Nackt, mit Flammen in den Augen

Die "Sextremistinnen" der ukrainischen Gruppe Femen im Gespräch mit dieStandard.at über oben ohne als gezielte Protestästhetik

Sie begeben sich gezielt dorthin, wo viele Medien sind, und dank ihres Äußeren ziehen sie deren Interesse schnell auf sich. Knappe Shorts, Netzstrümpfe, oben ohne, wallendes blondes Haar und ein folkloristischer Blumenkranz im Haar. Doch was die jungen Frauen alias Femen tun, bricht mit dieser Softporno-Ästhetik gänzlich: Sie halten Plakate mit feministischen Forderungen in die Höhe und hören auch dann nicht auf, ihre Slogans rauszuschreien, wenn die Polizei sie brutal von der Straße zerrt.

Die seit 2008 bestehende Gruppe Femen startete ihre Proteste in Kiew. Mittlerweile reisen sie mit ihrem "Sextremismus", wie sie ihre Arbeit nennen, um die Welt - ob barbusig gegen Sextourismus vor dem Vatikan oder beim Weltwirtschaftsforum in Davos, wo sie laut "Poor because of you" skandierten. Die letzten spektakulären Bilder von Femen stammen aus einem Wahllokal in Moskau, wo sie sich "I steal for Putin" auf ihren nackten Oberkörper schrieben. 

Die Aktionen von Femen sind alles andere als ungefährlich. In Davos sahen sie sich von zahlreichen Scharfschützen auf Dächern umzingelt und ein Protest gegen den weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko wurde brutal unterbrochen. Die Frauen wurden in einen Wald verschleppt, wo ihnen die Haare geschoren wurden. "Sie haben uns dort einfach zurückgelassen", erzählten Alexandra Schewtschenko und Inna Schewtschenko bei ihrem Besuch vergangene Woche in Wien auf Einladung der Grünen.

Beate Hausbichler sprach mit Alexandra Schewtschenko über Chancen und Gefahren des nackten Protestes.

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dieStandard.at: Es gibt Fotos, wie Sie fast nackt bei Aktionen von Polizisten von der Straße gezerrt werdet - das wirkt besonders brutal. Sie werden von offizieller Stelle am Protest gehindert und auch noch ohne Kleidung, völlig schutzlos, körperlich angegriffen. Wie gehen Sie persönlich damit um, dass Sie sich quasi doppelt aussetzen, als Protestierende und als nackte Frau?

Alexandra Schewtschenko: Die Bereitschaft, sich dem auszusetzen, kommt nicht von selbst. Es ist das Ergebnis von längeren psychologischen und körperlichen Übungen, die wir in unseren Arbeitsgruppen immer wieder durchführen. Wir versuchen uns davon zu überzeugen, dass wir nichts Illegales tun. Wenn wir weggeschleppt werden, müssen wir das Gefühl behalten, dass wir im Recht sind. Und wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die ganze Welt sieht, was da mit uns gemacht wird, dass Rechte missachtet werden. Der nackte Körper, der besonders schutzlos wirkt, ist ein sehr gutes Bild dafür.

dieStandard.at: Junge Frauen ziehen sich aus und die Kameras halten drauf, das überrascht eigentlich nicht. Was tut ihr dagegen, dass sich die Medien ihr eigenes Bild von Femen zimmern? Ihr habt etwa eine Aktivistin, die über 60 ist, die aber auf den Fotos der Agenturen nie zu sehen ist.

Schewtschenko: Wir machen sehr viele Aktionen und diese ältere Aktivistin ist oft dabei - es gelangen nicht immer alle Bilder in alle Länder. Wir teilen uns für die Proteste auf, sie war etwa bei dem Protest gegen die Erhöhung des Rentenbeitrages in der Ukraine vor dem Ministerkabinett dabei.

Aber generell sind unsere Zielgruppe tatsächlich jüngere Frauen. Dafür gibt es mehrere Gründe: Wir betreiben viel aufklärerische Arbeit, und es ist oftmals schwierig, eine verheiratete Frau über 30 mit Haushalt und Kindern zu überzeugen. Daher setzen wir Hoffnung in Frauen um die 20, weil sie noch eher umdenken könnten und sich von unserem Weltbild überzeugen lassen. Es ist erstaunlich, wie unpolitisch und passiv viele sind, und genau diese Frauen sind die potenziellen Opfer von Sextourismus.

dieStandard.at: Der Pressetermin mit euch hier in Wien war von einem für das Thema Feminismus ungewöhnlichen Medieninteresse begleitet, vor allem an Bildmaterial. Ihr entsprecht auch ganz dem gängigen Schönheitsideal und seid sehr jung. Welche Rolle spielt Attraktivität bei Femen? Wie viel trägt sie zum Medieninteresse bei?

Schewtschenko: Letztendlich zählen bei Femen der Mut und die Bereitschaft, sich nackt zu zeigen. Ein Beispiel: Wenn wir uns zu Sitzungen in einer Kiewer Kneipe treffen, fallen wir nicht weiter auf. Aber wenn dieselben Frauen sich bei Aktionen ausziehen, sehen sie schon ganz anders aus - da kommt dieser irre Blick dazu, fast schon mit Flammen in den Augen. (lacht) Aber im Ernst: Die Entscheidung, sich zu überwinden, trägt zum Äußeren viel bei. Eine bestimmte Körperhaltung, die von einem mutigen Bewusstsein kommt - ich würde da von einer Protestästhetik sprechen, die in unserem Auftreten das Wesentliche ist.

dieStandard.at: Sie haben das Thema Sextourismus schon angeschnitten. Der Kampf dagegen steht offenbar ganz oben auf eurer Liste.

