Zana Ramadani

Frau Ramadani, was ärgert Sie aktuell in den Nachrichten so sehr, dass Sie dagegen gern mit einer Femen-Aktion protestieren würden?
Ramadani: Ich wüsste nicht, wo ich anfangen sollte. Mich ärgern die Anschläge der terroristischen Gruppierung Boko Haram. oder dass Erdogan in Deutschland seine Politik propagiert. Es gibt momentan so viel. Ich will aber nicht verraten, was wir als nächstes planen.

Wie lange im Voraus planen Sie denn eine Femen-Aktion?
Ramadani: Das hängt davon ab, ob es eine nationale oder eine internationale Aktion ist. Die Protestaktion bei „Germany’s Next Topmodel“ haben wir zum Beispiel lange im Voraus geplant, da wir den Termin der Show wussten. So konnten wir wochenlang darauf hinarbeiten. Die meisten Aktionen werden aber maximal drei Tage vorher geplant.

Schicken Sie dann einfach eine Mail an potentielle Aktivistinnen raus?
Ramadani: Man weiß vorher schon, wen man wo hin schicken kann. Das ist von der Aktion und der Aktivistin abhängig und davon, wer Zeit hat.

Ist denn jemand mehr oder weniger geeignet für eine Aktion?
Ramadani: Es gibt Aktivistinnen, die noch keine „Sextremismus“-Aktionen gemacht haben und in der direkten Attacke nicht geschult sind. Die können wir nicht zu einer Aktion schicken, der sie nicht gewachsen sind. Auch wenn es lustig aussieht, kann es extrem gefährlich werden. Wir hatten zum Glück noch nie Knochenbrüche, aber dafür Hemmatome und Schürfwunden. Man muss wissen, wie man fällt und darauf achten, dass man abrollt, wenn man zur Seite gestoßen wird, damit man nicht mit dem Kopf auf den Boden fällt. Solche Sachen trainieren wir.

Haben Sie eine Art Trainingslager für Femen in Deutschland?
Ramadani: Dafür würden uns die finanziellen Mittel fehlen. Aber immer wenn wir wir in einer größeren Gruppe zusammen kommen, üben wir. Manchmal trainieren wir im Wald, ab und zu kriegen wir von Unterstützern auch Räume zur Verfügung gestellt. Es geht auch nicht nur um den Selbstschutz bei einer Aktion, sondern man muss auch wissen, wie man die Botschaft richtig rüberbringt. Ein bisschen kreischen und lächeln bringt nichts – man muss sie mit seinem Gesicht und der richtigen Körperhaltung vermitteln.

Eine Femen-Aktion würde mit Männern in vorderster Front nicht funktionieren.

Niemand will Frauen stark, fordernd, selbstbestimmt, radikal oder aggressiv sehen.

Ich habe mittlerweile fast mein ganzes Erspartes für Femen ausgegeben.

Viele Frauenzeitschriften sind nicht weit von der sexistischen Darstellung in der „Bild“-Zeitung entfernt.

Für uns ist Prostitution die letzte Form von Sklavenhaltung.

Zana Ramadani

Wenn ich bei Femen mitmachen wollen würde, welche Kriterien müsste ich erfüllen?
Ramadani: Als erstes muss man sich natürlich mit dem Manifest einverstanden erklären und verstanden haben, worum es wirklich geht. Femen ist keine Spaßaktion! Sportlich fit muss man nicht unbedingt sein, aber eine gewisse innere Stärke sollte man schon haben, da man sich auf sehr vieles gefasst machen muss.

Wenn ich mich über die Femen-Homepage bewerben will, muss ich ein Foto hochladen. Warum?
Ramadani: Weil ständig Männer versuchen, uns in die Irre zu führen.

Männer bewerben sich zum Spaß bei Femen?
Ramadani: Total viele! Die verstehen gar nicht, worum es geht. Die Frauen hingegen schreiben uns meistens direkt, wieso sie zu Femen wollen oder wie sie auf uns gekommen sind. Über die Kontaktdaten rufe dann ich oder ein anderes Vorstandsmitglied die Bewerberin an und man spricht erstmal miteinander. Das ist eine Art Vorab-Check, um zu sehen, ob es wirklich ernst gemeint ist.

