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Szene vom Femen-Protest gegen das spanische Abtreibungsgesetz in der Almudena Kathedrale von Madrid am 13. Januar 2014
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Szene vom Femen-Protest gegen das spanische Abtreibungsgesetz in der Almudena Kathedrale von Madrid am 13. Januar 2014
Kitty Green, die junge australische Filmemacherin, ist international bekannt, seit im vergangenen September ihre Dokumentation „Ukraine is not a brothel“ - „Die Ukraine ist kein Bordell“ - beim Filmfestival in Venedig Premiere hatte. Sie hat vierzehn Monate lang die Aktivistinnen der umstrittenen feministischen Protestgruppe Femen begleitet, hat mit fünf ihrer Mitglieder in einer Zweizimmerwohnung in Kiew gelebt, hat die Frauen nach Weißrussland begleitet, wo sie, wie immer natürlich „oben ohne“, gegen den Diktator Lukaschenka demonstrierten und Traumatisches erlebt haben.
Nach der Auflösung des Protests wurde das Filmmaterial beschlagnahmt, die Journalisten wurden in abgedunkelten Lastwagen von abgelegener Polizeistation zu abgelegener Polizeistation transportiert, die Aktivistinnen in ein Waldstück entführt, wo man ihnen befahl, sich auszuziehen, sie, wohl eine Verbrennung andeutend, mit Öl übergoss und schließlich in der Nähe der ukrainischen Grenze aussetzte.
Kitty Green wirkt ein wenig nervös, wie sie da auf der Bühne des „Literarischen Salons Hannover“ sitzt, zu dem sie eingeladen wurde, sechs Tage bevor ihr Film auf dem Münchner Filmfest Deutschlandpremiere haben wird. Sie entschuldigt sich oft, sagt, wenn man sie etwa nach den Finanzierungsmethoden von Femen fragt, dass sie es auch nicht so genau wisse.
Die Urzelle der Bewegung
Ihre Haltung scheint auf ungeheuer sympathische Weise unscharf. Kitty Green, deren Großmutter aus der Ukraine kommt, spricht Ukrainisch, allerdings, wie sie erzählt, ein „kindliches“ Ukrainisch, das ihr geholfen habe, sich den Aktivistinnen anzunähern. Man habe sie nicht für voll genommen, sie für „naiv“ gehalten, weil sie blond sei.
Kitty Green hat an der Kunsthochschule von Melbourne Film studiert, „Ukraine is not a brothel“ ist ihr Debüt. Der Film erzählt die Geschichte der fünf ukrainischen Frauen, welche die Urzelle der 2008 gegründeten feministischen Protestbewegung bilden. Bis zum Frühjahr 2012 war die Filmemacherin mit ihnen unterwegs, ihr Film ist also ein Porträt der Zeit vor der Internationalisierung der „Sextremistinnen“, deren Zentrale mittlerweile in Paris liegt.
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Protest auf nackter Haut: Szene aus Kitty Greens „Ukraine is not a brothel“, dem Dokumentarfilm über Femen
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Protest auf nackter Haut: Szene aus Kitty Greens „Ukraine is not a brothel“, dem Dokumentarfilm über Femen
Ein Porträt vor der Zeit, in der die Frauen mit so provokanten wie diffusen Aktionen wie dem „topless Jihad day“ den Ärger vieler Muslime - und vor allem Musliminnen - auf sich zogen. In den Ausschnitten, die an diesem Abend in Hannover gezeigt werden, sieht man die Frauen bei frühen Protestaktionen gegen Menschenhandel und Sexarbeit, wie sie mit bunten Kränzen im Haar Kirchenglocken läuten, die halbnackten trainierten Körper beschrieben mit ihren eingängigen Parolen: „Stopp. Die Ukraine ist kein Bordell.“
Die Dominanz des strippenziehenden Mannes
Es geht aber auch um Victor, den Patriarchen von Femen. Victor ist ein jugendlich wirkender Mann, und Kitty Greene erzählt, er sei drei Jahre lang vom russischen Geheimdienst inhaftiert gewesen, weil er einen Bücherstapel mit sich herumgetragen habe, in dem eine Bombe vermutet wurde. Im Gefängnis habe er Marx und Lenin gelesen und daraufhin beschlossen, den Kampf gegen das Patriarchat aufzunehmen.
Die dräuende Dominanz des strippenziehenden Mannes hinter der Femen-Bewegung wird im Film durch bedrängendes Skype-Klingeln auf den iPads der Aktivistinnen beschworen. Die Filmszenen mit Victor, den sie schließlich zu einer Art Beichte bewegt, seien erst während der letzten fünf Tage ihrer Zeit mit den Aktivistinnen zustande gekommen, erzählt Green, davor habe sie ihn heimlich gefilmt.
Victors Selbsterklärung ist ein dialektisches Meisterwerk der Rechtfertigung seiner eigenen Rolle als Anführer der Frauengruppe, die er nachts beschimpft, um sie für die Revolution zu disziplinieren. Das Filmmaterial habe sie, während sie mit den Frauen zusammenlebte, im Kissenbezug versteckt.
Ob die Femen-Mitglieder sich nicht verraten gefühlt hätten, fragt die Moderatorin Charlotte Milsch vom Literarischen Salon die Regisseurin. Es habe sie einige Überzeugungsarbeit gekostet, das Material nutzen zu dürfen, antwortet Green. Außerdem habe Victor auch sie während der Dreharbeiten eingeschüchtert. Sie hatte sich zunächst der Organisation als eine Art PR-Journalistin zur Verfügung gestellt. Das kritische Potential ihres Films, so erzählt sie es, sei erst entstanden, als sie Victors Rolle durchschaut und dadurch den Glauben in die Bewegung ein Stück weit verloren habe.
Auf diesem Auftritt wird man nicht recht schlau
Sie sagt aber auch, er sei „lustig“ und „charismatisch“, und diese Grundambivalenz ist eine Stärke ihres Films, die sie auch bei ihrem Auftritt in Hannover nicht auflöst. Victor erscheint als eine Art mythischer Übervater. Die Frauen haben sich mittlerweile von ihm gelöst, sie seien, auch wegen ihres Umzugs nach Paris, „stärkere Feministinnen“ geworden, so Kitty Greene. Victor habe das Filmmaterial gesichtet, es sei ihr wichtig geworden, was er von ihr denke.
Nach der Premiere wurde Kitty Green vielfach vorgeworfen, ihr Film sei inszeniert; sie berichtet, wie internationale Journalisten, die ebenfalls ein paar Tage mit Femen verbracht haben, ihr sagten, das könne alles nicht wahr sein. Aus Greens Auftritt wird man nicht recht schlau. Einerseits ist sie stolz auf ihre Enthüllung, andererseits scheint sie das alles gar nicht so genau wissen zu wollen.
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Victor lebe jetzt irgendwo in der Schweiz, „aus irgendeinem Grund“. Sie seien auf Facebook befreundet, er setze regelmäßig ein „Gefällt mir“ unter ihre Beiträge. Er habe den Film wohl nicht gesehen, der beim Münchener Filmfest seine Deutschlandpremiere feiern wird. „Ukraine is not a brothel“ könnte beides sein - Arbeit am Mythos Femen oder unkonventionelle, weil in ihrer Haltung unentschiedene Enthüllung. Kitty Green hat mit ihrem Film ein Vexierwerk geschaffen, das, ebenso wie die Proteste der Frauen selbst, zur Diskussion darüber führt, was Feminismus eigentlich ist und wie man ihn auf eine zeitgemäße Weise gestalten und reflektieren kann.
Quelle: F.A.Z.
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