Berlin - Vielleicht wird Sasha Shevchenko ihren 25. Geburtstag nächste Woche in einem Gefängnis in Kiew verbringen. Das hängt davon ab, wie ihr Staat reagiert, wenn seine mittlerweile lästige Bürgerin an diesem Tag aus Berlin in die Ukraine fährt. „Ich habe keine Wahl, ich muss nach Hause. Mein Visum läuft ab, und ich will ja nichts Illegales tun“, sagt die Frau und bemüht sich, ein unbewegtes Gesicht zu machen. Harte Miene, durchgedrückte Schultern, distanzierter Blick. „Ich bin ein Soldat“, sagt sie. „Wir sind im Krieg.“
Geführt wird dieser Krieg an diesem Vormittag auf Leinenkissen im „Princess Cheesecake“, einem Cafe in Berlins schicker Mitte. Ein ukrainischer Knast könnte kaum weiter entfernt sein. Auf den Louis-Seize-Möbeln sitzen Frauen bei Kaffee und Petit Fours. In der Vitrine locken ein gutes Dutzend Torten. Sasha will nichts. „Ich kann nicht über meine Mission reden und gleichzeitig essen.“ Die blonden Haare sind ballerinenhaft auf dem Hinterkopf zusammengezwirbelt, die Gläser der Pilotenbrille schimmern in einem Roséton. Unter ihrer elfenbeinfarbenen Kunstseidenbluse ist am Schlüsselbein eine Tätowierung zu sehen: „Lerne, lerne, lerne.“
An der Uni sollte sie sich einen Mann suchen
Sasha sagt, dass sie viel gelernt hat in den vergangenen sieben Jahren. So lange ist es her, dass die Studentin zum ersten Mal das Wort Feminismus gehört hat. Damals begann sie, 17 Jahre alt, gerade ihr Wirtschaftsstudium in ihrem Heimatort Khmelnitzky. „Meine Mutter schlug die Uni vor, weil ich dort einen guten Ehemann finden könne. Ich hielt das für eine ganz normale Idee.“
Hätte jemand Sasha Shevchenko damals erzählt, dass sie ein paar Jahre später vor zig Kameras mit nackten Brüsten auf Russlands Präsident Wladimir Putin und Bundeskanzlerin Angela Merkel losgehen würde, hätte sie vermutlich gefragt, wer das ist. „Ich war total unpolitisch, fast alle Frauen in der Ukraine sind unpolitisch.“ Nun hat sie genau diese Attacke angeführt, vor zwei Wochen auf der Hannover-Messe. „Fuck Dictator“, stand auf ihren Brüsten. Das ist das, was die junge Frau ihren Krieg nennt. „Unsere Brüste sind unsere Waffe.“ Vor ein paar Monaten ist sie ausgezogen, diesen Krieg auch in Deutschland zu führen.
Nach und nach politisiert
Sasha Shevchenko ist Mitbegründerin von Femen, der derzeit radikalsten feministischen Gruppierung Europas, die 2008 in der Ukraine entstand. „Am Anfang“, sagt die junge Frau, „waren wir einfach ein paar Studentinnen, die sich mit der Situation von Frauen in unserem Land beschäftigten.“ Erst nach und nach seien sie sich bewusst geworden, in einer männerdominierten, sexistischen, undemokratischen Welt zu leben, sagt Sasha. „Mir gingen auf einmal die Augen auf.“ Die Freundinnen lasen Bebels „Frau und Sozialismus“, sie diskutierten, und dann versuchten sie, mehr junge Frauen zu erreichen. „Wir wollten vermitteln, dass es andere Probleme gibt als die richtige Frisur und Gelnägel“, sagt Sasha. Mit August Bebel aber wollte das nicht so recht gelingen. „Wir wollten, dass bisher unpolitische Frauen einen Zugang zum Thema finden.“ Das Gefühl, über den eigenen Körper zum Sexualobjekt gemacht zu werden, ist etwas, was jede Frau in der Ukraine – und auch anderswo – kennt.