Könnten Männer theoretisch mitmachen?
Ramadani: Natürlich. Wir haben ja auch männliche Unterstützer. Wir schließen Männer nicht aus, aber eine Femen-Aktion würde mit Männern in vorderster Front nicht funktionieren. Unsere Protestform wirkt nur mit Frauen so provokant.

Aber wie lange wird Protest mittels Nacktheit noch wirken? Die holländische Autorin Myrthe Hilkens beispielsweise spricht vom Trend der „Pornofizierung“ der Gesellschaft, durch den alle möglichen Lebensbereiche sexualisiert werden.
Ramadani: Ja, man will uns Frauen ja nur in einer Art und Weise sehen: schön, halbnackt, hochsexualisiert und in dieser Porno-Richtung. Immer nett, immer in einer gewissen Opferrolle, immer mit diesem halb geöffneten Mund – wartend auf den Mann. Doch niemand will Frauen stark, fordernd, selbstbestimmt, radikal oder aggressiv sehen. Deswegen ist die Reaktion auf uns so heftig.
Wenn es den nackten Protest irgendwann nicht mehr gibt, haben wir schon einen Teil erreicht – dann ist es normal geworden, dass man starke, selbstbestimmte, halbnackte Frauen sieht und ihnen Respekt entgegenbringt.

Nun verkörpern Femen-Aktivistinnen mehrheitlich das vorherrschende Schönheitsideal. Bekämpfen Sie das nicht eigentlich, wie zum Beispiel mit der Aktion bei „Germany’s Next Topmodel“?
Ramadani: Es geht nicht darum, ob eine Aktivistin schön ist oder nicht.

Doch es protestieren bei Femen vor allem schön anzusehende Frauen.
Ramadani: Frauen, die sich nicht zu hundert Prozent wohl in ihrem Körper fühlen, haben ein größeres Problem damit, sich für unsere Protestform zu entscheiden. Das ist aber ein gesellschaftliches Problem! Und es ist sicher abschreckend, wenn man sich beispielsweise die Kommentare unter Fotos von mir durchliest. Da schreiben Leute, ich sei zu fett, mein Busen würde zu weit runter hängen – mein Gott, ich bin 30 Jahre alt! Wenn sich die Schwerkraft bemerkbar macht, ist das völlig verständlich. Dass ich Kleidergröße 38 habe, finde ich schlank!

Gibt es auch Frauen, denen man erst mal erklären muss, dass es bei Femen um mehr als Brüste zeigen geht?
Ramadani: Ja, viele kommen in einem falschen Verständnis zu uns und haben das Manifest noch nicht mal gelesen. Das geht nicht!

Ursprünglich entstand Femen in der Ukraine, der deutsche Ableger Femen Germany e.V. ist seit 2013 registriert. Wie eng ist die Verbindung zur ukrainischen Organisation?
Ramadani: Wir betrachten uns als Freundinnen oder Schwestern und haben täglich Kontakt über E-Mail, SMS oder Skype. Wir haben gemeinsame Interessen und Ziele. Der Unterschied ist, dass wir bei den nationalen Aktionen in Deutschland andere Themen haben. Und dass wir unsere Organisation als Verein in Deutschland anmelden konnten. Aber es eint uns weltweit die gleiche Einstellung und ein gemeinsames Manifest, das allen Themen und Bewegungen zu Grunde liegt. Eine Gruppierung muss sich damit einverstanden erklären und die niedergeschriebenen Ziele verfolgen.

In den letzten Jahren gab es Mutmaßungen darüber, dass die ukrainischen Femen Geld für Protestaktionen bekommen hätten. Würden Sie es verwerflich finden, wenn Teilnehmerinnen bezahlt werden?
Ramadani: Ja, mehr als das. Es geht nicht darum, für Engagement bezahlt zu werden, sondern darum, auf ein Problem aufmerksam zu machen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ukrainerinnen jemals für eine Aktion Geld angenommen haben. Dazu kenne ich die Frauen zu gut.

