Zahlreiche Berichte über Unregelmäßigkeiten haben am Sonntag die
Präsidentschaftswahl in Russland überschattet. Umfragen zufolge konnte der
amtierende Ministerpräsident Wladimir Putin mit deutlicher Rückendeckung für
die Rückkehr ins höchste Staatsamt rechnen, das er bereits von 2000 bis 2008
innehatte. Bis zum Mittag registrierten unabhängige Wahlbeobachter in Moskau
allerdings landesweit bereits mehr als 1.000 Beschwerden über Manipulationen
bei der Abstimmung.
Nackt-Proteste von Femen
Zudem gab es im Laufe des Tages Nackt-Proteste der Bürgerrechts-Aktivistinnen
von Femen. Drei junge Frauen erschienen unbekleidet in Moskau in dem
Wahllokal, in dem Putin seine Stimme abgegeben hatte. Mit Filzstiften hatten
sie zuvor Inschriften wie z.B. "Ich stehle für Putin" auf
ihre Körper geschrieben. Auf Fotos war zu sehen, wie Polizisten sie von den
Wahlurnen wegtrugen. Die Aktivistinnen wurden festgenommen.
Web-Kameras in Wahllokalen
Währenddessen teilte das Innenministerium mit, bei einem „heißen Draht“ seien
60 Beschwerden eingegangen. Es gebe aber keine ernstzunehmenden Verstöße.
Regierungschef Wladimir Putin, der aussichtsreichste Kandidat bei der
Abstimmung, hatte den Einsatz von Internetkameras in den Wahllokalen
angeordnet, um Fälschungen zu verhindern.
Die regierungskritische Zeitung „Nowaja Gaseta“ berichtete auf ihrer
Internetseite von sogenannten Wähler-Karussellen: Zahlreiche Studenten oder
Fabrikarbeiter würden reihum mit Bussen in Wahllokale gefahren, um mehrmals
Stimmen abzugeben. Unter den Zehntausenden Wahlbeobachtern landesweit waren
auch viele Prominente wie die TV-Moderatorin Tina Kandelaki, die beim
kremlkritischen Radiosender Echo Moskwy über Verstöße berichtete.
Die Organisation Golos erhielt nach eigenen Angaben auf einer eigens
eingerichteten Internetseite mehr als 2200 Klagen. So kritisierten Wähler,
dass ihnen gesagt worden sei: „Sie haben doch schon gewählt“. Angeblich
wurden zudem massenhaft Wahlzettel in die Urnen gestopft. Nach
Medienberichten wurden hunderttausendfach sogenannte
Wahlberechtigungsscheine ausgegeben, mit denen Bürger auch unregistriert
ihre Stimme abgegeben konnten.
"Diese Wahlen sind nicht frei"
Michail Kasjanow, der dem Präsidentschaftskandidaten Putin einst als
Ministerpräsident diente und später in die Opposition ging, sagte: „Diese
Wahlen sind nicht frei. Wir werden den Präsidenten nicht als legitim
anerkennen.“ Der Oppositionsführer Boris Nemzow sagte: „Das ist keine Wahl,
das ist eine Imitation.“
Putin liegt vorne
Ungeachtet der Empörung nach der von Vorwürfen überschatteten Parlamentswahl
im Dezember und den folgenden Protesten – den größten in Russland seit dem
Ende der Sowjetunion vor 20 Jahren – lag Putin in Umfragen vor dem Urnengang
vom Sonntag bei rund 60 Prozent. Damit würde er seine vier Gegenkandidaten
bereits im ersten Wahlgang schlagen und wie geplant Nachfolger von Präsident
Dmitri Medwedew werden. Dieser soll dafür das Amt des Ministerpräsidenten
übernehmen.
Putins Anhänger loben vor allem die politische Stabilität, für die er nach den
Wirren der postsowjetischen Ära unter Boris Jelzin gesorgt hatte. „Unter
Boris Nikolajewitsch (Jelzin) war das Leben ein Albtraum, aber jetzt ist es
in Ordnung“, sagte der 51-jährige Alexander Pschennikow, der in Moskau seine
Stimme für Putin abgab. „Jetzt ist es gut, ich bin zufrieden mit der
gegenwärtigen Situation.“
Putin war bereits von 2000 bis 2008 Präsident. Eine direkte dritte Amtszeit
verwehrte ihm die Verfassung. Er wechselte ins Amt des Ministerpräsidenten
und überließ seinem Gefolgsmann Medwedew das Präsidentenamt. Bei einem Sieg
am Sonntag tritt Putin als erster eine sechsjährige Amtszeit an. Mit einem
weiteren Sieg 2018 könnte er fast ein Vierteljahrhundert mächtigster Mann in
Russland werden - die längste Zeit seit Josef Stalin Mitte des vergangenen
Jahrhunderts.
Im Westen Russlands sollten die Wahllokale am Sonntag um 18.00 Uhr (MEZ)
schließen. Im äußersten Osten hatten sie bereits am Samstagabend um 22.00
Uhr (MEZ) geöffnet.
Via: bz-berlin.de
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