FEMENismus – Emanzipation als Pop-Kultur?

"Brüste für Menschenrechte" lautet das gelebte Motto der FEMEN | Foto: FEMEN

Nackte Haut als Protestmittel ist keine neue Erfindung. Von den 1968er Hippies über die FKKler in der DDR bis zu den Tierschützern von PETA – ihnen allen ging es in einer Art revolutionären Geste um gesellschaftlichen Liberalismus und Freiheitlichkeit. Seit einigen Jahren macht die ukrainische Frauenrechtsorganisation FEMEN (dt. Frauen) mit libertinen Nacktaktionen auf sich aufmerksam. Deren Aktivistinnen protestieren oberkörperfrei gegen Wahlbetrug, Korruption und Vetternwirtschaft, Konservativismus, Paternalismus und Machokultur, Sexismus, Prostitution und Ausbeutung, Homophobie, Genitalbeschneidung und Islamismus. Ihr freizügiges Auftreten ist nicht nur ein Zeichen der Selbstbestimmung über den eigenen Körper, sondern auch Ausdruck eines provokanten Deals. Nach dem Motto: „Wenn ihr Brüste wollt, könnt ihr die haben, aber nur, wenn ihr zuhört, was wir zu sagen haben!“

Aus der Taufe gehoben wurde FEMEN in einer Kiewer Kellerbar, wo sich die Frauen dreimal in der Woche trafen. Mit einer Protestaktion unter dem Motto „Die Ukraine ist kein Bordell“ begann im Sommer 2008 der Siegeszug der FEMEN-Aktivistinnen und ihrer provozierenden Auszieh-Proteste. „Unsere Waffen sind blanke Brüste“ heißt es in ihrem Slogan. Und so setzen sie diese auch als Waffen ein, bezeichnen sich selbst als „Sextremistinnen“. Weil es kein Gesetz gibt, das Frauen verbietet, oben ohne auf die Straße zu gehen, protestieren sie in ebendieser medienwirksamen Form. Mit Transparenten allein würden sie nicht wahrgenommen, so das FEMEN-Argument.

Die Funktionalitäten der Medien kennen und nutzen sie in Perfektion. Sie tauchen plötzlich bei politischen, gesellschaftlichen, kulturellen oder sportlichen Großereignissen auf, tragen ihren Protest freizügig vor und lassen sich medienwirksam festnehmen. Wenn keine Kameras in der Nähe sind, dann halten sie die Aktionen selbst fest und stellen sie ins Netz. Aber meist sorgen sie mit provokanten und aufsehenerregenden popkulturellen Aktionen und Forderungen selbst für die mediale Aufmerksamkeit. Im Frühjahr 2010 forderten sie die Frauen der Mitglieder der ukrainischen Regierung auf, ihre Gatten mit einem Sexboykott zu bestrafen, nachdem der neue Ministerpräsident Mykola Asarow gesagt hatte, dass Politik keine Frauensache sei. Gegen den Sextourismus in die Ukraine protestierten die Aktivistinnen während der Fußball-Europameisterschaft unter dem Motto „Fuck Euro“ inmitten der Fans vor den Stadien.

Vom nationalen Protest zur internationalen Bewegung

Die Sextremistinnen wissen, wie sie die Medien für ihre Ziele erobern können: „Oben-ohne-Protest - das ist keine Laune oder Dummheit von uns. Das ist durchdacht. Wir wollen beweisen, dass eine nackte Frau nicht gleich eine Prostituierte ist. Wir wollen zeigen, das Nackte - das entspricht der Freiheit", sagte FEMEN-Gründerin und Frontfrau Anna Hutsol dem Deutschlandfunk.

Die vitruvianische FEMEN-Frau im Rücken | Foto: FEMEN

Vorübergehender Höhepunkt des Aufstiegs im Ranking der internationalen Medienaufmerksamkeit war die Krönung eines Portraits von Inna Schewtschenko, einer der engagiertesten FEMENistinnen, mit dem zweiten Preis beim World Press Foto Award 2012. Zu sehen ist die junge Frau vor einer ukrainischen Neubausiedlung in typischer FEMEN-Pose: geballte Faust, Blumenkranz im Haar, nackter Oberkörper – eine moderne Version von Delacroix’ berühmtem Gemälde der Freiheit, die ihre Kinder in den Kampf führt. Denn Schewtschenko weiß hinter sich das Heer der Internet-Sympathisanten, die eine Zahl von etwa 100.000 erreichen.

