Femens Oben-ohne-Proteste – "Unsere Taktik ist Sextremismus"

Im Schatten der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine protestieren immer wieder die Frauenrechtlerinnen der Gruppe "Femen".
Mit ihren Oben-ohne-Auftritten und provozierenden Aktionen sorgen sie für Aufsehen. Stefan Tabeling, Timo Prüfig und Nina Jeglinski trafen Inna Schewtschenko, eine der Anführerinnen, in Kiew.

Inna Schewtschenko, Sie sorgen mit Ihrer Frauengruppe Femen am Rande der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine mit Nackt-Protesten für großes Aufsehen. Was wollen Sie bezwecken?

Inna Schewtschenko: Wir wollen, dass Frauen aktiver und mutiger werden. Sie sollen über Probleme wie Prostitution
oder Korruption
sprechen. In der Ukraine sind Frauen noch heute Sklavinnen und Opfer. In Sachen Gleichberechtigung sind wir auf dem Stand Deutschlands vor 50 Jahren. Die Frauen hier sind hübsch, arm und ungebildet. Vergewaltigungen werden totgeschwiegen, es gibt keine Aufklärung und keinen Sexualkunde-Unterricht, daher ist auch die HIV-Quote so hoch. Wir stehen für einen neuen Feminismus, geboren in der Ukraine.

Warum wählen Sie gerade Nackt-Proteste?

Schewtschenko: Man muss etwas Radikales machen, um etwas zu ändern. Wir müssen auffallen und uns ausziehen, sonst würde uns niemand beachten. Nacktheit ist unsere Waffe. Wir wollen schocken und provozieren. Unser Ziel ist es, die Meinung und Einstellung der Menschen zu ändern und die Leute aufzuwecken. Dass wir Gesetze nicht ändern können, ist klar. Unsere Taktik ist Sextremismus. Das ist friedlicher Terrorismus.

Wie schwer ist es, während der EM Proteste zu organisieren?

Schewtschenko: Sehr schwer. Der Geheimdienst weiß, was wir planen. Vermutlich werden unsere Telefone abgehört. Als wir nach unserer Aktion vor dem Eröffnungsspiel in Warschau verhaftet worden sind, lagen auf der Wache Fotos und Beschreibungen von uns, die Polizei hat unsere genauen Profile. Bei den Verhaftungen in Donezk hatten die Beamten die gleichen Dokumente. Noch diese Woche wurden wir von der Fanmeile vertrieben, dabei hatten wir gar nicht protestiert. Kaum waren wir um die Ecke wo sich keine Touristen mehr aufhielten, wurden wir geschlagen, in Handschellen abgeführt und mussten über Nacht ins Gefängnis. Das ist nicht legal. Als ich wieder nach Hause kam, standen drei Männer vor meiner Wohnung, vermutlich vom Geheimdienst. Sie haben an der Tür und am Fenster geklopft. Es geht darum, uns einzuschüchtern. Der Geheimdienst verfolgt uns 24 Stunden am Tag überall hin.

Planen Sie weitere Aktionen?

Schewtschenko: Wir planen viele Aktionen, aber jeder Protest endet auch immer mit einer Verhaftung. Eine von uns ist beispielsweise in Donezk ins Gesicht geschlagen worden. Gegen unsere Gruppe laufen aktuell acht Verfahren.

Wie groß ist inzwischen Ihre Gruppe?

Schewtschenko: Wir sind hier in Kiew rund 40 Nacktprotestlerinnen. Aber wir haben Aktivisten überall auf der Welt, in Frankreich, Brasilien, der Schweiz, Italien, Holland oder Amerika. Auch in Deutschland haben wir viele Unterstützer. Frauen aus verschiedenen sozialen Schichten stehen hinter uns.

Sie demonstrieren weltweit. Wie finanzieren Sie das?

