Die Femen-Frauen sind aber aus einem ganz anderen Holz geschnitzt als wir Dämmer-Demonstranten damals in den 80er Jahren. Zum Glück waren die Demonstrantinnen früher noch nicht halbnackt.
Und jetzt? War immer meine Frage, wenn ich bei einer Demonstration mitging. Es geschieht eigentlich immer nichts. Es gibt nichts zu trinken. Es gibt kein Wanderziel, das einen schönen Ausblick anzubieten hätte. Ein Tor schießt auch keiner.
Demonstrationen sind langweilig. Für einen nachdenklichen Spaziergang sind viel zu viele fremde Leute um einen herum. Als ich mit anderen den „Druck der Straße“ entfaltete, ging mindestens eine Nervensäge mit Megafon mit. Durch das der Wichtigtuer dann Parolen, Forderungen oder schlimme Reime skandierte. Eskortiert wurden wir von Polizisten, die auch nicht wussten, wohin mit sich. Die Beamten guckten immer sehr besorgt. Was Privates, dachte ich mir.
Bevor er sich in seine schickste Schutzkleidung warf, musste sich der Schutzmann Vorwürfen der Partnerin stellen. Nie hast Du Zeit für mich. Wir wollten doch neue Übertöpfe für den Balkon besorgen, wer geht denn jetzt wegen dem Urlaub mal im Reisebüro fragen? Solche Vorwürfe stellte ich mir vor.
Da ich nicht an gewalttätigen Demonstrationen teilgenommen habe, kamen wir auch nie ins Fernsehen. War aber auch nicht weiter schlimm. Denn mitunter war ich über den Inhalt unseres Protestes nicht präzise im Bilde. Es konnte vorkommen, dass ich nur vor mich hin ging, weil ein Bekannter gesagt hatte, es sei Demo und wir müssten teilnehmen. Wie Kindergottesdienst. Den man auch ohne innere Bindung besucht, weil sonst die Eltern, die Großeltern und der Pfarrer sauer sind.
Lust zu empfinden, das war nicht gern gesehen
Was wäre besser gewesen, wenn wir uns ausgezogen hätten? Immerhin hätte das damals, Ende der 80er Jahre, besser ausgesehen als heute. Wir waren junge Leute. Ahnten nicht, an welchen ungünstigen Stellen später Haare wachsen sollten. Und wo sich unsere Körper kahl wetzen würden.
Zum Glück musste ich unsere politischen Kameradinnen nicht halbnackt um mich haben. Nichts als Komplikationen hätte das bedeutet. Selbstverständlich kannte ich schon damals kaum einen schöneren Anblick, als den einer nur unzureichend bekleideten Frau. Aber Lust zu empfinden, erotischen Kitzel zu spüren, das war in der Gruppe nicht gern gesehen.
Schließlich würde ich mich nicht nach Sinnlichkeit sehnen. Sondern danach trachten, Macht über eine Frau auszuüben. Erklärten mir meine grünen Parteifreundinnen. Ungezielte Wollust gehörte zu den untersagten Regungen. Ebenso wie das Rauschgefühl, schnell in einem tollen Auto zu fahren. Oder in einer Riesenbadewanne ein Vollbad zu nehmen. Zum Glück gab es auch gestattete Gefühle. Wie Angst. Angst vor dem bestimmt bald toten Wald. Angst vor Atomkraft und ganz generell Angst vor Krieg. Gegen die Öde auf einer Demo konnten wir dann immerhin versuchen, gemeinsam Angst zu haben.
Die Frauenbewegung Femen protestiert anlässlich des von ihr ausgerufenen Tages des Oben-Ohne-Dschihads in zahlreichen europäischen Städten gegen Islamismus.
Foto: AFP
Die Frauen, die gegen Putin in Hannover demonstrierten, sind aber aus einem ganz anderen Holz geschnitzt als wir Dämmer-Demonstranten damals. Furchtloser, mit einem viel gefährlicheren Gegner als die Bundesregierung von Helmut Kohl.
Aber weil klar ist, was diesem Putin und seinen Verbündeten zuzutrauen ist, wären die Frauen vielleicht besser bekleidet geblieben. Denn es ist meine Zuversicht, dass gegen die langweiligen Instrumente der Demokratie letztlich selbst der Autokrat Wladimir Putin machtlos ist.
Jörg Thadeusz, RBB-Moderator
Via: berliner-zeitung.de
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