Feminismus wäre erfolgreicher, wenn er besser aussähe. Das ist eine so sorgfältig gepflegte Legende, dass die Aufregung sehr groß war, als sich auch in Deutschland junge Feministinnen auszogen. Femen. Was für ein Versprechen! Nackte Brüste statt Verbissenheit, Bilder schöner Frauen, die lauthals ihre Rechte einforderten, statt muffiger Theorien. War Femen nicht genau das, woran es dem Feminismus hierzulande fehlte?
Sie schrieben auf ihre eigene Hochglanz-Oberfläche "Fuck your Morals" oder "Mein Körper ist meine Waffe". Sie bedienten die mediale und gesellschaftliche Lust auf Frauenkörper und benutzen sie gleichzeitig: Ihr wollt Titten? Dafür müsst ihr euch anhören, was wir zu sagen haben.
Wie gut die ukrainischen Gründerinnen diesen Mechanismus verstanden hatten, bewies die Aufmerksamkeit, die sie für ihren Protest gegen den Sextourismus in der Ukraine weltweit bekamen. Das war 2012 zur Fußball-EM.
Wenig später hatten Frauen in Deutschland das Konzept übernommen und starteten ihre eigenen Femen-Aktionen. Kurz schien es, als entstünde eine neue, feministische Stimme mit Gewicht. Als "internationale Frauenbewegung" bezeichnen sich Femen in ihrem Manifest. Eine schöne Vorstellung: Femen als Greenpeace des Feminismus, mit spektakulären Aktionen und vollem Körpereinsatz. Doch da hören die Parallelen zur Umweltorganisation schon auf.
Die nackten Brüste sind nicht der Preis für die Aufmerksamkeit, sondern die eigentliche Aktion: "Bei Femen geht es uns um die Frage, wem in der Gesellschaft der Körper der Frau gehört", sagte die deutsche Femen-Aktivistin Josephine Witt in einem Interview mit ZEIT Campus. "Wenn wir nackt auf die Straße gehen, tun wir das selbstbewusst und selbstbestimmt. Wir unterstreichen damit die Kontrolle über unseren eigenen Körper."
Wir zeigen den weiblichen Körper – aber nicht in einer devoten, unterwürfigen und sexualisierten Stellung.
Femen weckte die Hoffnung, es sei möglich, den weiblichen Körper aus seinem Objektstatus zu befreien, allein indem Frauen ihn sich in der Öffentlichkeit demonstrativ wieder aneigneten.
Diese Hoffnung wurde enttäuscht. Femen hatten sich nicht weniger vorgenommen, als den Regeln des Marktes zu gehorchen und begehrenswert zu sein, gleichzeitig aber deren Abschaffung zu fordern. Die Attraktivität und Marktförmigkeit ihrer Protagonistinnen ist die Existenzgrundlage von Femen – die öffentliche Wahrnehmung war nur deshalb so groß –, und gleichzeitig sind sie der Grund, dass sie Frauenrechte und Gleichberechtigung in Deutschland nicht voranbringen können.
In der Ukraine, in Belarus und auch in ein paar deutschen Kirchen hat das Femen-Prinzip funktioniert, weil man sich dort provoziert fühlte von weiblicher Nacktheit. Weil dort angezogene Männer Frauenkörper würgten, schlugen, wegzerrten, einsperrten. Weil sie deren Nacktheit nicht gewachsen waren. Männliche Gewalt gegen weibliche Unschuld: Nur dank dieses Kontrastes wurden die Bilder zum politischen Statement. Hier zeigte das Patriarchat seine Brutalität auf so simple Weise, dass Femens Strategie aufging.
Meist aber werden die Aktivistinnen in Deutschland höchstens unsanft beiseite geräumt. Manchmal folgt eine Geldstrafe. Die Fratze des Patriarchats sieht anders aus.
Was bleibt, ist die nackte Frau, öffentlich beschaubar. Die Aktivistin, die vor der pinken Kunstwelt des Barbie Dreamhouse steht, sieht der Puppe, die sie symbolisch verbrennt, zum Verwechseln ähnlich. Die Frau, die in Jeans und oben ohne Heidi Klums Topmodelshow stürmt, müsste sich nur etwas überziehen, um selbst Teilnehmerin zu werden.
Diese Bilder erzeugen keine echte Störung, weil sie nicht mit Normen brechen. Die Strukturen, die sie kritisieren wollen, bleiben unsichtbar.
Der Anspruch der Femen-Frauen war es, durch selbstbewusste Haltung ihren Körper vom Objekt zur Waffe zu machen. Aber was unterscheidet den nackten Femen-Auftritt vom nackten Werbeauftritt auf dem Plakat daneben? Die einen wollen Geld verdienen, die anderen Politik machen. Das aber sind Deutungsebenen, die der Protest nicht berührt. Der Femen-Auftritt ist ebenso konsumierbar wie die Unterwäschewerbung.
Nichts zeigte das besser als eine Femen-Aktion gegen Wladimir Putin auf der Hannover-Messe. Der schaute so eindeutig erfreut und gierig auf die jungen, nackten Frauenkörper neben ihm, dass die Marktförmigkeit absurde Züge annahm: Die Aktivistin tritt auf, ihr Aussehen wird von Putin konsumiert, dann führen Leibwächter sie ab.
