Zwei Männer, ein Auto, ein Café in Tunis: Die Szene, die Amina beschreibt, könnte aus einem Fernsehkrimi stammen. Mit Freunden sitzt sie Ende März in einem Café in der tunesischen Hauptstadt, ihrer Heimat. Der Mann, der sie packt und brutal zu Boden stößt, ist ihr Cousin – der andere sein Vater. Sie nehmen ihr das Handy weg, zerstören die SIM-Karte, schubsen sie in ein Auto. Amina kauert sich vor der Laptop-Kamera zusammen, verschränkt die Arme vor der Brust. So sei es gewesen. "Ich konnte mich nicht bewegen", erzählt sie via Skype.
Amina glaubt, dass ihre Freunde sie verraten haben. Ihre Stimme klingt sachlich, ernüchtert. Die Männer hätten sie zum Haus ihrer Tante gefahren, wo sie sie schlugen. Mit Pfefferspray habe sie versucht, sich zu wehren. Er half nichts. Erst als ihr Vater kam, hätten sie aufgehört: "Hört auf, das dürft ihr nicht." Die nächste Erniedrigung habe sie im Haus ihrer Großmutter über sich ergehen lassen müssen: "Zwei alte Frauen aus meiner Familie brachten mich in die Küche und sagten, ich solle mich ausziehen. Sie wollten sehen, ob ich noch Jungfrau bin." Der Horror sei das gewesen.
"Eure Tochter ist verhext"
"Wir wussten nicht, was los ist. Deine Familie sagte, dass du im Krankenhaus bist, dass du alles bereust." Inna Shevchenko – wie Alexandra Shevchenko eine der Gründerinnen von Femen – ist auf der anderen Seite der Leitung. Es ist das erste Gespräch seit langem. Anfang April hatten sechs Aktivistinnen vor der Ahmadiyya-Moschee in Berlin Wilmersdorf für Amina und gegen die religiöse Unterdrückung von Frauen protestiert. Wochenlang war sie verschwunden gewesen.
Salafisten-Prediger Almi Adel hatte der tunesischen Zeitung "Kapitalis" gegenüber die Steinigung der 19-jährigen gefordert, nachdem sie Nacktfotos im Internet von sich veröffentlicht hatte. "Mein Körper gehört mir und ist für niemanden eine Frage der Ehre" hatte sich Amina in arabischen Buchstaben auf Brust und Bauch geschrieben.
Kein Internet, kein Telefon: Die Familie verbat Amina jeglichen Kontakt zum Rest der Welt. Sie hätten sie gezwungen, vor laufender Kamera zu sagen, sie sei gegen eine Aktion, bei der Femen-Aktivistinnen eine schwarze Salafisten-Flagge verbrannt hatten. Amina hatte die Szene nie gesehen. Von Besuchen bei Therapeuten und stundenlangen Moralvorträgen berichtet Amina. "Sie legten mir die Hände auf den Kopf und lasen aus dem Koran. Dabei bin ich Atheistin." Von einem Imam zum nächsten hätten ihre Eltern sie geschleppt: "Eure Tochter ist verhext, sie hat das gegen ihren Willen getan", sagten sie.
"Ich bereue die Bilder nicht"
Die Familie brachte sie in ein kleines Dorf. Sie kannte die Menschen nicht, bei denen sie sie absetzten, sagt Amina. Sie versuchte zu fliehen, hielt an einer Straße ein Auto an und bat um Hilfe. "Aber sie haben mich gekriegt und angeschrien." Warum sie das getan habe? Sie solle aufhören, der Familie so etwas anzutun. Mit starken Medikamenten hätten sie sie ruhig gestellt – zwei Wochen lang.
Amina sagt nicht, wo sie gerade ist – nicht in Tunis bei ihrer Familie jedenfalls. Sie ist geflohen, nachdem man sie zurückgebracht hatte. "Du musst Tunesien verlassen", hatte eine Anwältin gesagt, die Amina zufolge selbst Feministin ist.
Amina denkt nicht daran, Tunesien zu verlassen – nicht ohne vorher noch einmal oben ohne zu protestieren. "Ich will das weiterführen, was ich hier begonnen habe – in Tunesien. Danach gehe ich." Ihre Mutter habe ihr etwas Seltsames erzählt: Sie soll in ihren Armen gelegen und geweint haben. Die Mutter habe sie gefragt, was los sei. "Die Bilder, Mama, die Bilder." Amina kann sich daran nicht erinnern. "Ich bereue die Bilder nicht."
Für Alexandra Shevchenko, die seit Anfang des Jahres die Aktionen für Femen in Deutschland organisiert, gibt es keinen Grund aufzugeben: "Ich habe geweint, als wir lange nichts von Amina gehört hatten. Es war der Horror. Aber wenn wir nicht gekämpft hätten, wäre sie jetzt vielleicht schon tot." Auch Inna lässt keinen Zweifel am Kampfgeist der Organisation: "Wir lieben dich Amina, wir sind stolz auf dich. Lass uns weiter kämpfen", sagt sie, bevor sie das Videotelefonat beendet.
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Via: welt.de
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