Paris - Das Pariser Theater „Lavoir Moderne“ scheint Mittagsschlaf zu halten. Ganz still ist es im Foyer. Der Lärm des von Schwarzafrikanern und Arabern belebten Stadtviertels „Goutte d’Or“ findet nicht den Weg ins Foyer, sowenig wie das grelle Sonnenlicht. Schwere Deckenbalken halten das 150 Jahre alte Gebäude zusammen. Eine Holzstiege führt vom Foyer hinauf ins Obergeschoss. Die Tür am Ende der Stiege steht offen. Am Vortag war sie verschlossen gewesen. Anne hatte erzählt, dass es „dahinter heftig zur Sache geht“. Anne ist im „Lavoir Moderne“ das Mädchen für alles. „Sie hält den Laden zusammen“, hatte ein am Tresen der Theaterbar lehnender Mitarbeiter anerkennend gesagt. Um das Obergeschoss muss sich Anne allerdings nicht kümmern. Dort hält jemand anders den Laden zusammen: Inna Schewtschenko, die Gründerin der Frauenrechtsbewegung Femen.
Die Ukrainerin hat im ersten Stock das neue Hauptquartier der Bewegung eingerichtet – Trainingscamp inklusive. Rund 20 Mitstreiterinnen hat die 22-Jährige mit den blonden Engelslocken angeworben, die ihrer Heimat im August den Rücken gekehrt und in Frankreich Asyl beantragt hatte. Kaum formiert, war Femen France auch schon zum Angriff übergegangen, im Visier den alten Feind, das Patriarchat im Allgemeinen, die Kirche im Besonderen. Die Brüste entblößt, schwarz glitzernde Parolen auf den attraktiven Leib gepinselt, mischten Schewtschenko und ihre Mitstreiterinnen Mitte November eine Massenkundgebung überwiegend konservativer, kirchentreuer Bürger auf, die gegen die geplante Einführung der Homo-Ehe auf die Straße gegangen waren. Schlägertrupps der rechtsradikalen Jeunesses Nationalistes (Nationalistische Jugend) machten Jagd auf die ungebetenen Demonstrantinnen, richteten sie übel zu.
Kleine Gruppen gibt es weltweit: ob in Brasilien . . . AP
Im Februar folgten in der Pariser Kathedrale Notre-Dame Freudentänze zur Feier des Papst-Rücktritts. Am Körper einen schwarzen Slip und Parolen wie „Pope – Game over“ oder „Saved by the Hell“, bearbeiteten die Frauen Glocken mit Stöcken. „Nacktheit ist Freiheit“, schallte es durchs Kirchenschiff. Touristen schauten gebannt zu oder entschlossen weg. Teilnahmslos schaute niemand.
„Es ist besser, wenn ich als Frau deine Bitte um einen Gesprächstermin vortrage“, hatte Anne tags zuvor gesagt und sich auf den Weg ins Obergeschoss gemacht. „Wenn sie dich treffen wollen, rufen sie dich am Abend auf dem Mobiltelefon an“, lautete die aus dem Femen-Hauptquartier überbrachte Botschaft. Sie wollten nicht, das Telefon blieb stumm. Aber jetzt steht die Tür offen.
Hier also trainieren sie. Der Boden ist mit Matten ausgelegt. Von Deckenbalken baumeln Stromkabel und ein an Metallketten befestigter Punchingball. Zersprungene Fensterscheiben, von den Wänden blätternder Putz und ukrainisch anmutende Kälte verbreiten Arbeitsatmosphäre. Ein Transparent appelliert an Novizinnen: „Seid sextremistisch, geht raus, zieht euch aus und gewinnt!“ Auf einer zweiten Banderole prangt das Femen-Kredo: „Unsere Mission ist der Protest, unsere Waffe sind unsere bloßen Brüste.“ Vor dem geistigen Auge laufen Szenen des Dokumentarfilms ab, den die feministische Journalistin Caroline Fourest gedreht hat: Schewtschenko, wie sie eine Ansprache an „neue Soldatinnen“ hält. Der Femen-Nachwuchs in Reih und Glied, Arme und Beine gespreizt, ein lebendiges X am anderen, dann am Boden liegend, sich aus imaginären Polizeigriffen windend, brüllend aus Leibeskräften. Nicht zu vergessen die Grundausbildung: Die Liegestützen, die Sit-ups, das Boxen.
. . . in Berlin beim Protest gegen Nazis . . . dpa
Die Holztreppe knarrt. Schewtschenko und zwei Gefährtinnen stehen nun leibhaftig im Camp. Sie halten inne, mustern den Eindringling. Die Femen-Chefin erlaubt sich, was sie sich und ihren Mitstreiterinnen bei Protestaktionen strikt verbietet – ein Lächeln nämlich. Trotz hoher Absätze ist sie kleiner, als Fotos und Filme glauben machten. Sehr bestimmt wirkt sie – und dann doch fast schüchtern. Was also streben die Femen-Frauen in Frankreich an? Bringen Aktionen, Provokationen, Nacktheit die feministische Sache voran? „Wir theoretisieren nicht gern, wir handeln lieber“, sagt Schewtschenko. Die Frauen erklimmen die nächste Holzstiege, die in den unterm Dach liegenden Wohnbereich führt. Als sie sich außer Hörweite wähnen, kichern sie.
