Haft für FEMEN-Aktivistinnen in Tunesien
Empörung über Oben-ohne-Urteil
Eine Deutsche und zwei Französinnen müssen vier Monate ins Gefängnis, weil sie vor zwei Wochen oben ohne in Tunis für die Freilassung einer tunesischen Aktivistin demonstriert hatten. Das Urteil gegen die FEMEN-Aktivistinnen sorgt für Empörung, auch in der EU.
Von Marc Dugge, ARD-Hörfunkstudio Rabat
Das Gericht war bereits geschlossen, als der Richter das Urteil aushängen ließ. Die Angeklagte Josephine erfuhr es in ihrer Gefängniszelle - in Tunesien ist es nicht üblich, dass Urteile vor den Angeklagten verlesen werden. Wie es die 19-Jährige aufgenommen hat, ist daher unklar.
Tunesien: Empörung nach Urteil gegen FEMEN-Aktivistinnen
M. Dugge, ARD Rabat
13.06.2013 17:44 Uhr
Die Reaktion von FEMEN-Mitgründerin Alesandra Shevchenko fällt dagegen eindeutig aus. "Für uns ist das nur ein Beweis mehr, dass Tunesien keine Demokratie ist", sagte sie. "Wir werden nun einen Krieg starten gegen Islamismus und gegen solche Regime. Wir werden offizielle Vertreter Tunesiens überall angreifen, mehr und mehr Aktivisten nach Tunesien schicken, um dort Aktionen zu starten."
Aktionen bei Hollande-Besuch?
Solche Aktionen könnten beispielsweise rund um den Besuch des französischen Präsidenten Francois Hollande in einigen Tagen in Tunis stattfinden - und der tunesischen Regierung einiges Kopfzerbrechen bereiten. Geht sie hart gegen die barbusigen Aktivistinnen vor, heißt es vor allem in Europa: Typisch Islamisten. Bleibt sie tatenlos, läuft sie Gefahr, in der Bevölkerung als schwach wahrgenommen zu werden.
Wahr ist, dass viele Tunesier, selbst liberale Frauenrechtlerinnen, die provokanten Aktionen von FEMEN ablehnen. Nicht wenige sind mit dem harten Urteil zufrieden.
Solidaritätsbekundung: Vor der tunesischen Botschaft in Madrid protestierten am 12. Juni Mitstreiterinnen der in Tunis angeklagten FEMEN-Aktivistinnen.
Kritik an Härte der Strafe
Anders als Souhaib Bahri, einer der Anwälte der Frauen. Er nennt es unverhältnismäßig - vor allem, wenn man es mit anderen Urteilen vergleiche: "Da ist zum Beispiel das Urteil nach dem salafistischen Angriff auf die US-Botschaft in Tunis. Hier haben die Täter gerade mal zwei Jahre auf Bewährung bekommen", erklärt der Anwalt. "Sie sind also nicht im Gefängnis - trotz der Schwere der Tat mit vier Toten. Vier Monate Haft für ein paar Demonstrantinnen – das finde ich sehr hart." Der Anwalt will nun die Begründung für den Urteilsspruch abwarten, das kann noch zehn bis 15 Tage dauern. Dann will er Berufung einlegen.
Mit seiner Kritik ist er nicht allein. Auch das französische Außenministerium bedauerte die Härte der Strafe. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amts in Berlin sagte, man sei "besorgt". Die deutsche Botschaft in Tunis werde "die deutsche Staatsangehörige weiter konsularisch betreuen und das Verfahren aufmerksam verfolgen". Die Europäische Union zeigte sich "überrascht von der Schwere des Urteils", so der Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton. Unabhängig von dem Gerichtsurteil erinnere die EU an ihre wiederholten Aufforderungen, "die Meinungsfreiheit entsprechend den Hoffnungen der tunesischen Revolution zu festigen".
Fragen zu den FEMEN-Aktivistinnen an den tunesischen Premierminister Ali Larayedh im Interview mit Christiane Meier, ARD Berlin (07.06.2013)
ARD Morgenmagazin, 07.06.2013
Was bewog die Richter?
Über die Motivation der Richter herrscht in Tunesien Rätselraten: Wollten Sie mit dem harten Urteil ein Exempel statuieren? Der islamistischen Regierung gefallen? Oder die Justiz in Tunesien möglicherweise absichtlich in ein schlechtes Licht rücken? Aus Diplomatenkreisen in Tunis hieß es dazu lediglich, es deute nichts darauf hin, dass sich die Regierung in die Arbeit der Justiz eingeschaltet habe.
Die 19-jährige Josephine hatte vor Gericht keinerlei Reue für ihre Tat gezeigt. Sie muss sich nun in Geduld üben. Denn bislang ist völlig unklar, wann sie wieder zurück nach Hamburg reisen kann.
Zwei französische und eine deutsche Femen-Aktivistinnen werden am 29. Juni 2013 in Tunis wegen einer Oben-Ohne-Protestaktion festgenommen. Vor dem Justizpalast hatten sie die Freilassung ihrer tunesischen Mitstreiterin Amina Sboui verlangt.
Stand: 12.06.2013 19:27 Uhr
Via: tagesschau.de
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