uns blieb nur noch, irgendwann entnervt zu gehen. Es wirklich erschreckend: Wenn Sie heute russisches Fernsehen einschalten, so hören und sehen Sie dort täglich stundenlang jene Hetze und Propaganda gegen die Ukraine. Dieses Schüren von Hass hat mittlerweile eine Stufe erreicht, die früher den Tschetschenen vorbehalten war: Es sind Terroristen, die vernichtet werden müssen. So werden heute die Menschen in Russland auf einen möglichen Krieg gegen die Ukraine eingestimmt.
Wir haben nun viel über Politik gesprochen. Im Film geht es vor allem um Ihre politischen Aktionen gegen diktatoriale Männer, Sexismus und religiösen Fanatismus. Sind Sie zufrieden, wie Alain Margot Ihren Kampf darstellt und wie er beispielsweise die ganze Polemik um Victor Svyatsky gänzlich ausblendet?
O: «Je suis Femen» ist jetzt bereits der dritte lange Dokumentarfilm, der über uns gemacht wurde, es gab bereits «Naked War» von Joseph Paris und «Ukraine Is Not a Brothel» von Kitty Green. Letzterer lief letztes Jahr am Festival von Venedig, er handelte in Hollywood-artiger Weise unsere Geschichte ab. Und er widmete der Kontroverse um Victor Svyatsky unnötig viel Raum und behauptete, Victor sei unser Chef, er steuere unsere Aktionen. Jeder Regisseur und jede Regisseurin hat eine eigene Sichtweise, Kitty Green hat ihre, Alain Margot hat eine andere – ich kann zu Victor nur das bestätigen, was unsere Mitstreiterin Anna Hutsol in «Je suis Femen» sagt: Er ist einfach ein Mann, der unsere Arbeit unterstützt, er ist ein feministischer Mann.
O: Wir sind ganz normale Frauen, die auch Freunde haben, und Victor ist ein Freund.
J: Das sehe ich auch so.
*Das Interview fand anlässlich der Weltpremiere von «Je suis Femen» am Festival Visions du réel in Nyon am 30. April. statt, also noch vor dem «Referendum» in der Ostukraine.
Interview: Geri Krebs
Via: landbote.ch
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