Welche Wucht hätten dagegen Bilder, auf denen auch nicht marktförmige Frauen ihren Körper selbstbewusst zeigen! Frauen, die nach herrschender Norm als nicht begehrenswert gelten, weil sie angeblich nicht schön, dünn, groß, klein oder weiß genug sind.
Wir brauchen das Interesse der Medien, um gehört zu werden und etwas verändern zu können.
Doch kaum jemand würde diese Bilder sehen wollen. Es gäbe keine Klickstrecken und keine Magazincover, keine Bücher. Femen weiß das. Ihre Taktik sei "der einzige Weg, um heutzutage als Frau überhaupt beachtet zu werden", sagte Anna Hutsol, eine der ukrainischen Gründerinnen: "Wir brauchen das Interesse der Medien, um gehört zu werden und etwas verändern zu können."
Die Bedeutung spektakulärer Bilder haben lange vor Femen Protestgruppen erkannt, darunter Greenpeace. Der Unterschied ist aber, dass andere Protestformen darüber hinausgehen. Der Castortransport ist tatsächlich blockiert, wenn auch kurz, der Naziaufmarsch auch. Egal ob man die Ziele teilt, es ist ein Protest mit Wirkung. Große Demonstrationen üben Druck auf Politiker aus, weil sie sehen, wie viele ihrer potenziellen Wähler Wandel wollen. Bei Femen aber bleiben nur die Bilder.
Ihre Ideologie benennen Femen mit den Schlagworten "Feminismus, Atheismus und Sextremismus". Doch während sich die Aktivistinnen in Frankreich, der europäischen Zentrale von Femen, inzwischen um etwas mehr theoretisches Futter für ihre Arbeit bemühen und ein neues Manifest veröffentlicht haben, ist der Überbau der deutschen Aktivistinnen extrem dünn, Anknüpfungspunkte an vorhandene Strömungen fehlen.
Femen stoßen in den meisten politischen Lagern auf Ablehnung; bei den Konservativen ohnehin, doch auch bei vielen Linken, die finden, sie seien zu unkritisch gegenüber den Marktmechanismen, die sie selbst bedienen. Auch aus verschiedenen feministischen Richtungen kommt Ablehnung. Femen ist gegen jede Art von Prostitution und Pornografie – ein Ansatz, den Huren-Organisationen und feministische Porno-Produzentinnen bevormundend finden. Fremdbestimmt fühlten sich auch viele Musliminnen, als Femen zum "International topless Jihad" aufrief.
Die Aktivistinnen wehren sich gegen die männliche Deutungshoheit über Frauenkörper – und reißen dann die Deutungshoheit über ihre Geschlechtsgenossinnen an sich.
In ihrem Kampf um die Kontrolle über den weiblichen Körper übersehen Femen auch, dass der Gegner nicht eine Riege von Grobianen ist, die Frauen in den Schwitzkasten nehmen.
Die Selbstoptimierung, die der moderne Kapitalismus von ihnen fordert, macht Frauen zu Komplizinnen ihrer eigenen Unterwerfung. Sie feilen an ihrem Marktwert auf Tinder, strampeln, schwitzen und schnippeln und frieren ihre Eizellen ein, um sie zu karrierekompatibler Zeit wieder aufzutauen und ihrer Zweitrolle als fürsorgliche Mutter gerecht zu werden. Diese Mechanismen können die immer neuen Nacktprotestbilder unmöglich vorführen. Und so erzeugen sie heute kaum mehr als eine Agenturmeldung oder eine Klickstrecke.
Femen haben alles, was Anstoß erregen könnte, aus dem Feminismus entfernt. So sind sie erfolgreich geworden – und wirkungslos. Ihr Protest wird von dem System, gegen das sie sich wenden, geschluckt.
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Mitdiskutieren:
Wie bewerten Sie die Rolle
von Femen im Kampf für Frauenrechte? Ist der Ansatz von Femen richtig –
oder sollte Femen die bisherige Strategie überdenken? Wir interessieren
uns sehr für Ihre Einschätzung und laden Sie ein, bei unserer Debatte
zum Thema Femen mitzudiskutieren. Am Freitag zwischen 13 und 15 Uhr
werden Zana Ramadani, die frühere Vorsitzende von Femen Germany, und NDR-Reporterin Stefanie Gromes an der Diskussion teilnehmen und Ihre Fragen beantworten.
Mehr zur Sendung:
Die Reportage 7 Tage... Femen in voller Länge läuft am Sonntag, 29. März, um 15:30 Uhr im NDR Fernsehen. Hintergrundinformationen zur Sendung finden Sie hier. Im Interview bei NDR.de sprechen Stefanie Gromes und Katrin Hafemann über die Entstehung der Femen-Reportage.
Mitwirkende:
ZEIT ONLINE
Frida Thurm: Autorin
Paul Blickle: Infografik
Sascha Venohr: Daten-Recherche
Fabian Mohr: Redaktionelle Koordination
NDR / 7 Tage
Stefanie Gromes: Autorin
Katrin Hafemann: Autorin
Christian v. Brockhausen: Redaktion
Florian Müller: Redaktionelle Koordination
Fabian Döring: Redaktionsleitung
Vivienne Schumacher: Onlineredaktion
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Via: zeit.de
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