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Schreie am Kaukasus

Russlands Pussy Riots und die ukrainische Femen haben es vorgemacht: Feminismus muss laut sein, um gehört zu werden. Nun ist es auch in Georgien vorbei mit der Ruhe.

«Frauen sollen gleichzeitig Hure und Mutter sein»: Tamar Chergoleischwili, Direktorin des Medienunternehmens Tabula.

«Frauen sollen gleichzeitig Hure und Mutter sein»: Tamar Chergoleischwili, Direktorin des Medienunternehmens Tabula.
Bild: Media.ge

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Das Fernsehen ist schuld. Realityshows, die vorgeben, Frauen – vor allem hübsche – seien weniger intelligent als Männer. «Women's Logic» soll anhand einfacher Fragen, welche die kichernden Mädchen in High Heels kaum beantworten können, aufzeigen, dass männliche und weibliche Logik unterschiedlich ist. Oder die Sendung «Mutter des Jahres»: Alles ist erlaubt, auch Tiefschläge, um sich gegen die anderen Mütter durchzusetzen. Einzige Bedingung: Immer lächeln! Jetzt platzt den Georgierinnen der Kragen. Sie wollen sich das sexistische Bild der georgischen Frau, das die TV-Formate und die Werbung verbreiten, nicht mehr gefallen lassen. (Lesen Sie auch: «Der feministische Jahresrückblick».)

Eine Frau ist halb so viel wert wie ein Mann

«In Georgien ist Machismus kulturell bedingt.» Die 24-jährige Natia Kharatischwili, welche als Minderjährige von ihren Eltern zu einer Hochzeit gezwungen worden war, um nach ihrer Vergewaltigung die Familienehre zu retten, hat keine Angst, ihren Widerwillen auch öffentlich zu machen. «Eine Frau, vor allem eine Alleinstehende, ist in diesem Land nur halb so viel Wert wie ein Mann.» Die öffentliche Lesung der «Vagina-Monologe» war letztes Jahr ihre Art, den Missmut auszudrücken. Dass sich das Mitglied von Identoba (eine NGO, welche gegen Diskriminierung in Georgien kämpft) nicht nur Freunde macht, nimmt es in Kauf. «In Georgien ist es schlimmer, eine Feministin zu sein als ein Serienkiller», sagt Kharatischwili in einem Interview mit der französischen Zeitung «Le Figaro». (Lesen Sie auch: «Plötzlich ist überall Feminismus».)

In Georgien sind gemäss einer Studie der europäischen Grünen 55 Prozent der Frauen wirtschaftlich aktiv. Dennoch liegt die Lohnschere bei 30 Prozent. Im Parlament sitzen gerade 7 Prozent Frauen. Paradoxerweise waren es die ökonomischen Schwierigkeiten der letzten Jahre, welche die Frauen in den Arbeitsmarkt drängten. Wie in Kriegen oft der Fall, waren Mütter während der diversen Konflikte mit den völkerrechtlich umstrittenen Staaten Abchasien und Südossetien, die der Unabhängigkeit 1991 folgten, gezwungen, ihre Familien zu ernähren. Heute noch sind Jobs im Dienstleistungssektor meist von Frauen besetzt.

Urkunde für Jungfräulichkeit gefordert

Doch das heisst noch lange nicht, dass Frauen im Kaukasus deswegen einen besseren Stellenwert geniessen. Letzten Sommer wollte die Regierung eine Urkunde einführen, die die Jungfräulichkeit junger Georgierinnen bezeugen sollte. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Demonstrationen, Sit-ins und Petitionen wurden mithilfe diverser NGOs durchgeführt. Ein erstes feministisches Café wurde in Tbilisi gegründet, in welchem Suffragetten und ihre Diskussionen willkommen sind. Von ihren russischen und ukrainischen Schwestern namens Pussy Riots und Femen inspiriert, wird die jüngere Generation angehalten, sich der Frauenbewegung anzuschliessen. Sie nennen sich dann zum Beispiel «Partizan Girls». Die Gruppe «sehr wütender» Frauen, die bereits ein paar Tausend Mitglieder umfasst, rebelliert in der Öffentlichkeit vermummt und über Social Media mit einem durchdachten Marketingkonzept 3.0. Sie wollen gehört werden, und zwar «jedes Mal, wenn Werbung oder Politik sich sexistisch geben», wie Baia Patraia in diversen Interviews erklärt. (Lesen Sie auch: «Die feministische Welle».)

Die Soziologin, Autorin und Direktorin des Medienunternehmens Tabula, Tamar Chergoleischwili, erklärt das Aufkommen des lauten Feminismus im Kaukasus damit, dass die Männer nach dem Ende der kommunistischen Ära nicht mehr wissen, wo sie hingehören. «Sie sind nicht mehr Chef ihres Clans. Die aktuelle Krise Georgiens spiegelt sich in der Beziehung zwischen den Geschlechtern wider», schreibt sie in ihren Texten. «Frauen sollen wie Warengut verfügbar sein, aber auch sexy und jungfräulich. Gleichzeitig Hure und Mutter.»

Georgien ist bekanntlich kein Einzelfall. Was das Land jedoch von anderen unterscheidet, ist der «absolut nicht vorhandene politische Wille», erklärt die Direktorin der NGO Taso, Marina Tabukaschwili, die sich seit 20 Jahren mit Frauenrechten beschäftigt. Trotz öffentlicher Figuren wie Nino Bourdjanadze, Muse der Rosenrevolution und spätere Parlamentspräsidentin, gibt es keine Unterstützung seitens der Regierung für die Anliegen der Frauen. Die Justiz hat zwar vordergründig Rechte festgehalten: So wurde bereits 2005 ein Gesetz verabschiedet, welches die Geschlechter gleichstellt und häusliche Gewalt für strafbar erklärt. Doch in der Praxis ist kaum etwas davon zu sehen.

Durch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen beginnt sich auch das Rollenverständnis in Georgien zu verändern. Nur die Wahrnehmung hinkt der Realität hinterher. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)

Erstellt: 29.01.2014, 21:21 Uhr


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