Die Oben-ohne-Brigade

Hamburg - Der Mann wird kalt erwischt. Mit dem ersten Schwung schlägt ihm Josephine ins Gesicht, sie trommelt auf seinen Bauch, klopft auf die Rippen. Die 19-Jährige treibt ihren Gegner vor sich her. Und der vergisst zehn, zwanzig Sekunden lang zurückzuschlagen. "Halt sie beschäftigt, Sven!", ruft der Trainer. Josephines Fäuste in Boxhandschuhen schießen durch die Luft, in ihrem Haar sitzt wie angeklebt ein Kranz aus Sonnenblumen. Willkommen beim Boxtraining mit Femen.

Die Oben-ohne-Aktivistinnen sind in Deutschland angekommen. In Hamburg und Berlin haben sich junge Frauen zusammengefunden, um es den Femen-Gründerinnen aus der Ukraine nachzumachen. Die militanten Feministinnen ziehen durch die Herbertstraße auf St. Pauli, protestieren gegen die NPD in Berlin, und kürzlich schrien sie bei der Hannover-Messe auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin ein.

Für solche Aktionen trainieren die selbsternannten "Sextremistinnen" nun bei einem Hamburger Boxverein. "Wir wollen lernen, wie man richtig fällt, wie man schnell Security-Leuten ausweicht", sagt Irina Khanova, eine in Russland geborene Hamburgerin. Auch Passanten hätten die Frauen schon angegriffen. "Wir müssen unsere Message möglichst lange rüberbringen können." Der Trainer nickt. "Der Schmuck muss ab, den Blumenkranz könnt ihr aufbehalten." Es geht los.

Die Mission: der Angriff auf das deutsche Patriarchat.

Das wirft alles ein paar Fragen auf: Was genau ist denn die "Message" der Oben-oben-Brigade? Die Bilder junger schreiender, halbnackter Frauen sorgen für Schlagzeilen, der harsche Ton ("Fuck Islamism") irritiert, das Spiel mit den Medien beherrschen sie perfekt. Ist das der neue Feminismus oder Effekthascherei?

Irina gibt die Kommandos

An diesem Trainingssamstag läuft die PR-Maschine mit. Ein Kamerateam des NDR ist den ganzen Tag dabei, morgens im Fernsehstudio malen sich die sieben jungen Frauen, die meisten sind Studentinnen, gegenseitig ihre Kampfsprüche auf. Josephine Witt, 19, lässt sich "Fuck Dictator" auf die Brüste pinseln, wie kürzlich bei der Putin-Aktion. Hellen, 23, wählt "Woman Spring is Coming", Annes Oberkörper fordert "Destroy Sex Industry". Irina, mit 33 die älteste, gibt Kommandos: Stellt die Beine breiter, die Faust senkrecht in den Himmel, die Blumenkränze parallel zur Kameralinse halten. Auch ein eigener Fotograf hält das alles fest, die Facebook-Seite wird täglich mit neuen Bildern bestückt.

Dann geht es zum Rathausmarkt, dort ziehen sie sich wieder aus und schreien fürs Fernsehen: "Feeeemeeennn!" Auch die Passanten zücken jetzt die Kameras, einige schmunzeln, einer sagt: "Ach, die Ukrainerinnen. Die kämpfen ja für die Frauen dort."

Falsch, lieber Mann, denn jetzt tobt der Femen-Kampf auch in Deutschland. Irina Khanova sagt: "Auch in Deutschland muss das Patriarchat gestürzt werden." Josephine Witt sieht es so: "Wir sind Teil einer weltweiten Bewegung und wollen in Deutschland globale Probleme ansprechen."

"Lächerlich und sinnbefreit", "antisemitisch angehaucht"

Damit haben sie sich schon viel Ärger eingehandelt. Nach einer Aktion vor einer Berliner Moschee im Rahmen des "Topless Jihad Day" warfen ihnen Musliminnen Bevormundung vor. Und nachdem sie auf die Tore der Herbertstraße aus Protest gegen Sexzwangsarbeit "Arbeit macht frei" sprühten, gab es Kopfschütteln im Mainstream und ätzende Kritik aus der feministischen Szene. "Lächerlich und sinnbefreit" seien die Aktionen oder gar "antisemitisch und islamfeindlich angehaucht".

Sie selbst können das nicht verstehen. "Die muslimischen Frauen haben die gleiche Freiheit wie wir verdient", sagt Witt. Der "Topless Jihad" soll weitergehen. Und ja, die Ausbeutung in der Sexindustrie könne man mit der Zwangsarbeit der Nazis vergleichen. Die Philosophiestudentin sagt: "Die Szene führt nur theoretische Diskussionen, wir bringen den Aktivismus zurück."

Das kurze Manifest von Femen hält es so: Das Patriarchat stützt sich auf politische Gewaltherrschaft, Sexindustrie und Religion. Also Putin, Herbertstraße und Moschee.

Und ihre Ideologie pressen sie in einen Facebook-Post: "Weibliche Nacktheit, frei vom patriarchalen System, ist der Totengräber dieses Systems, als ein militantes Manifest und ein sakrales Symbol zur Befreiung der Frauen." Außerdem: Angezogen hört uns niemand zu, so hatte es die ukrainische Gruppe ja zwei Jahre lang versucht, ohne großen Erfolg, seitdem fallen die Hüllen.

Darf nur mitmachen, wer jung und schlank ist?

Sexismusdebatte, Rassismusdebatte, Antisemitismus - bei den Großdiskussionen dieses Jahres waren auch sie immer dabei. Für eine Handvoll Frauen, die provozieren wollen, ist das ist kein schlechtes Ergebnis. Nur dient das alles der Gleichberechtigung?

Ein Vorwurf: Die Aktivistinnen würden sich den herrschenden Schönheitsidealen und der Sexualisierung unterwerfen. In der Tat sind die Gesichter fast ausschließlich junge, schlanke Frauen. Das ist auch Thema innerhalb der Gruppe. Manche fürchten, man schrecke so andere Frauen ab. Irina Khanova betont, älteren Frauen sei das einfach oft zu wild, es dürfe aber jede mitmachen.

Nur schreien muss man können. Nach dem Boxtraining übt Femen noch mal ihre Art des Protests. Eine blaue Turnmatte dient dabei als Kampfplatz mit dem Patriarchat. Josephine stürmt los, erst in dem Moment, wo sie beide Beine fest auf der Matte stehen, reißt sie die Arme hoch und brüllt "Fuck Putin" durch die Sporthalle. So laut, als wolle sie sich bis nach Moskau schreien. Vier andere spielen Security, greifen sie, doch Josephine windet sich, strampelt und wird kein bisschen leiser. Sieben, acht, neun Mal "Fuck Putin" - nach Femen-Standards ist das eine gute Aktion.

Irina lobt, sie wiederholt: Wir müssen unsere Botschaft so lange wie möglich verbreiten. Doch wie lange das mit den Femen-Methoden funktionieren wird, weiß auch sie nicht. "Die Gesellschaft stumpft ab, wir müssen immer stärker provozieren." Aber darüber will sie sich jetzt noch keine Gedanken machen. "So lange es läuft, läuft es."

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Via: spiegel.de


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