Tags darauf ist Schluss mit lustig. Femen zeigt Sympathisantinnen unten im Theater Fourests Film „Unsere Brüste, unsere Waffen“. Die Regisseurin hat die Brutalität weißrussischer Polizisten festgehalten, die Aktivistinnen nach einer Kundgebung vor dem Sitz des Geheimdienstes misshandeln und nackt in einem verschneiten Wald aussetzen. Schewtschenko ist zu sehen, wie sie in Kiew mit einer Motorsäge ein hölzernes Christuskreuz fällt – eine Aktion, der eine Anzeige wegen Blasphemie, ein Haftbefehl und die Emigration nach Frankreich folgen sollten. Die Ägypterin Aliaa Magda Elmahdy kommt zu Wort, die in Schweden vor der Botschaft ihres Landes nackt gegen die Unterdrückung muslimischer Frauen protestiert hat. Das Licht geht an. Eine Zuschauerin steht auf. „Ich bin auch Muslimin, ich würde gern bei euch mitmachen“, sagt sie. Beifall brandet auf. Schewtschenko bittet die Kandidatin auf die Bühne.
. . . oder in Italien vor der Papstwahl.AP
Auch einige Männer sind gekommen. Der mit dem Abdruck der Mohamed-Karikaturen ins Rampenlicht getretene Chefredakteur des Satiremagazins „Charlie Hebdo“, Stéphane Charbonnier, preist das Matriarchat als Zwischenschritt zur Gleichberechtigung. „Männer dürfen bei Femen prinzipiell mitmachen, sind bei Aktionen aber unnütz“, stellt Schewtschenko klar. Immer wieder glaubt man, in der Menge alte Bekannte auszumachen. In Zeitungen, Magazinen, Filmen hat man sie schließlich schon gesehen, die zierliche Charlotte etwa, die Angst vor der eigenen Courage zu haben scheint, oder die wehrhafte Russin Anna Hutsol, die sich ums Juristische kümmert. Die Brüste sind an diesem Abend bedeckt, die weiblichen Reize trotzdem offenkundig. Die Gastgeberinnen tragen hautenge Shorts und Tops. Plastikblumenkränze halten wallendes Haar zusammen. „Unser Feind, das sind Diktatur, Kirche, Sexindustrie, Patriarchat“, resümiert Charlotte, „unser Freund ist unser Körper.“ Aus einem Lautsprecher dröhnt „Let’s do it Baby“.
Anders als die Ukraine ist Frankreich freilich keine Diktatur. Die von Femen vehement geforderte Trennung von Staat und Kirche ist hier seit mehr als hundert Jahren vollzogen. Nur drei bis vier Prozent der Bevölkerung sind praktizierende Katholiken. Auch hat sich im Land Simone de Beauvoirs eine durch Vielfalt und Ideenreichtum beeindruckende Frauenbewegung herausgebildet, die gesellschaftliche Debatten anstößt. Wäre es da nicht angebracht, das in der Ukraine entwickelte Konzept zu überdenken, ans westeuropäische Umfeld anzupassen?
Wer Fragen aufwirft, Zweifel anmeldet, setzt sich dem Verdacht aus, die feministische Tat sabotieren zu wollen. Ist es dann noch ein Mann, der theoretisiert, verdichtet sich der Verdacht zur Gewissheit. Ein Frau mit asiatischen Zügen, durch Plastikblumenkranz als Aktivistin ausgewiesen, quittiert die Frage erst mit Ungläubigkeit, dann mit Missbilligung, ja Verachtung. „Schwafele nicht, sei bitte konkret, formuliere eine ganz konkrete Frage“, entgegnet die Femen-Frau.
In seltenen Fällen wird auch angezogen protestiert.dpa
Noemi Lendomer ist gnädiger. Die 20-Jährige hat sich Femen angeschlossen, weil der Freund sie verprügelt und sie begriffen hat, „dass Gewalt gegen Frauen letztlich ein gesellschaftliches Problem ist“. Patriarchalische Strukturen gebe es überall, in der Ukraine wie in Frankreich, sagt sie. In einer von den Medien bestimmten Welt könne man mit Bildern mehr dagegen tun als mit Worten. Femen habe die Konsequenzen gezogen, bediene sich der Medien wie sich diese der Frau als Sexobjekt bedienten, inszeniere Flash-mobs, Happenings. Um hinzuzulernen, studiert Lendomer Kommunikationswissenschaften.
Indes hat Femen sehr wohl Zugeständnisse gemacht ans neue Umfeld. Das von Schewtschenko und anderen verfasste Buch „Femen“ ist der Versuch, intellektuellen Kontext zu liefern, ohne den es nun einmal nicht geht, will man in Paris mitreden. Mit offenen Armen wird Femen von Frankreichs Feministinnen trotzdem nicht überall empfangen. Zumal das kriegerische Gehabe stößt mache ab. Aber es gibt auch Zuspruch. Für die Soziologin und Feministin Liliane Kandel hat Femen „gebracht, was uns hier fehlt, Courage nämlich“.
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