Wie genau finanziert sich der deutsche Verein?
Ramadani: Ausschließlich aus Eigenmitteln. Mit unseren Vereinsgeldern, die sich aus Spenden und den Einnahmen aus dem Verkauf von Merchandising-Produkten zusammensetzen, versuchen wir lediglich die Fahrtkosten der Aktivistinnen zu den Aktionen zu decken. Hin und wieder kaufen wir auch mal Farbe. Das zahlen wir aber alles immer noch größtenteils selber. Ich habe mittlerweile fast mein ganzes Erspartes für Femen ausgegeben.

Wie würden Sie die Ziele von Femen Germany definieren? Um Frauenrechte allein scheint es ja nicht mehr zu gehen, schließlich wurde auch schon gegen die Arbeitsbedingungen in Katar demonstriert.
Ramadani: Es geht nicht nur um Frauenrechte, sondern um Menschenrechte und Gleichberechtigung. Wir fordern kein Matriarchat, sondern dass jeder Mensch die selben Möglichkeiten hat, die vom Geschlecht und der Sexualität unabhängig sein sollten.

Sehen Sie Femen trotzdem als eine neue Strömung des Feminismus?
Ramadani: Nein. Die Nacktheit, die wir benutzen, ist nichts Neues. Sie ist im politischen Sinne schon im Mittelalter und auch viel früher benutzt worden.

Läuft man mit Femen aber nicht auch Gefahr zu einem Aspekt der Popkultur zu werden?
Ramadani: Sollen wir stattdessen das völlig falsche und dumme Bild von einer Feministin unterstützen, die sich die Haare abschneidet und nicht mehr schminkt? Sollen wir unsere Weiblichkeit verstecken, um uns Feministinnen nennen zu dürfen? Was sollen wir sonst machen, um komplett richtig wahr- und ernst genommen zu werden? Noch nicht mal eine Alice Schwarzer wird ernst genommen! Und das ist eine, die wirklich verdammt viel für unsere Gesellschaft getan hat.

Gab es Zeiten oder Situationen in Ihrem Leben, in denen Sie vom Feminismus genervt waren?
Ramadani: Eigentlich ständig (lacht). Mich nervt extrem, dass sich viele Feministinnen nur noch auf das Schreiben und Bloggen beschränken, wenige gehen auf die Straße und betreiben Feminismus und Aktivismus mit ihrer wahren Identität. Ich habe ein großes Problem damit, jemanden ernst zu nehmen, der sich hinter einem Pseudonym versteckt. In den letzten Jahren war der Feminismus nicht sonderlich in der Öffentlichkeit präsent. Es gab nur noch Alice Schwarzer. Wir Femen haben den Feminismus wieder öffentlich gemacht und aktiv in die Medien geholt.

Kriegen Sie auch Hassmails von Frauen?
Ramadani: Ja, von vielen Netz-und Blogger-Feministinnen. (Seufzt) Die mögen uns nicht!

Was schreiben die so?
Ramadani: Dass wir nicht tiefgründig genug sind und keine Thesenpapiere oder Bücher schreiben. Aber es geht nicht darum, noch zehn feministische Bücher zu schreiben oder tausend feministische Thesen aufzustellen – wir wissen doch, was wir wollen: Gleichberechtigung! Wieso muss das über Jahrzehnte ausdiskutiert werden, bevor man auf die Straße geht und dafür kämpft?

Ist die Beschäftigung mit Theorie im „neuen Feminismus“ wirklich out?
Ramadani: Völliger Unsinn! Wenn man sich für Menschenrechte interessiert, beschäftigt man sich automatisch von Anfang an mit Feminismus. Ich habe die ganze Bandbreite an feministischen Büchern zu Hause. Alice Schwarzers Werke bekam ich mit 15 Jahren von der Mutter einer Freundin in die Hand gedrückt. Genauso würden Sie bei den Aktivistinnen Klara Martens und Hellen Langhorst viele dieser Bücher finden.

