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Geist vor Körper

Die «Femen»-Aktivistinnen erhalten mit ihrem barbusigen Protest weltweit viel Aufmerksamkeit – auch im arabischen Raum. Dort debattieren Frauenrechtlerinnen jetzt über die Grenzen von Provokation.

Ihr Protest stösst bei arabischen Frauen auf Skepsis bis Ablehnung: Femen-Aktivistinnen am WEF in Davos. (26. Januar 2013)

Ihr Protest stösst bei arabischen Frauen auf Skepsis bis Ablehnung: Femen-Aktivistinnen am WEF in Davos. (26. Januar 2013)
Bild: Keystone

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Femen privat – und angezogen


Femen privat – und angezogen
Die ukrainischen Frauenrechtlerinnen von Femen gehen oben ohne auf die Strasse, kürzlich auch in Zürich. Wie sie daheim in Kiew leben.

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Die Oben-Ohne-Proteste der feministischen Aktionsgruppe «Femen» finden Beachtung von Kanada über Nordafrika und Europa bis in den Nahen Osten. Frauenrechtlerinnen im Nahen Osten und in Nordafrika reagieren aber überwiegend mit grosser Skepsis und teilweise fassungslos. Blanke Busen könnten ihrer Sache mehr schaden als nutzen, befürchten die Araberinnen – vor allem, nachdem «Femen» vergangene Woche halbnackt vor Moscheen und tunesischen Vertretungen in Europa protestiert hat.

Dies geschah freilich aus Solidarität mit der Tunesierin Amina Tyler, die mit ihren Nacktfotos im Internet einen Skandal ausgelöst hatte. Nun entbrennt unter muslimischen Frauenrechtlern eine Debatte über die Grenzen provokativer Protestformen.

Tyler wollte mit den Oben-Ohne-Fotos auf Facebook gegen die religiöse Unterdrückung in ihrem Land protestieren. Obwohl Tunesien eines der liberalsten Länder in der Region ist, schockierten die Bilder sogar den gesellschaftlichen Mainstream. Ultrakonservative muslimische Geistliche forderten, die 19-Jährige zu Tode zu steinigen.

Verurteilung des Islam

Nun hat die Gymnasiastin Angst um ihr Leben und will ihre Heimat nach eigenen Angaben verlassen. Von den Solidaritätsbekundungen in Europa zeigte sie sich ermutigt. Gleichzeitig distanziert sich die 19-Jährige von der Verbrennung der schwarzen Flagge mit dem muslimischen Glaubensbekenntnis vor einer Pariser Moschee. «Da bin ich dagegen», sagte sie dem französischen Fernsehsender Canal Plus am Samstag. «Sie haben so nicht nur die Extremisten beleidigt, sondern alle Muslime.»

Auch den meisten Tunesierinnen geht Tylers Protest und der von «Femen» zu weit – wenngleich sie den Aufstieg der konservativen Salafistenbewegung und die Einschränkung der bisher fortschrittlichen Gesetzgebung seit dem Umsturz der säkularen Diktatur 2011 mit Sorge betrachten. Die Demonstrationen hauptsächlich europäischer Frauen etwa in Mailand, Paris und Berlin als Reaktion auf Tylers Fotos werten sie als Verurteilung des Islam.

«Alle Organisationen und ideologischen Strömungen sind sich einig, dass dieses Phänomen unserer Gesellschaft fremd ist», sagt Imen Triki von der Tunesischen Gesellschaft für Freiheit und Gleichheit. Gleichzeitig betont sie Tylers Recht auf freie Meinungsäusserung.

Rückschlag für Liberale

Tyler ist nicht die erste Araberin, die mit der Veröffentlichung von Nacktfotos einen Skandal auslöste. Im November 2011 postete die junge Ägypterin Aliaa al-Mahdi Bilder in ihrem Blog, auf denen sie nur Strümpfe trug, um «Gewalt, Rassismus, Sexismus, sexuelle Belästigung und Scheinheiligkeit» in der Gesellschaft anzuprangern. Ägyptische Feministinnen und Aktivisten säkularer Strömungen äusserten damals die Befürchtung, dass diese Aktion vor den Parlamentswahlen liberale Tendenzen zurückwerfen könnte. Tatsächlich brachten die Wahlen einen Erdrutschsieg der religiösen Konservativen.

Auch die irakische Frauenrechtlerin Jenan Mubarak bekräftigt Tylers Demonstrationsrecht, bezeichnet Oben-Ohne-Proteste jedoch als kontraproduktiv für die Förderung von Frauenrechten. «Ich lehne es ab, den Körper einer Frau für die Erreichung jedweder Ziele einzusetzen», sagt sie. «Ich möchte, dass mein Geist geschätzt wird, und die Art wie ich rede. Dass respektiert wird, wie ich meine Rechte zu erlangen versuche.»

Nicht nackt gegen Patriarchat

Die irakische Autorin und Feministin Schatha al-Janabi teilt ihre Meinung: «Jede Frau hat das Recht, ihre Meinung zu äussern. Frauen haben ernsthafte Forderungen, insbesondere arabische Frauen, weil das Patriarchat sehr, sehr stark ist», sagt sie. «Doch es gibt viele Wege, in einer nahöstlichen Gesellschaft Gleichheit einzufordern. Nacktheit ist hier nicht akzeptabel.»

Nach Einschätzung von Sineb Belmkaddem, Aktivistin der marokkanischen Demokratiebewegung, sind nackte Frauenkörper in der Politik der Sache der Frauen sogar abträglich. «Wenn eine Frau ihren Körper entblösst, so fördert sie damit das Image, das Frauen zum Objekt macht, egal wie sehr ‹Femen› daran glauben will, dass die Aktion irgendwie befreiend wirkt», sagt sie.

Halbnackt mehr Aufmerksamkeit

«Femen»-Mitglieder ihrerseits stellen die Frage, ob ihre Botschaft im Nahen Osten angekommen wäre, wenn die Frauen voll bekleidet protestiert hätten. «Ich denke nicht, dass die Leute Notiz genommen hätten. Mehr Aufmerksamkeit bekommen wir, wenn wir halbnackt sind», sagt die Tunesierin Meriam in Paris. Ihren Nachnamen will die «Femen»-Aktivistin zum eigenen Schutz nicht nennen.

Für die Verbrennung der Flagge zeigt sie kein Bedauern, schliesslich werde die Fahne eng mit den Dschihadisten und Salafisten assoziiert, die die Unterdrückung von Frauen im arabischen Raum am lautesten propagieren. «Für mich ist diese Flagge nicht die muslimische Flagge», sagt sie am Telefon. «Sie hing nie in Moscheen, nur in den Händen von Bin Laden und seinen Kollegen.» (baz.ch/Newsnet)

Erstellt: 11.04.2013, 23:41 Uhr


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