HIV-Epidemie beim EM-Gastgeber

Nirgendwo in Europa ist die Neuinfektionsrate mit HIV so hoch wie in der Ukraine - Im Gastgeberland der Fußball-EM wird durch Sextourismus ein Ausbreiten der Epidemie befürchtet - Es fehlt an Geld und Aufklärung

Sergej hat die Hände fest vor der Brust verschränkt. Der Blick des 35-Jährigen ist ernst, der Körper verspannt. Seine Lebensgeschichte erzählt er so, als hätte er sie selbst erst in der Zeitung gelesen - ruhig und emotionslos. "Ich war drogenabhängig, habe mich 1995 mit einer Injektionsnadel angesteckt. Seit 1996 bin ich offiziell als HIV-positiv registriert. Aber ich habe die Krankheit verdrängt, lebte weiter wie bisher. 1999 habe ich meine Frau geheiratet, wir haben drei Kinder."

Dass Sergej mit seinem Verhalten die Gesundheit seiner gesamten Familie in Gefahr gebracht hat, war ihm bis 2008 nicht bewusst. "Da ist die Krankheit ausgebrochen. Im Spital haben sie auch noch Tuberkulose und Diabetes festgestellt." Erst seit damals ist er im Aidszentrum in der Kiewer Lawra-Klinik in Behandlung. Sergej wurde über die Gefahren und Übertragungswege von HIV aufgeklärt. Jetzt verwendet er beim Sex Kondome.

HIV betrifft in der Ukraine längst nicht mehr nur Randgruppen wie Drogensüchtige oder Homosexuelle. "Die Krankheit geht in die Allgemeingesellschaft über", sagt Svitlana Antonyak. Die Befürchtung der renommierten Ärztin in der Lawra-Klinik wird von Zahlen untermauert. Nirgendwo in Europa ist die Neuinfektionsrate mit HIV so hoch wie in der Ukraine. Geschätzte 370.000 Menschen gelten als HIV-positiv. Allein 2011 sind laut Antonyak 20.000 Neuerkrankungen dazugekommen. 1,6 Prozent der Personen zwischen 24 und 49 Jahren tragen in der Ukraine das Virus in sich. Zum Vergleich: In Burkina Faso sind 1,2 Prozent der Bevölkerung infiziert.

Die Gefahr, die von der Krankheit ausgeht, ist dem Großteil der Ukrainer nicht bewusst, sagt Antonyak. Über die Krankheit wird nicht gesprochen, Infizierte werden diskriminiert, Medikamente sind rar. Und der Höhepunkt der HIV-Epidemie ist noch nicht erreicht. "Personen, die sich mit Sex angesteckt haben, tauchen erst in ein paar Jahren in der Statistik auf", sagt Antonyak. "Da verläuft die Krankheit schleichender."

Ausbreiten der Epidemie befürchtet

Ab 8. Juni sind die Ukraine und Polen Gastgeber der Fußball-EM. Der erwartete Anstieg des Sextourismus könnte das Problem vor allem in den EURO-Städten Lemberg, Kiew, Charkiw und Donezk verschärfen. "In Kiew sind zwölf Prozent aller Prostituierten HIV-positiv", sagt Antonyak.

Aktivisten warben im Dezember unter dem Motto "Jeden Tag stirbt in der Ukraine ein Fußballteam an Aids" für den Gebrauch von Kondomen. Die Ukraine sei für Fußballfans aber keine gefährlichere Urlaubsdestination als Thailand oder Italien, sagt Antonyak. "Wir wollen Touristen warnen. Aber Aids bleibt ein internes Problem unseres Landes."

Auf die Epidemie machen hauptsächlich Aktivisten von NGOs oder private Initiativen aufmerksam. "Wir bieten Selbsthilfegruppen an oder klären Infizierte über ihre Rechte auf", sagt Martin Kade von der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (Giz). Die Regierung will den Ernst der Lage noch nicht erkennen, an den Schulen gibt es fast keine Präventionsarbeit. Und Kondome sind für junge Menschen viel zu teuer.

Unterfinanzierung

Die vorhandenen HIV-Projekte kämpfen mit Unterfinanzierung. Der Globale Fonds der UN zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria deckt nur 20 Prozent der Kosten. Der Staat hat seine Mittel aufgestockt, aber bei weitem nicht genug. "Wir behandeln 26.000 Personen im Jahr, davon 12.000 ambulant", sagt Antonyak. "9000 stehen vor der Lawra-Klinik Schlange und können nicht behandelt werden." Die Kosten für Medikamente soll offiziell der Staat übernehmen. "Aber wenn keine Medikamente da sind?" 2011 gab es einen Engpass.

Der Lawra-Klinik im Herzen der Stadt nahe der Höhlenkloster droht zudem die Schließung. Das Aushängeschild für HIV-Therapie soll im Sommer umgesiedelt werden. Wohin, weiß Antonyak nicht. "Die wollen das Gelände rund um den Tourismus-Hotspot von Aids befreien", sagt sie. "Die Regierung schenkt leider vielen Fragen von uns keine Aufmerksamkeit." (David Krutzler aus Kiew, DER STANDARD; Printausgabe, 5.3.2012)

Via: derstandard.at


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