Die Feministin Anna-Katharina Meßmer twitterte 2013: „Überlege für die Befreiung der Femen-Frauen zu protestieren. Sie sind Sklavinnen des Mediensystems“. Was entgegnen Sie dem?
Ramadani: (Lacht) Wenn sie meint, wir müssten befreit werden, dann kann sie sehr gerne für uns protestieren! Traurig ist nur, dass sie Frauen gegenüber so frauenfeindlich ist. Das ist Antifeminismus.

Und dass man Sie „Sklavinnen des Mediensystems“ nennt?
Ramadani: Natürlich nutzen wir die Medien, aber das ist wichtig! Wie will man sonst auf ein Problem im großen Stil aufmerksam machen?

Ist die „Bild“-Zeitung ein willkommenes Medium, um Aufmerksamkeit zu erzielen?
Ramadani: Wenn in der „Bild“ etwas abgedruckt wird, erscheint es bundesweit. Es gibt keine Zeitung, die wir bevorzugen. Wir wollen die Themen in die Öffentlichkeit bringen, wenn wir Performance-Aktionen machen, schicken wir die Ankündigung an alle Kontakte, die wir haben.

Dass es in der „Bild“ in 90 Prozent der Fälle bei Frauen um Äußerlichkeiten und nicht um Intellekt geht, stört Sie nicht?
Ramadani: Aber das ist ja nicht nur bei der „Bild“ so. Gucken Sie sich die ganzen Frauenzeitschriften an! Wenn wir so einen Maßstab anlegen, dürften wir denen auch kein Interview geben. Schon auf der ersten Seite steht die neuste Diät oder Tipps, wie man am besten sexy ist. Viele Frauenzeitschriften sind nicht weit von der sexistischen Darstellung in der „Bild“-Zeitung entfernt.

Sie sagten der Presse schon mehrfach, dass Sie gegen das Matriarchat sind. Andererseits sieht man auf der Femen-Homepage eine Aktivistin, die illustrativ einen abgeschnittenen Hoden in die Luft hält.
Ramadani: Das ist der Hoden das Patriarchats – ein symbolisches Beispiel. Nicht alle Männer sollen kastriert werden, sondern den Männern, die das Patriarchat fördern, soll die Macht genommen werden. Viele Menschen verstehen unsere Protestkunst nicht, es gehören auch Ironie, Sarkasmus und Provokation dazu. Wir müssen harte Wörter benutzen, um auf das Problem aufmerksam zu machen

„Sexindustry-Facism“ ist ebenfalls ein Schlagwort auf Ihrer Homepage. Ist das der gleiche Sarkasmus oder ist dieser Vergleich von Prostitution mit Faschismus doch ernster gemeint?
Ramadani: Der ist noch etwas ernster gemeint. Für uns ist Prostitution die letzte Form von Sklavenhaltung. Wir verachten Menschen, die Prostitution erlauben, Männer, die sie nutzen und ebenso Menschen, die Prostitution als normale Beschäftigung ansehen.

Sind sich die Femen-Aktivistinnen bei diesem Thema einig?
Ramadani: Bei uns gibt es darüber keine Diskussion. Wenn man Femen verstanden hat, weiß man, dass es Prostitution in einer guten Gesellschaft ohne Leid nicht geben kann und darf!

Was hat sich in Ihrem Leben durch den Aktivismus bei Femen zum Guten verändert?
Ramadani: Gegen Unterdrückung und Zwänge habe ich mein Leben lang gekämpft. Femen ist für mich eine neue Ausdrucksform für meinen Protest. Es hat mich innerlich stärker gemacht und mir viele Erfahrungen beschert. Aber ich bin mittendrin in den schwierigen Zeiten und erlebe die Konsequenzen meiner Femen-Arbeit. Ich habe im letzten Jahr meinen Job als Rechtsanwaltsfachangestellte verloren. Ich habe mehrere Ausbildungen, ich habe Jura studiert und bin mehr als qualifiziert, aber unter diesen Voraussetzungen ist es mir fast unmöglich, eine Stelle zu bekommen. Ich dachte, in Hamburg, wo ich jetzt lebe, sind die Menschen ein bisschen offener oder verständnisvoller. Und dass sie verstehen würden, dass es bei Femen um etwas Gutes geht. Aber es besteht hier das gleiche Problem.

