Sturm auf die Bordelle


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Aktion der Frauenrechtsgruppe FEMEN vor dem Kölner Pascha


Sturm auf die Bordelle

Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Das Haupt-Wochenendgeschäft mit Frischfleisch-Fast-Food bis in die frühen Morgenstunden war gelaufen, als am christlichen Sonntagvormittag ein andersartiger Sturm auf das angeblich größte Bordell Europas stattfand. Eine Pressemeute aus Vertreterinnen und Vertretern mit mittlerem und schwerem Kameragerät von Kölner Stadt-Anzeiger bis Bild, Emma, WDR, FrauTV war zur eingeladenen Show-Time in der Kölner Hornstraße erschienen. „Der Mensch ist keine Ware“ skandierten acht junge Frauen im Sprechchor in Kameras und Mikrophone.


„Stoppt Sex-Sklaverei“ – „Fickt die Zuhälter“
Alle Fotos: arbeiterfotografie.com

„Stoppt moderne Sklaverei“ 


„Keine Zwangsprostitution“


„Sex ohne Einverständnis ist Vergewaltigung“

„Im Sexgeschäft gibt es kein Fair Trade“

Mit Geld-zurück-Garantie

Wer oder wo ist Mareike?

Wer oder wo ist Mareike?


„Ich bin frei“


Gezielt gewählt waren Datum und Ort der Aktion am „Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“. „Ich bin frei“ verkündet ein Spruch auf nackter Haut, aber auch „Nackter Krieg“ ist zu lesen. Die Spanne zwischen Wunsch und Wirklichkeit messen die Frauen am liberalen Prostitutionsgesetz der Bundesrepublik Deutschland, das Deutschland „zum Zuhälter Europas“ mache. Nur in Schweden werden (seit 1999) Freier einer Sexdienstleistung bestraft. In Frankreich werden seit 2003 Freier bestraft, die sich mit Prostituierten in „wehrloser Lage“ einlassen – also Abhängigen, Zwangsprostituierten und Kindern.

Der Mensch ist keine Ware

„Es könnte notwendig sein, das ein oder andere individuelle Leben zu opfern,“ formuliert der als Wirtschaftsphilosoph titulierte Friedrich August von Hayek, Verfechter einer so genannten Verfassung der Freiheit, Vater der „Chicago Boys“ einen Grundsatz des von ihm beschworenen Neoliberalismus. Da Deutschland bekanntlich mit Hilfe von Regierungen aller Coleur eifrigst „reformiert“, d.h. wirtschaftskompatibel zugerichet wird, gilt dies selbstverständlich auch im „Dienstleistungssektor“.

„Für die Abschaffung des Menschenhandels und die Ausnutzung der Prostitution durch Dritte“, tritt ein UN-Abkommen von 1949 ein, denn „die Prostitution und der daraus resultierende Handel sind unvereinbar mit der Würde und dem Wert des Menschen.“ Dieses Dokument hat die mit unterzeichnende BRD nicht befolgt sondern im Gegenteil per Dekret im Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (Prostitutionsgesetz – ProstG) im Dezember 2001 mit Wirkung ab Januar 2002 verschärft. Demnach gilt in einem Beschäftigungsverhältnis ein „vorher vereinbartes Entgelt“ als nicht übertragbar und „das eingeschränkte Weisungsrecht im Rahmen einer abhängigen Tätigkeit der Annahme einer Beschäftigung im Sinne des Sozialversicherungsrechts“ steht bei Prostituierten dem „nicht entgegen.“

Das bedeutet auch: Dienstleistung in Sachen Sex ist „Ein Beruf wie jeder andere“. In einem – von Paula Keller entworfenen (Infobrief 22) – fiktiven Arbeitsvermittlungsgespräch zwischen den mitwirkenden Personen Vater und Berater kommt ausschließlich der Berater zu Wort: „Sie haben die Sorge, Ihre Tochter bekommt keinen Ausbildungsplatz? Da man heute nehmen muss, was angeboten wird, will ich Sie auch über folgende Möglichkeit informieren. Seit Januar 2002 hat sich die Palette der typisch weiblichen Berufe um einen vergrößert: Prostituierte, oder im Jargon Sexarbeiterin. Sie staunen? ... Sie schrecken zurück? ... Ihre Tochter könnte Mitglied in der Gewerkschaft ver.di werden. Auf dem Strich zu landen ist doch allemal besser als auf der Straße! ... Sie zögern? ... Sie gucken immer noch so skeptisch! ... Sollte Ihr Töchterchen doch einen Ausbildungsplatz finden, ist ja noch die Frage, was dann? Wenn sie keine Stelle kriegt und irgendwann Langzeitarbeitslose wird, dann ist sie sowieso dran. Da muss sie jede zumutbare Arbeit annehmen, und da gibt es keine rechtliche Untergrenze! Wenn Sie verstehen, was ich meine. – Nun laufen Sie doch nicht weg. Moment!“

