Er heißt Pierre, ist mittleren Alters und optisch nicht das, was du Eyecandy nennst: Typ Muttersohn – Gesicht ohne Eigenschaften, verweichlichter Körper mit Babyspeck überall dort, wo du keinen brauchst. Ein ungebügeltes wabbeliges Hemd, eine knielange formlose Bermudahose, die zwei kurze Beine mit dicklichen Waden preis gibt, sowie ein Paar abgelaufene Flip-Flops komplettieren den Look.
Dieser Pierre schiebt einen Kinderwagen nebst Kind die Straße entlang. Seltsamer Weise ist das nicht einfach, er kann keine zehn Meter zurück legen, ohne von ein paar rüden Typinnen angepöbelt und um Oralsex angelabert zu werden, und ist er nicht willig, dann schreiten sie zur Gewalt.
So sieht das aus, wenn der „Spieß“ mal umgedreht daherkommt, soll heißen die Geschlechtsrollen vertauscht werden. Wenn Frauen das Sagen haben und den sexistischen Chauvi raushängen lassen und oben ohne joggen, naturally. Die Männer dazu stehen unter deren Schlapfen und lassen sich hilflos alles reindrücken, ganz starr vor Kastrationsangst. Wollte die französische Schauspielerin und Filmemacherin Éléonore Pourriat mit ihrem Kurzfilm Majorité Opprimée (Unterdrückte Mehrheit) jedenfalls mal deponiert haben, nämlich vor fünf Jahren.
Das elf Minuten lange Stück heimste damals bei einem Filmfestival einen Preis ein. Nicht wirklich dort, wo Indiefilme aus dem Underground tauchen, sondern in Kiew. Im Westen ging das Werk dann auch nicht wirklich unter, es kam gar nicht erst hoch.
„Ich kam mir damals wie ein Alien vor“, erzählte Pourriat nun dem englischen Guardian, so weltfremd fühlte sie sich.
Das ließ ihr all die Jahre keine Ruhe, also veröffentlichte die Filmemacherin ihren umgedrehten Spieß heuer im Februar auf YouTube und siehe, der Streifen ging ab wie die Hölle. Auf den Sozialen Netzwerken wurde gepostet und gehuldigt, die Onlineredaktionen angesehener europäischer Großformate (Guardian, Welt, Zeit, you name it) erzählten willig die gebotene Geschichte von Pierre nach, setzten launige Bruhahatitel drüber („Das Matriarchat grapscht zurück“) – und veröffentlichten gern den ganzen Clip, war ja gratis. Macht in Summe (derzeit) jeden Tag eine gute halbe Million Zugriffe mehr (Stand 16.2.: 6,5 Millionen).
Nach kritischen Annäherungen zum Film sucht man allerdings vergeblich, dabei gäbe es einiges anzumerken. Etwa die altbackene Macke, dem schwachen Geschlecht (hier also dem Mann) eine Opferrolle zu verpassen und sonst nichts. Als wäre der Postfeminismus nie passiert. Der arme Pierre kommt daher wie die Femina der ersten Stunde, als Mode verpönt war und die Achseln noch Haare hatten. Vom „umgedrehten Spieß“ keine Spur, die in die Gegenwart weist, nicht einmal optisch, so schmuddelig gestylt wie Pierre würde sich die Frau von heute nicht tot über den Zaun hängen.
Aber warum erst jetzt diese phänomenale Aufmerksamkeit für die „Unterdrückte Mehrheit“, warum nicht vor fünf Jahren? Nun, meint die Regisseurin, vor fünf Jahren war Feminismus „nicht zeitgemäß“, der „feministische Kampf“ sei erst heute wieder aktuell.
Zwei effektive Argumente
Also nein, das stimmt so nicht. Dieser Kampf ist seit Jahrzehnten unverändert aktuell. Die jähe Aufmerksamkeit hat nichts mit den Inhalten zu tun. Aber die Mittel, welche sie transportieren, sind heute andere. Nicht nur der YouTube-Kanal. Auch die „Vermarktung“. Vor fünf Jahren gewann Pourriats Film mit der Oben-ohne-Joggerin nicht nur in Kiew ihren Preis, vor fünf Jahren wurde außerdem in der Ukraine die Frauengruppe Femen gegründet.
Seither hat der „feministische Kampf“ weitaus effektivere Argumente. Zwei Mittel, die zur Botschaft werden – als Kampftitten. Seit 2010 sind Oben-ohne-Aktionen der augenfälligste Teil des Femen-Konzepts, und welch weltweite Wellen das schlagen kann, weiß man spätestens seit dem spektakulären oberweiten Femen-Gig beim Weltwirtschaftsforum in Davos (2012). Sowas lässt sich auch ein „seriöses“ Blatt nicht entgehen, zumal in medialen Krisenzeiten wie diesen.
Endlich kann man wieder Mammalien ins Blatt rücken, ohne wie ein sexistisches Kleinformat dazustehen, endlich regnet es wieder Zugriffe. Dafür lässt man auch gern das Rührstück von Opferlamm Pierre durch, ohne sich damit kritisch zu befassen. Immer noch besser, als auf Seite 5 eine Manuela in die Wiese zu schicken, wo sie die ersten Schneeglöckchen bewundert und dabei auf Geheiß des Fotografen ihre „Glockerl läuten“ lässt. (© Peter Baumann)
Note to self: Politisch korrekt ist out, korrekte Busenpolitik rules. Ist okay. Man würde sich nur wünschen, dass Filme wie jener von Pourriat etwas zeitgemäßer daher kommen.
Via: zib21.com
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