Weil die Machos unter den Anwälten Sie nicht einstellen wollen?
Ramadani: Ich bewerbe mich nicht in Kanzleien, sondern auf jede kaufmännische Stelle, die ich finden kann. Neulich habe ich mich bei einer Zeitarbeitsfirma beworben, die bekannt dafür ist, sehr sozial eingestellt zu sein. Sogar die sagten: „Es bringt nichts, wenn unsere Kunden Sie googlen.“

Und ganz allgemein die Männer in Hamburg? Gibt es viele Machos?
Ramadani: Die Männer gleichen sich überall (lacht). Es gibt mal mehr mal weniger Machos. Ich bin seit einem Jahr solo und es ist schwierig, einen Mann zu finden, der sich einer selbstbewussten Frau gewachsen fühlt.

Zwei Jahre lang waren Sie Vorsitzende der Jungen Union in Wilnsdorf. Fühlen Sie sich als Kämpferin für Frauenrechte denn wohl in der CDU? Beim Frauenanteil im Bundestag ist sie mit nur 24 Prozent zum Beispiel Schlusslicht.
Ramadani: Das bemängele ich auch in der CDU seit ich Parteimitglied bin. Ich war schon lange vor Femen in der Partei aktiv und habe mich auch in der Frauenunion engagiert. Ich könnte mir selber nicht mehr ins Gesicht schauen, wenn ich in eine andere Partei gehen würde, wo man mich als Frau mit Kusshand nimmt. Damit würde ich es mir sehr einfach machen.

Sie wollen also eine Veränderung der CDU-Politik von innen heraus?
Ramadani: Ja. Natürlich bin ich in der CDU sehr oft gegen eine Wand gelaufen, aber so einfach bin ich nicht unterzukriegen. So leicht bringt mich dieser Alt-Herren-Club nicht aus der Fassung! (Lacht)

Ist so eine Veränderung nicht eine Illusion, wenn man sich anguckt, wie lange es gedauert hat, bis die CDU bei der Frauenquote auf Kompromissvorschläge eingegangen ist?
Ramadani: Ich bin ja nicht allein, von uns gibt es genug. Ich kenne sehr viele bewundernswerte und starke Menschen in der Frauenunion und der LSU (Lesben und Schwule in der CDU). Wenn ich gehen würde, würde ich die anderen engagierten Menschen allein lassen und die rechte Gruppierung in der CDU hätte dadurch noch mehr Macht. Letztendlich ist es doch das, was die wollen – dass ich aufgebe. Ich habe aber in meinem Leben noch nie aufgegeben!

Sie begründeten Ihre CDU-Mitgliedschaft in einem Interview mit den Werten, die im Christentum vermittelt werden.
Ramadani: Die Werte, die ich von Anfang an im Kopf hatte waren Barmherzigkeit, Nächstenliebe und sich für die Schwachen einzusetzen. Das habe ich schon mein Leben lang getan, genauso auch bei Femen heute.

Hielten Sie die Aktion von Josephine Witt, die im Weihnachtsgottesdienst nackt auf den Altar des Kölner Doms stieg, dennoch für richtig?
Ramadani: Ja, denn wir haben ja auf ein Problem aufmerksam gemacht. Der damalige Erzbischof Joachim Meisner hat sich sehr negativ gegen Menschen „anderer Art“ und gegen Frauen geäußert. Aus diesem Grund war die Aktion nötig und gut. Das hatte mit den Gläubigen oder deren Glauben nichts zu tun. Es war eine Aktion gegen patriarchalische Strukturen und menschenverachtende Personen und Strukturen in der Kirche.