„All you can fuck“

Der Mensch ist keine Ware? Irrtum! Alles wird im Kapitalismus zur Ware. Der Kapitalismus trägt selbstzerstörerische kannibalistische Züge. Wie wäre es denn mit Wellness- oder Bio-Sex? „Im Sexgeschäft gibt es kein Fair Trade“, verkünden die feministischen Streiterinnen der globalen FEMEN-Organisation vor dem Kölner „Eros“-Schuppen. Dessen Betreiber habe – laut Bildzeitung – seine Securities angewiesen, nichts gegen die Demonstrantinnen zu unternehmen. Gnädig. Immerhin ist die Straße noch öffentlicher Raum und die polizeilich angemeldete Demonstration wurde von weniger als einer Hand voll PolizistInnen geregelt. Die Security beschränkte sich allem Anschein nach darauf, das Spektakel von einem Balkon herab zu filmen.

In großen Lettern wirbt Pascha mit „Geld-zurück-Garantie“, „Gratisnummer“ und freiem Eintritt. Genau da setzt die Kritik der FEMEN ein. Ausbeutung ist das entscheidende Wort. Und „Sex nach dem Fast Food-Prinzip. Diesen Trend schlägt in Deutschland die Rotlichtbranche ein. In Bordellen findet man zunehmend Aktionen zu Flatrates („All you can fuck“), Happy Hour oder freiem Eintritt. Der Trend breitet sich aus. Frauen und billiger Sex sind wie Fast Food an jeder Ecke, jederzeit und zu einem geringen Preis zu haben. Begleitet wird diese Entwicklung von einem Gewöhnungseffekt. Sexuelle Dienstleistungen werden zunehmend zur salonfähigen Selbstverständlichkeit.“

„Stoppt Sex-Sklaverei“ – „Fickt die Zuhälter“

Die seit Sommer 2012 existierenden FEMEN Germany lassen in ihrer Erklärung verlauten: „Billigsex und Menschenhandel boomen und werden durch das deutsche Recht geschützt anstatt geahndet. Wir protestieren gegen diese würdelose Behandlung von Frauen! Sex ist keine Ware. In der Branche wird die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit von Frauen ausgebeutet und Sex und Frauen zur Billigware degradiert!“ Es melden sich indes auch Männer zu Wort, die diesem menschlichen Raubbau widersprechen, der nicht nur einzelne Körper sondern die Seele einer ganzen Gesellschaft verpestet. Vom Land der Dichter und Denker zum Land der Richter und Henker zum „Land der Freier und Zuhälter“. Deutschland ist schließlich auch ein Land der heimlichen Stricher, hohen Vergewaltigungsraten und der Kinderpornographie. Ein ungebremstes Sexgeschäft soll da Abhilfe schaffen, wie ungebremstes Saufen?

„Flatrate Saufen wird verboten - Flatrate Ficken nicht“

FEMEN betont glaubhaft, dass sie nicht generell gegen Prostitution auftreten. Aber an diesem Tag steht das Thema (in Deutschland) im Vordergrund. Anders in Frankreich, wo an diesem Wochenende an die 100.000 Teilnehmer gegen die seit 1999 in Frankreich erlaubte Homo-Ehe auftreten, bzw. gegen das in Aussicht gestellte Adoptionsrecht für Homo-EhepartnerInnen. Befürwortende Mitglieder der FEMEN wurden in Paris mit Gewalt in Form von Schlägen und Fußtritten attackiert. Es fließt Blut, selbst von gebrochenen Nasen und ausgeschlagenen Zähnen wird berichtet.

Wie sagte noch FEMEN-Mitgründerin Alexandra Schewtschenko im Gründungsland Ukraine: „Feminismus ist die nötige Ideologie für alle Frauen dieser Welt. (in einem ZEIT-Interview anläßlich der EURO 2012 in der Ukraine) ... Es heißt, dass Frauen und Männer gleichwertig sind. Dass Frauen nicht nur Ehefrauen sind, die kochen, sondern dass sie alle Rechte haben und nutzen. Ich bin außerdem Feministin, um andere Frauen zu Feministinnen zu machen... Uns fehlt die Revolution. Aber wir arbeiten daran.“

KommunistInnen waren zeitweise – und das nicht nur in Afghanistan – schon wesentlich weiter. Dennoch: Feminismus ist nicht nur die nötige Ideologie für alle Frauen dieser Welt, sondern vielmehr ein Überlebensschema für Männer, Frauen, Kinder und den lebendigen Kosmos. Die gesellschaftliche Umsetzung des Feminismus findet in einem würdevollen Miteinander statt. Seine Form ist unter gleichberechtigten, nicht ausbeuterischen nachvollziehbaren Regeln das Matriarchat, in dem Lebewesen keine Ware darstellen. Auch das ist ein Ziel der FEMEN.

Hinweise

http://femen.info/
http://mein-ukraine-blog.de/2012/01/19/wer-oder-was-ist-femen/
http://www.emma.de/news-artikel-seiten/facebook-sperrt-emma/
http://www.netzwerk-neoliberalismus.net

Online-Flyer Nr. 383  vom 05.12.2012




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