Und so wird vielleicht verständlich, warum die Aktivistinnengruppe Femen heute so auftritt, wie sie es tut. „Viele Frauen verstehen diese Art von Protest instinktiv“, sagt Sasha. Bei ihren ersten Protesten trugen sie und ihre Mitstreiterinnen noch provokative Kleidung. „Aber das war ein Spiel mit der Sexualität und als Spiel funktionierte der Protest nicht. Wir merkten, dass das nicht als Kampf aufgefasst wird.“ Also entschieden sich die Frauen fürs Ausziehen: natürlich auch deshalb, weil ihnen die Aufmerksamkeit der Medien dadurch sicher ist. „Angezogen interessiert unsere Botschaft nicht.“ Das Ausziehen mache die Frau vom Objekt zum handelnden Subjekt, sagt Sasha, und hat wieder diesen Soldatenblick. „Wir benutzen unsere Weiblichkeit als politische Waffe im politischen Kampf. Die Männer sehen uns als Sexualobjekt. Aber jetzt schneiden die Marionetten ihre Fäden durch und handeln.“ Femen begreift sich als antipatriarchal, antisexistisch und antireligiös.
Auch in Deutschland aktiv
Zum ersten Mal zog die Studentin in einem Wahllokal blank, als der ukrainische Ministerpräsident Viktor Janukowitsch dort seine Stimme abgab. Femen protestierte mit der Kampagne „Die Ukraine ist kein Bordell“ gegen Frauenhandel und Prostitution zur Fußballeuropameisterschaft. Am Tag des Urteils gegen die russische Punkband Pussy Riot sägte eine Femen-Frau in Kiew ein Kruzifix ab. Sie lebt inzwischen in Frankreich, um dem Gefängnis zu entkommen. Auch gegen Sasha und weitere Femen-Frauen laufen Verfahren. Seit ein paar Monaten schwappt der ukrainische Protest in andere Länder – inzwischen auch nach Deutschland, obwohl die harsche Formulierung vom Krieg gegen eine patriarchalische Diktatur hier reichlich seltsam klingt.
Was will Femen in Deutschland? „Wir wurden von deutschen Frauen angesprochen, die sich uns anschließen wollen“, behauptet Sasha Shevchenko, die deshalb im Januar nach Berlin zog, um hier den deutschen Arm ihrer Organisation aufzubauen und Frauen im Protest zu schulen. Prompt tauchten im Februar um ersten mal barbusige Femen-Frauen bei der Berlinale auf und protestierten gegen Genitalverstümmelung. 20 bis 30 Frauen seien organisiert, sagt Sasha. Inzwischen häufen sich die Aktionen. Aber auch die Kritik: der Protest werfe immer nur ein Schlaglicht auf Missstände, er sei wenig kenntnisreich und nicht am Detail interessiert, monieren andere Feministinnen.
Kritik prallt ab
Besonders eine Aktion gegen die Verschleierung von Frauen erntete Kritik. Kürzlich versammelten sich die Femen Frauen vor einer Moschee – aus Solidarität mit der Tunesierin Amina Tyler, die barbusig für die Souveränität der Frau demonstriert und damit ein ihrem Land eine heftige Debatte entfacht hatte. Femen suchte sich für ihren „Topless Jihad Day“ in Berlin ausgerechnet die Ahmadiyya-Moschee aus, das Haus einer in vielen Staaten verfolgten religiösen Minderheit. „Egal“, sagt Sasha Shevchenko. „Wir sind antireligiös und die Moschee ist ein Symbol.“
Was zählt, sind die Bilder. In der Ukraine, aber auch dort, wo Neuland ist – wo sie also noch frisch wirken: in Frankreich, in Deutschland, vielleicht bald in Brasilien. Dort will Sasha als nächstes hin, sobald ihre Mission in Berlin erreicht ist. „Ich brauche keine Zuhause. Ich gehe dorthin, wo ich nützlich bin“, sagt sie. Da ist er wieder , der harsche Soldatinnenblick. „Ich weiß, ihr in Deutschland habt Angst davor, Soldaten zu sein“, sagt Sasha. „Aber wir haben diese Angst nicht. Wir wissen ja, dass wir auf der richtigen Seite kämpfen.“
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