Können Sie trotzdem nachvollziehen, dass sich Besucher dieses Gottesdienstes in Ihren religiösen Gefühlen verletzt gesehen haben?
Ramadani: Ja. Aber wenn sie so gute Christen sind, wieso kämpfen sie dann nicht für das Gute? Wieso beseitigen sie die menschenverachtenden Personen oder Strukturen in der Kirche nicht? Wieso müssen wir Femen dafür kämpfen und auf diese Probleme aufmerksam machen? Neulich auf der Islamwoche in Berlin wurde uns auch von Muslimen vorgeworfen, dass wir ihren Glauben beschmutzen und die Gefühle der Gläubigen verletzen. Dabei hat das eine mit dem anderen nichts zu tun.

Es könnte also auch in Zukunft Femen-Aktionen in Gottesdiensten geben?
Ramadani: Es kann überall Aktionen geben. In Kirchen, in Moscheen, in Synagogen – überall!

Ein Internetnutzer kommentierte die Aktion im Kölner Dom mit den Worten: „Hätte sie das in einer Moschee gemacht, wäre sie nicht lebend raus gekommen.“ Haben Sie keine Angst vor Leuten, die zum Beispiel den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard fast umgebracht hätten, weil er Mohammed-Karikaturen gezeichnet hat?
Ramadani: Nein. Ich habe nur die Angst, die wir haben müssen, um uns während der Aktionen selber zu schützen. Ich kriege pro Tag so viele Drohmails! Man wolle mich kaltmachen, weil gerade ich, die ich aus der islamischen Gesellschaft komme, den Islam beschmutzen würde. Aber wenn meine Angst überwiegen würde, könnte ich Femen nicht aktiv leben. Wir sind keine dummen kleinen Mädchen! Wenn man einmal die rosarote Brille abgenommen hat und das ganze Leid überall sieht, dann zieht man es knallhart durch. Das ist wichtiger als Angst zu haben, es ist eine Lebensaufgabe, auf diese Probleme aufmerksam zu machen.

Bis Sie sieben Jahre alt waren, sind Sie in Mazedonien aufgewachsen. Dann kamen Sie mit Ihrer Familie nach Deutschland. Welche muslimischen Werte haben Sie als Kind erfahren, die Sie heute kritisieren?
Ramadani: Dass man nicht viel wert ist, dass man immer unterwürfig sein muss und dass man nicht zu sprechen hat. Man hat zu gehorchen, egal welcher Mann etwas sagt. Ich habe von klein auf immer gesagt bekommen, dass ich unrein und ein Stück Dreck bin. Dass ich eine Hure und eine Schlampe bin. Dabei war ich nur ein Kind! Man wächst mit dem Gedanken auf, schlecht zu sein. Warum? Nur weil ich ein Mädchen bin?

Sind sie optimistisch, dass Sie unter Muslimen mit Femen ein Umdenken erreichen?
Ramadani: Wenn ich keine Hoffnung mehr hätte, würde ich nicht kämpfen. Natürlich ändert man die islamische Welt nicht von jetzt auf gleich. Erstmal geht es darum, denen die Stirn zu bieten und zu sagen: „So nicht!“ Man darf es nicht noch schlimmer werden lassen!

Von muslimischen Frauen der Gruppe Muslima Pride kam Kritik daran, dass Femen pauschal von einer Unterdrückung der Frauen im Islam sprechen. Die Muslima wollen sich von solchen Bevormundungen durch den westlichen Freiheitsbegriff abgrenzen. Was antworten Sie darauf?
Ramadani: Diese muslimischen Frauen wissen genau, dass es die Unterdrückung der Frau im Islam mehrheitlich gibt. Wieso verdammt noch mal stehen sie nicht auf und kämpfen für ihre unterdrückten und tagtäglich leidenden Schwestern? Ich weiß wie es ist, unter der islamischen Welt leiden zu müssen. Ich habe das Recht, die Frauen von Muslima Pride zu verurteilen und zu bevormunden solange ich ganz genau weiß, dass die Mehrheit der Muslima auf der ganzen Welt unter der Verschleierung und dem islamischen Frauenbild leidet. Wenn es irgendwann auf dieser Welt keine Unterdrückung mehr gibt und ein vernünftiges Frauenbild im Islam, dann können die gerne Schleier tragen und ich höre damit auf.

