Feminismus: Der weibliche Körper ist nicht neutral

Ihre Brüste schwellen, ihre Hüften sind prall, ihr Gesicht ist nicht zu erkennen: Die Venus von Willendorf ist rund 25.000 Jahre alt, elf Zentimeter groß, und seit man sie vor rund hundert Jahren in der Wachau gefunden hat, rätselt man über ihre Bedeutung: Stellt sie eine altsteinzeitliche Göttin dar? Ein Fruchtbarkeitssymbol? Ist sie schwanger? Oder soll sie in ihrer Beleibtheit bessere Zeiten beschwören?

Oder „Der Ursprung der Welt“ von Gustave Courbet: Auf dem 1866 gemalten Bild ist eine Vulva sozusagen in Nahaufnahme zu sehen, es öffentlich zu zeigen, hätte einen Skandal bedeutet, und so blieb es fast ein halbes Jahrhundert lang hinter einer Abdeckung aus Holz versteckt. Wer es sehen wollte, brauchte einen Schlüssel. Ist das obszön? Oder eine Huldigung der Weiblichkeit?

Oder die berühmte Marianne von Delacroix: Da stürmt sie voran zwischen Gefallenen und Kämpfenden, die Tricolore in der Rechten, das Gewehr in der Linken, in einem Kleid, das so verrutscht ist, dass es die Brust entblößt: „Die Freiheit führt das Volk an“, nennt sich das Gemälde.

Göttin und Mutter, Verführerin und Verführte, Symbol der Freiheit und der Fruchtbarkeit: Wo der nackte weibliche Körper gezeigt wird, ist er nie einfach nur da. Er ist angereichert mit Sinn. Der gemalte, fotografierte oder sonst wie in Szene gesetzte Frauenkörper sendet natürlich auch basale Signale aus (ein Hüft-Taillen-Quotient von 0,7 spricht für Fruchtbarkeit und gilt als ästhetisches Optimum), aber die sind in der Minderzahl: Wichtiger sind komplexe kulturelle und religiöse Bedeutungen, in ihnen spiegeln sich gesellschaftliche Konzepte, Wünsche, Verbote, auch Ängste.

Begafft oder befreit?

Und wo passen die Femen hinein? Wenn es um die in der Ukraine gegründete Gruppe von Frauen geht, scheiden sich die Geister. Kann es feministisch sein, mit der eigenen Körperlichkeit Aufmerksamkeit erregen zu wollen? Zementiert die Tatsache, dass die zupackenden Polizisten besonders brutal wirken, wenn sie halb nackte Frauen vom Platz zerren, nicht die Rolle der Frau als Opfer? Und was hat es zu besagen, dass sich bei den Aktionen der Femen nur hübsche, junge, schlanke Frauen entblößen? Andererseits steht die Art der Femen-Nacktheit deutlich in einer selbstbewussten Tradition: der Körper nicht in Ruhe, sondern in Bewegung, nicht passiv, sondern aktiv. Bei der Gymnastik etwa. Gymnos heißt nackt, es waren die griechischen Männer, die sich unbekleidet ertüchtigten. Und natürlich: Diesmal sind es Frauen, die das Bild von sich selbst bestimmen, die versuchen, über sich und ihren Körper bzw. über die Interpretation ihres Körpers Verfügungsgewalt zurückzuerlangen.

Dachte man. Aber gerade dies stellt die in Venedig gezeigte Dokumentation „Die Ukraine ist kein Bordell“ infrage. Sie enthüllt, dass zeitweise ein Mann hinter der Gruppe stand. Ein Mann, der Befehle ausgab, der die jungen Frauen anherrschte, der sich als als Mastermind gerierte. „Eine Frauengruppe als sexistische Männerfantasie“, notiert der „Spiegel“.

Das erinnert paradoxerweise an die Diskussion über die verschleierte Frau: Das Verdecken wie das Enthüllen können nämlich als Akte von Selbstbestimmung betrachtet werden – als Ausdruck kulturellen Selbstbewusstseins hie, als Ausdruck sexueller Befreiung da, man erinnere sich nur an Valie Exports „Genitalpanik“ oder an Arbeiten von Elke Krystufek. Doch es bleibt Tatsache, dass sich Frauen immer wieder für Männer verschleiern oder enthüllen (müssen). Wie kann man das eine vom anderen trennen? Was unterscheidet eine „befreite“ von einer „begafften“ Brust?

Wenig, oft nur das Wissen darum, ob eine Handlung selbstbestimmt war oder nicht. Darum ist der Schock so groß über das angebliche männliche Mastermind hinter Femen: Das Bild kippt. Statt an Marianne zu erinnern, die dem Volk voranstürmt, drängt sich der Gedanke an Plakatwerbung auf. All jene, die schon immer vermutet haben, dass hier allzu bereitwillig männliche Schönheitsideale bedient werden, scheinen recht behalten zu haben.

Was gar nicht im Sinne der Filmemacherin war. Sie sieht in der Dokumentation einen Bericht über Frauen, die „den Schritt in die Unabhängigkeit getan haben“. Wiktor Swajzki, der sich „der Patriarch“ nennt, spielt heute keine Rolle mehr. Er wurde entmachtet. Und man sieht immer mehr Bilder von Femen, die nicht mehr dem gängigen Schönheitsideal entsprechen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2013)

Via: diepresse.com


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