Schewtschenko: Ja. Die Ukraine ist in letzter Zeit zu einem Mekka für Sextouristen geworden. Das lässt sich etwa über die Lage erklären, die Ukraine liegt näher an Europa als asiatische Länder. Außerdem ist es billig und aufgrund einer guten Hotelinfrastruktur auch komfortabel, und: Die jungen Frauen sind gesund. Den Sextourismus bedienen nämlich nicht langjährige Prostituierte, sondern ganz naive Mädchen, die auf einen europäischen Prinzen warten.

dieStandard.at: Prostitution ist in der Ukraine zumindest offiziell verboten. Was fordert Femen in Hinblick auf Prostitution und Sextourismus noch?

Schewtschenko: Ein Verbot allein reicht nicht. Wir wollen, dass die Verantwortung nicht auf die Frauen abgeschoben wird, sondern dass der Kunde kriminalisiert wird. Männer betrachten Frauen als eine Ware, die verkauft werden kann, verkauft werden darf und schließlich auch verkauft werden muss.

dieStandard.at: Wie reagieren eigentlich die Sexarbeiterinnen selbst auf euren Protest?

Schewtschenko: Sie reagieren gar nicht. Sie gehören in der Ukraine zu einer Gruppe besonders erniedrigter und rechtloser Frauen. Sie denken schon wie Sklavinnen, die meisten haben keine Meinung zu ihrer Situation.

dieStandard.at: Ich frage deshalb nach der Reaktion von Sexarbeiterinnen, weil es in vielen europäischen Ländern auch Vereinigungen von Sexarbeiterinnen gibt, die kein Verbot wollen, sondern für ihre Rechte als Prostuierte eintreten und wollen, dass ihr Beruf als solcher anerkannt wird. Sie lehnen es ab, als Opfer betrachtet zu werden, und betonen, dass sie sich selbstbestimmt für diese Arbeit entschieden haben.

Schewtschenko: Ich glaube kaum, dass die Frauen, von denen Sie sprechen, das freiwillig machen. Es könnte sein, dass Zuhälter diese Frauen beeinflussen. Ich habe mit sehr unterschiedlichen Prostituierten gesprochen, und keine einzige meinte, dass sie das gerne macht oder dass sie sich das für ihre Freundinnen oder Kinder wünscht. Ich habe auch mal ein Experiment gemacht und einer Prostituierten gesagt, dass ich gerne in einem Bordell arbeiten würde. Sie hat mir abgeraten, obwohl sie sich davon Gewinn erwarten kann. Durch das Akquirieren von Neuen bekommen die Frauen Privilegien.

Vielleicht sind in Europa die Bedingungen für Prostituierte besser als in der Ukraine. Dennoch glaube ich, dass sie unter einem starken Einfluss ihrer Zuhälter stehen. Ich würde das als Stockholmsyndrom bezeichnen. Frauen haben sich an den Gedanken gewöhnt, dass sie ein Sexobjekt sind, und glauben schon selbst, dass Sexarbeit das einzig Richtige für sie ist. In der Ukraine sind wir auch schon so daran gewöhnt, dass wir arm und unglücklich sind, dass wir nicht mehr dagegen kämpfen. Wir glauben, dass das schon so in Ordnung ist.

dieStandard.at: In der Ukraine haben einige gefordert, während der Fußball-EM 2012 das Prostitutionsverbot aufzuheben. Wie wird das argumentiert?

Schewtschenko: Die Argumente sind so wie in der ganzen Welt. Es gibt die angebliche Sorge um die Gesundheit der Prostituierten, oder dass es die Gewalt in den Bordellen verhindern würde. Doch das ist nur Männergerede, um zu rechtfertigen, was sie tun - nämlich mit Menschen handeln.

Das einzige ehrliche Argument ist, dass viele Fußballfans in die Ukraine kommen, die unterhalten werden sollen. Und was können wir als armes Land an Unterhaltung bieten? Frauen! 

dieStandard.at: International wurde Femen relativ zeitgleich mit den "SlutWalks" bekannt, also im Laufe des letzten Jahres. Identifiziert ihr euch mit der Idee dieser Bewegung? 

Schewtschenko: Genau so, wie die "SlutWalks" auftreten, haben wir schon vor vier Jahren in der Ukraine begonnen. Wir halten uns schon für die Begründerinnen dieser Art des Protestes, aber leider ist die Medienwelt in Europa so, dass nur das, was in Kanada, den USA oder Europa stattfindet, Interesse weckt. Für uns an der Peripherie interessiert man sich da nicht. Aber trotz dieser leisen Bitterkeit darüber sind wir sehr froh, dass die "SlutWalks" existieren.

dieStandard.at: Femen hat im Pressegespräch angekündigt, die Weltherrschaft anzustreben - wie würde eine von Femen beherrschte Welt aussehen?

Schewtschenko: Sie wäre ein Matriarchat. (lacht) Aber ganz im Ernst: Wir brauchen diesen Protest dringend. Doch auch wenn alle unsere Forderungen erreicht wären, würde es eigentlich nichts Neues geben - das steht ja alles in Verfassungen, in allen Gesetzbüchern, die zwar gut klingen, aber nicht verwirklicht sind. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 8.3.2012)

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Via: diestandard.at


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The mission of the "FEMEN" movement is to create the most favourable conditions for the young women to join up into a social group with the general idea of the mutual support and social responsibility, helping to reveal the talents of each member of the movement.

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