Anfang 2014 wurden Sie von „TV Total“ parodiert, Stefan Raab ließ im Studio drei Frauen im Femen-Look gegen den ADAC protestieren und dann durch die Security festnehmen. Anschließend Raabs Bemerkung: „Immer diese Femen-Tussis”. Empfanden Sie das als Beleidigung?
Ramadani: (Lacht) Einerseits finde ich es sehr amüsant, weil Raab sich anscheinend mit uns beschäftigt hat. Andererseits finde ich es ganz schön traurig, dass er so etwas machen muss, um seine Show voranzutreiben.

Zeigt das nicht auch, dass jemand wie Raab Ihren Protest gar nicht ernst nimmt?
Ramadani: Das ist okay. Braucht er ja auch nicht! Es geht nicht darum, jeden einzelnen Menschen auf dieser Welt zu erreichen. Wir wollen mit einer Aktion eine Handvoll Menschen auf Probleme aufmerksam machen, mit denen sie sich vorher nie beschäftigt haben.

Wie lässt sich der Erfolg von Femen messen?
Ramadani: Den Erfolg sieht man zum Beispiel in den Kommentaren zu Presseberichten. Zwischen dem ganzen Schrott und den Beleidigungen liest man, dass sich Leute nach einer Aktion plötzlich mit einem Thema auseinandersetzen.

Ein Beispiel?
Ramadani: Nach der Aktion im Finale von „Germany’s Next Topmodel“ habe ich ein ausführliches Live-Interview im Radio gegeben. Daraufhin schrieb mich ein Familienvater an, dessen zwölfjährige Tochter die Sendung schon seit Jahren guckt. Er hätte zwar immer gesagt, sie solle das nicht gucken, aber nach unserer Aktion hat er sich erst wirklich mit ihr zusammengesetzt. Er hatte verstanden, dass durch die Show Werte vermittelt werden, die seiner Tochter wirklich schaden könnten. Den Einzelnen zu erreichen ist ein enormer Erfolg.

Wie stellen Sie sich die Welt nach der erfolgreichen Revolution von Femen vor?
Ramadani: Es gibt in jeglicher Art und Weise Gleichberechtigung, keinen Zwang und kein Leid. Nicht ein Mensch auf dieser Welt wird mehr nach seinem Geschlecht oder seiner sexuellen Orientierung beurteilt. Das sollte nur noch eine Rolle spielen, wenn man entscheidet, wen man im Bett neben sich liegen haben will. Und nicht mehr bei zwischenmenschlichen Beziehungen, im alltäglichen Leben oder im Job. Und was mich selbst betrifft, ich kann mir auch viel schönere Sachen vorstellen, als bei Minusgraden halbnackt auf der Straße zu stehen oder nach jeder Aktion grün und blau nach Hause zu kommen.

Sie werden also in der CDU auch weiter für die Homo-Ehe kämpfen?
Ramadani: Natürlich will ich das. Letztendlich wollen diese Menschen auch nur lieben und akzeptiert werden, wie sie sind. Homosexuelle schaden niemandem mit ihrer Sexualität.

Wie stehen Sie zum neuen Papst? Wird der von Femen verschont? Immerhin ist Franziskus ein bisschen liberaler eingestellt als sein Vorgänger…
Ramadani: Ein „bisschen“? Das ist ja wie ein „bisschen nett“! (Lacht) Natürlich verdient er eine Femen-Aktion, weil es immer noch unglaublich viel Leid in der Kirche gibt. Der Papst könnte ein Machtwort sprechen und etwas ändern. Ein „bisschen liberal“ zu sein, reicht nicht aus! Wir müssten in unserer Gesellschaft als Menschen schon viel weiter sein.

[Das Interview entstand im Mai 2014.]

Via: planet-interview.de


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