Femen: Die Oben-ohne-Bewegung, die in der Heimat nicht mehr erwünscht ist

Die ganze Welt schaut zurzeit auf die Ukraine: Es droht Bürgerkrieg, der Konflikt mit den prorussischen Separatisten schwelt, und diesen Sonntag stehen die Präsidentschaftswahlen an. Doch niemand erhofft sich von einem neuen Präsidenten viel Neues, weder vom Oligarchen Petro Poroschenko, der als Favorit gilt, noch von der einstigen Hoffnungsträgerin Julia Timoschenko, die kein hohes Ansehen mehr geniesst. Über der Wahl hängt ohnehin der Schatten jenes Mannes, der die Zukunft der Ukraine nachhaltiger prägen könnte als jede inländische politische Kraft: Wladimir Putin.

Oksana Shachko hat vor sechs Jahren in Kiew die für Oben-ohne-Proteste bekannte Femen-Bewegung mitbegründet. Nun verfolgt sie die Ukraine-Krise von Paris aus, wo sie gemeinsam mit anderen Aktivistinnen im Exil lebt. Sie meint nüchtern: «Uns ist es egal, wer Präsident wird – die Regierung und die Opposition in Kiew werden beide von Oligarchen kontrolliert. Das ist hoffnungslos. Ich bin eher gespannt, wie diese Wahlen ablaufen: Im Osten des Landes führt Putin einen Informationskrieg, und die Separatisten verbreiten seine Propaganda. Zurzeit ist unklar, ob die Menschen dort überhaupt wählen können.»

Shachko selbst reist nicht mehr zurück in ihre Heimat. Sie könnte verschleppt oder gar ermordet werden, ist sie überzeugt. Das hat allerdings weniger mit der aktuellen Krise zu tun als vielmehr mit dem ukrainischen Geheimdienst: Dort sind die Femen-Frauen wegen ihrer regierungsfeindlichen Auftritte längst registriert, und daher operieren sie nun von französischem Boden aus.

Wenn man Oksana Shachko gegenübersitzt, merkt man schnell: Sie meint es ernst. Der Kampf gegen das patriarchalische System, gegen die Ausbeutung von Frauen, gegen Diktaturen, gegen Religionen und gegen die Sexindustrie bestimmt ihr Leben. Dass Shachko dieses Feuer in sich trägt, sah auch der in La Chaux-de-Fonds arbeitende Filmregisseur Alain Margot. Und so entschloss sich der Westschweizer, ihr ein längeres Dokumentarfilmprojekt zu widmen.

Der fertige Film trägt nun den Titel «FEMEN – Mit Leib und Seele» und ist ein einfühlsames, leicht verzetteltes Porträt einer engagierten Frau, die ihre Vorstellungen von Kunst (sie ist Ikonenmalerin) und Politik auf der Strasse zusammenführt. Freimütig erzählt Shachko im Film, warum sie sich für diese Form des Protests entschieden hat und damit ihr ganzes Leben ausfüllt.

Alain Margot beobachtet sie beim Vorbereiten von Aktionen, er filmt ihre Mitstreiterinnen und ihre Familie. Und natürlich ist er dabei, wenn Shachko Co. barbusig und mit lauten Parolen die Ordnung stören und dafür von Ordnungshütern in die Mangel genommen werden.

«Mit meiner Kamera war ich bei diesen Aktionen eine Art Schutzschild», sagt Margot im Interview. «Die Polizisten gingen beim Abführen der Frauen jeweils weniger drastisch vor, wenn sie merkten, dass sie gefilmt wurden.» Auch Shachko bestätigt: «Alain gehörte irgendwann einfach dazu.» Dass sich ein Dokumentarfilmregisseur derart vor Ort einsetzt, ist löblich – aber es entschädigt nicht den Mangel an kritischer Distanz. Margot äussert sich bewundernd über seine aufrechte Gerechtigkeitskämpferin, ohne ihren Kampf auch nur ansatzweise zu hinterfragen.

Wie steht es um interne Meinungsverschiedenheiten bei Femen? Wird die Finanzierung wirklich nur von Sympathisanten getragen? Verändern die Aktionen auf politischer Ebene etwas? Sind sie ausserhalb der Ukraine sinnvoll? Ist es nicht ein Eigentor für die Demonstrantinnen, wenn die Femen-Berichte im Erotikteil der Boulevardpresse erscheinen und dort belächelt werden?

Im Film, der vor lauter Femen-Euphorie manchmal schon fast wie ein Rekrutierungsvideo wirkt, gibts kaum Antworten auf diese Fragen. «Wir wollen die Menschen aufwecken», sagt Shachko, und Alain Margot nickt zustimmend. Nur bleibt bei allen hehren Absichten offen, ob das mit plakativer und militanter Performance-Kunst wirklich so einfach zu schaffen ist.HHHII

FEMEN – Mit Leib und Seele (CH 2014) 95 Min. Regie: Alain Margot. Ab Donnerstag im Kino.

Via: limmattalerzeitung.ch


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