Die Frau hinter den Brüsten


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Die Frau hinter den Brüsten

Von Simone Schmid und Anna Jikhareva.
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Anna Hutsol hat die feministische Protestorganisation Femen gegründet. Nun hofft die Ukrainerin auf Asyl in der Schweiz und koordiniert die barbusigen Proteste in einer Asylunterkunft in Rapperswil.

Plötzlich zur Asylbewerberin geworden: Anna Hutsol am Seeufer von Rapperswil, wo sie zurzeit untergebracht ist. (Bild: Reto Oeschger)

Plötzlich zur Asylbewerberin geworden: Anna Hutsol am Seeufer von Rapperswil, wo sie zurzeit untergebracht ist. (Bild: Reto Oeschger)

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Blonde Kämpferinnen, Amazonen mit prallrot geschminkten Lippen und Blumen im Haar, Frauen mit Modelmassen, die ihre Brüste politisieren: Das ist Femen, die ukrainische Protestorganisation, die das Patriarchat mit Nacktheit bekämpfen will. Die Aktivistinnen mähen Holzkreuze mit Kettensägen nieder, lassen vor dem Vatikan roten Rauch steigen und haben schon versucht, Wladimir Putin anzuspringen. Erst am Donnerstag zogen sich zwei junge Frauen auf der Krim aus, um mit nackter Brust gegen «Putins Krieg» zu demonstrieren.

Die Aktionen werden zurzeit in einer Asylunterkunft in Rapperswil koordiniert. «Die Internetverbindung ist zwar quälend langsam, aber ich bin den ganzen Tag am Arbeiten», sagt Anna Hutsol, eine kleine Frau mit orange gefärbten Haaren, in denen das Erkennungszeichen der Gruppe steckt: ein Haarreifen mit Blumen.

«Ich bin eine schlechte Aktivistin»

Die 29-jährige Ukrainerin und studierte Ökonomin ist die Gründerin von Femen. Im Oktober hat sie in der Schweiz Asyl beantragt. Wir treffen sie im Hafen von Rapperswil, da wir die Asylunterkunft nicht betreten dürfen. Zwei Stunden lang erzählt die Aktivistin aus ihrem Leben, sie redet schnell in russischem Singsang. Wir versuchen, zu verstehen, was diese Frau zu einer militanten Feministin gemacht hat. Einfach ist das nicht, denn Anna Hutsol ist überraschenderweise – schüchtern.

«Ich bin eine schlechte Aktivistin, dafür bewundere ich umso mehr den Mut meiner Kolleginnen», sagt sie. Sie sei mehr wie ein Fussballcoach, der die Kämpferinnen aufs Feld schicke. Mittlerweile werden junge Frauen in Bootcamps in ganz Europa zu «Sextremistinnen» ausgebildet. Und obwohl es offensichtlich ist, dass nur sehr schöne Aktivistinnen protestieren, streitet Hutsol ab, dass diese gezielt nach ihrem Aussehen ausgewählt werden. «Das ist wie in einem amerikanischen Film: Da kommen schwache Typen ins Camp, und am Ende sind sie fit und sexy.»

Flucht nach Razzia

Sie selber ist nicht an vorderster Front dabei und zieht sich auch nicht aus. Trotzdem hat sie den Kampf, den ihre Gruppe gegen den mittlerweile abgesetzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch führte, zu spüren bekommen. Hutsol zeigt uns ein Handybild, ein skurriles Ferienfoto, aufgenommen im August 2013 an der Strandpromenade der ukrainischen Hafenstadt Odessa. Man sieht zwei junge Leute fröhlich in die Kamera lächeln, beide mit völlig zerschlagenen Gesichtern. Es sind Anna Hutsol und ihr Jugendfreund Wiktor Swjatski. Auch er hat für Femen gearbeitet, er gilt als Mitgründer und war der Ideologe der Gruppe. Swjatski ist ebenfalls in die Schweiz geflohen. Er lebe als Asylbewerber in Zürich, sagt Hutsol und schildert die Ereignisse, die sie zur Flucht in die Schweiz trieben:

«Es begann alles im letzten Sommer, als Wladimir Putin und Patriarch Kyrill die Ukraine besuchten. Wir hatten Protestaktionen geplant, die offenbar verhindert werden sollten. Wiktor und ich wurden zweimal brutal zusammengeschlagen und landeten im Spital. Ich hatte eine Gehirnerschütterung und musste genäht werden. Andere von uns wurden von Polizisten entführt und ohne Grund festgehalten.

Wir haben keine Ahnung, wer hinter all diesen Attacken steckt, aber wir nehmen an, dass es der russische oder ukrainische Geheimdienst war. Eigentlich dachten wir, dass die Schikanen nach dem Staatsbesuch wieder aufhören würden. Doch dann gab es in unserem Hauptquartier eine Razzia, und man fand eine Waffe und eine Granate. Ich bin mir sicher, dass uns die Polizei die Waffen untergeschoben hat, weil man uns endgültig loswerden wollte. In der Ukraine wird illegaler Waffenbesitz mit fünf Jahren Gefängnis bestraft, und so sind wir innerhalb von zwei Tagen geflohen.