Schewtschenko: Einerseits haben wir einen Femen-Shop. Da verkaufen wir Fanartikel. Ansonsten bekommen wir Spenden aus der ganzen Welt. Oftmals werden wir zu Aktionen eingeladen. Unsere Unterstützer finanzieren dann etwa die Flugtickets.

Haben Sie bei Ihren Aktionen keine Angst?

Schewtschenko: Wir sind ein wenig verrückt und krank. Es ist sehr gefährlich, das wissen wir. In Weißrussland hätten wir getötet werden können.
Alles kann passieren, aber das ist unser Lebensstil, unser Hobby, unsere Liebe. Wir wollen den Frauen zeigen, dass sie nicht ängstlich sein dürfen. Die internationalen Massenmedien sind dabei unsere einzige Chance und Lebensversicherung zugleich.


Nackt-Demo gegen Prostitution


Nackt-Demo gegen Prostitution


Nackt-Demo gegen Prostitution


Nackt-Demo gegen Prostitution


Sie haben Weißrussland angesprochen. Was ist da passiert?

Schewtschenko: Wir haben gegen das Regime von Alexander Lukaschenko protestiert. Zehn Männer haben uns überwältigt und in einen Bus geschleppt. Wir bekamen Masken übergezogen und wurden gefesselt. Auf der Fahrt sagten sie uns: "Jetzt werdet ihr lernen, was es bedeutet, sich gegen Weißrussland zu stellen. Ihr werdet getötet. Denkt noch einmal an eure Eltern, eure Familien und genießt die letzten Atemzüge." In dem einen Moment habe ich gedacht, dass es ein Spiel ist, das sie mit uns treiben. In dem anderen habe ich mich darauf vorbereitet, getötet zu werden. Wir wurden mit Stöcken geschlagen, mir wurden die Haare abgeschnitten - ich war bereit zu sterben. Nach fünf Stunden haben sie uns aus dem Bus geworfen, uns geschlagen. Wir mussten uns ausziehen und sie haben uns mit einem Messer bedroht, haben uns Bilder mit Nazi-Symbolen in die Hand gedrückt und Fotos gemacht. Dann haben Sie uns im Wald ausgesetzt.

Sie führen ein gefährliches Leben. Wäre es nicht einfacher, in die Politik zu gehen und so etwas zu ändern?

Schewtschenko: Für uns gibt es kein Zurück mehr - niemals. Unser Gebiet ist die Straße. Es wäre einfacher, wenn wir Gesetze machen könnten. Aber die ersten Schritte sollten auf der Straße gemacht werden. Wir wollen eine Bewegung aufbauen. Das ist unser Plan für die Zukunft. Wir wollen Trainingszentren auf der ganzen Welt organisieren. Unser Ziel ist es, in arabischen Ländern für Frauenrechte zu kämpfen - auch im Iran wollen wir demonstrieren.

Wie bewerten Sie die ukrainische Regierung?

Schewtschenko: Das System ist korrupt. Präsident Viktor Janukowitsch ist ein großes Problem.
Viele Leute sind zu passiv und akzeptieren, dass sie Sklaven sind.
Wir haben leider auch nicht die Kultur von Aktivismus. Viele Leute protestieren nur gegen Geldzahlung. Leute, die für Julia Timoschenko demonstrieren, haben das auch schon für Janukowitsch gemacht.

Wie bewerten Sie die politischen Ambitionen von Box-Weltmeister Witali Klitschko?

Schewtschenko: Wir hassen Klitschko, das ist für uns nur ein schlechter Witz. Er selbst ist für die Legalisierung von Prostitution. Klitschko ist ein gutes Beispiel für Sportler, die auch nach ihrer Karriere durch die Politik weiter Geld verdienen und reicher werden wollen. (dapd)


Nackter Protest in Kiew


Nackter Protest in Kiew


Nackter Protest in Kiew


Nackter Protest in Kiew

 

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Via: derwesten.de


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The mission of the "FEMEN" movement is to create the most favourable conditions for the young women to join up into a social group with the general idea of the mutual support and social responsibility, helping to reveal the talents of each member of the movement.

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