Engagierte Musliminnen fühlen sich von Femen missverstanden. Nun provozieren sich die Frauengruppen gegenseitig. Dabei haben sie viel gemeinsam. Von Cigdem Akyol
© Jan-Philipp Strobel/dpa
Betül Ulusoy sagt, das Stück Stoff sei ein Teil ihrer
Identität. Als Kind empfand die Jurastudentin ihr Kopftuch als ein
Symbol des Erwachsenwerdens. "Und heute unterstützt es meinen
Charakter", sagt die 24-jährige Deutschtürkin aus Berlin, die
selbstbewusst und nachdenklich wirkt.
Alexandra Schewtschenko glaubt nicht an solche Aussagen. Für die 25-jährige Ukrainerin
ist Ulusoy eine Sklavin. Sie möchte sie von der stoffgewordenen
Religionsfolter befreien. "Denn das Kopftuch ist vergleichbar mit
einem Konzentrationslager", sagt sie in einem Berliner Café. Schewtschenko ist Mitbegründerin
der Feministinnengruppe Femen, die weltweit barbusig für Frauenrechte und
gegen Sexismus protestiert.
Ulusoy wiederum hat die Facebook-Gruppe
"Muslima-Pride" gegründet, um sich dagegen zu wehren, dass Musliminnen immerzu als Opfer oder Objekt wahrgenommen werden.
Junge Akademikerinnen engagieren sich für Frauenrechte
Schewtschenko und Ulusoy haben sich nie getroffen – und lehnen beide
eine Begegnung ab. Sie fühlen sich von der jeweils anderen
missverstanden. Zu groß seien die Meinungsverschiedenheiten, sagen beide. Dabei
haben die zwei Frauen mehr gemeinsam, als sie wahrhaben wollen. Sie sind
jung und Akademikerinnen, kämpfen für Glaubensfreiheit, ein
selbstbestimmtes Leben und gegen das Patriarchat. Sie haben ähnliche
Ziele, aber ganz andere Vorstellungen, wie sie sie erreichen. Die eine engagiert sich fast nackt und mit Blumen
im Haar, die andere mit langer Kleidung und verhülltem Kopf.
Für die eine bedeutet das Tuch Zugehörigkeit, für die
andere ist es eine Form der Ausgrenzung. Unter anderem deswegen demonstrierten im Frühjahr Femen-Aktivistinnen beim europaweiten Topless Jihad Day für die Freiheit der Frauen in islamischen Ländern. In Berlin versammelten sich sechs Feministinnen vor der Ahmadiyya-Moschee. Niemand solle Religion dazu benutzen, Frauen zu unterdrücken, riefen sie. Schewtschenko selbst hielt ein Plakat mit der Aufschrift "No Masters – No Slaves" hoch.
Tags darauf parodierte Ulusoy mit fünf
Freundinnen Femen vor der gleichen Moschee, mit Kopftüchern, langer
Kleidung und Schildern mit Aufschriften wie "Du brauchst mich nicht
befreien, ich bin frei". Sie sagt, es gehe ihr eigentlich gar nicht um Femen, es
gehe um die in aller Welt verbreiteten Vorurteile. "Uns Musliminnen wird
immer wieder unterstellt, wir könnten Entscheidungen
nicht eigenverantwortlich treffen. Uns wird das Denkvermögen abgesprochen",
kritisiert sie.
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Via: zeit.de
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