Der französische Botschafter in Kiew bot seine Hilfe an und stellte uns ein Schengen-Visum aus. Wir hatten schon länger geplant, an die Filmfestspiele von Venedig zu reisen. Dort wurde der Film gezeigt, den die Australierin Kitty Green über uns gedreht hatte. Wir flogen dann einfach früher als geplant. Von Venedig reiste ich direkt nach Rorschach weiter, wo meine Schwester seit drei Jahren lebt und als Köchin arbeitet. Eigentlich wollte ich bei ihr leben und nicht Asyl beantragen, doch es blieb mir nichts anderes übrig.»

Die Geschichte ist Hutsols Darstellung, überprüfen lässt sie sich nicht. Wie militant sind die Frauen in Wirklichkeit? Sind ihre Brüste tatsächlich die einzigen Waffen? Der Schweizer Filmer Alain Margot ist überzeugt, dass die Version der Aktivistinnen stimmt. Er begleitet die Gruppe seit 2011 mit seiner Kamera und hat die Attacken auf die Frauen dokumentiert. «Das wurde von einem Geheimdienst organisiert, man wollte die Frauen nicht mehr in der Ukraine sehen», sagt er. Sein Film über Femen hat in diesem Frühling Premiere.

Wir sitzen mittlerweile in einer Pizzeria, langsam wird das Gesicht von Anna Hutsol weicher. Sie freue sich über das Gespräch, sagt sie, in Rapperswil fühle sie sich etwas gestrandet. «Die Leute sind alle sehr nett und geben sich Mühe, aber es ist eine krasse Umstellung, plötzlich als Asylbewerberin zu leben.» In Kiew hatte sie eine eigene Wohnung – hier steht sie Schlange für Essen, schläft in einem Viererschlag und muss ab 22 Uhr still sein.

Nacktheit aus Pragmatismus

Ihre Tage verbringt sie mit Arbeiten oder Radfahren. Sie organisiert die verschiedenen Protestaktionen und beschafft Geld für die Organisation, indem sie den Femen-Webshop betreut. Für 69 Dollar gibt es dort auch Abdrücke von Aktivistinnen-Brüsten zu kaufen. «Daneben finanzieren wir uns mit Spenden», sagt sie. Femen wurde schon kritisiert, weil sich die Frauen bei einer Aktion in der Türkei von einer Unterwäschefirma die Flüge bezahlen liessen. Die Chefin sieht das pragmatisch. «Geld aus der Wirtschaft nehmen wir gerne an – nur von Parteien oder religiösen Organisationen lassen wir uns nicht finanzieren.»

Auch das Ausziehen war ein pragmatischer Akt, bevor es zum Markenzeichen der Gruppe wurde: Nacktheit war die billigste Methode, um eine Nachricht medial zu verbreiten. «Vorher haben wir ganz normal für soziale Anliegen protestiert, aber niemand hat sich dafür interessiert», sagt Hutsol.

Im September stand Femen in den Schlagzeilen, weil im Dokumentarfilm «Ukraine Is Not a Brothel» von Kitty Green gezeigt wurde, wie sehr die Frauen unter der Knute von Mitgründer Wiktor Swjatski standen. Plötzlich stand der Verdacht im Raum, dass die Aktivistinnen nur die Verkörperung einer Männerfantasie seien – und das Gegenteil von emanzipiert.

Was treibt die Aktivistin an?

«Diesen Konflikt mit Wiktor hat es gegeben, er arbeitet auch nicht mehr für Femen», sagt Hutsol. Der Film übertreibe jedoch und habe nichts mit der Realität zu tun. Was treibt die Aktivistin an? Auf diese Frage gibt Anna Hutsol immer dieselbe Antwort: ihre Herkunft. Sie ist auf einem Bauernhof in der Tristesse der ukrainischen Provinz aufgewachsen. «Dort sind die Männer ständig betrunken, und die Frauen machen die harte körperliche Arbeit.» Schon als Schülerin habe sie sich gefragt, warum nach einer Hochzeit das Leben einer Frau zu Ende sei und jenes des Mannes erst richtig beginne.

Und nun ist sie hier und weiss nicht, wie es weitergehen soll. «Am liebsten würde ich in der Schweiz bleiben und eine Beratungsfirma für Politaktivisten aufbauen», sagt Hutsol. Doch ihr erster Asylantrag ist abgelehnt worden: Weil sie mit einem französischen Visum in den Schengen-Raum einreiste, ist Frankreich für das Asylverfahren zuständig. Es droht ihr die Abschiebung nach Lyon. Sie hat zwar ein Wiedererwägungsgesuch gestellt, doch die Chancen, dass sie bleiben kann, sind klein.

Ob sie in ihre Heimat zurückkehrt, wenn der Rekurs abgelehnt wird, weiss sie noch nicht. «Alle raten mir davon ab, es ist zu gefährlich.» Ihre Kolleginnen seien in Paris, doch ein zweites Asylverfahren wolle sie eigentlich nicht durchmachen. Dass sich die Lage in der Ukraine nun verbessern werde, glaubt sie nicht. «Der Nationalismus nimmt zu, und die Kirche wird stärker», sagt Hutsol und lässt keinen Zweifel: Die barbusigen Proteste – sie werden weitergehen. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 08.03.2014, 06:54 Uhr


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