Die FEMEN träumen von einer internationalen Bewegung und davon, dass sich bald alle Frauen als FEMEN identifizieren. Auslandsausflüge gehören daher zum Standardrepertoire der öffentlichkeitssüchtigen Aktivistinnen. Die Globalisierung und die damit einhergehende Transparenz der Welt machen sie sich zu nutze und gründen im Stile eines Unternehmens nationale Ableger.

In Paris protestierten FEMEN-Aktivistinnen im freizügigen Zimmermädchenlook vor der Wohnung des ehemaligen IWF-Chefs Dominique Strauß-Kahn, als dieser mit den Vorwürfen der Vergewaltigung einer New Yorker Hotelangestellten konfrontiert war – umringt von einer Armada an Kameras und Objektiven. Im Louvre demonstrierten sie oben ohne gegen den Umgang mit einer mutmaßlich vergewaltigten Tunesierin. In Italien gingen sie barbusig gegen Berlusconis „Bunga-Bunga“-Regime auf die Straße. In der Schweiz machten sie am Rande des Davos-Gipfels auf die kapitalistischen Marktmechanismen aufmerksam, unter denen Frauen besonders zu leiden haben. In Rio de Janeiro protestieren sie schon jetzt gegen den Sextourismus, den der jährliche Karneval und die Fußball-Weltmeisterschaft hervorbringen. Aktionen wie diese brachten sogar die EMMA-Redaktion dazu, die „Power-FEMEN“ auf den Titel ihres Blattes zu heben und zu schwärmen: „Der neue Frauenprotest kommt nicht aus den Metropolen des Westens, sondern aus Kiew in der Ukraine.“

Die Kernbotschaft der FEMEN: "Wir sind anders. Wir sind unterschiedlich. Wir sind viele." | Foto: FEMEN

Im Deutschlandfunk wird Anna Gutsol mit dem Satz, „FEMEN sei konsequent antireligiös und antikirchlich“ zitiert. Entsprechend nimmt FEMEN verstärkt religiöse Dogmen ins Visier. In London nutzten sie die olympischen „Sex-Spiele“, um gegen das Hofieren islamistischer Staaten vorzugehen. In der Ukraine und den Niederlanden fällten sie Holzkreuze mit Kettensägen, um vor dem Hintergrund des Pussy-Riot-Prozesses die Verbindung von Staat und russisch-orthodoxer Kirche in Osteuropa radikal zu kritisieren. Am Flughafen in Kiew stürzte sich eine FEMEN auf den russischen Kirchenpatriarchen Kirill, um gegen den Einfluss der Kirche auf die Politik zu protestieren. In Paris sind sie seit Monaten unter dem Motto „In Gay we trust“ gegen christliche Homophobie aktiv, in Rom störten sie kürzlich das wöchentliche Angelus-Gebet auf dem Petersplatz.

Der radikale FEMEN-Protest schlägt nun in den Metropolen des Westens Wurzeln. Die stärkste FEMEN-Gruppe außerhalb der Ukraine existiert in Frankreich, in dessen Hauptstadt das erste „sextremism training center“ eingerichtet wurde. Dort lernen Aktivistinnen Selbstverteidigungstechniken gegen aggressive Sicherheitskräfte und Gegendemonstranten, üben die typischen FEMEN-Posen und werden im Umgang mit der Presse trainiert. Zuletzt mischten sie die Proteste gegen die Gleichstellung der Homo-Ehe auf und schlugen in der weltberühmten Kathedrale Notre Dame de Paris die Glocken, als Joseph Ratzinger seinen Rücktritt vom Papstamt bekannt gab. Weitere Ausbildungszentren sollen in Montréal, New York und São Paolo errichtet werden.

In der emanzipatorischen Szene wird FEMEN kritisch gesehen

Auch in Berlin soll ein solches Auslandsbüro entstehen. In Deutschland hat FEMEN die Kampagne „Fickt die Sexindustrie! – Der Sexindustriefaschismus des 21sten Jahrhunderts“ gestartet. In Köln marschierten Aktivistinnen vor einem Bordell auf, in Hamburg stürmten sie die Herbertstraße. An das Tor zu Hamburgs berüchtigtster Sex-Meile schrieben sie „Arbeit macht frei“, weil sie Bordelle für „Sex-KZ-Lager für Frauen“ halten. Vielen feministisch Aktiven geht das zu weit. Sie sahen in der Verwendung des Schriftzugs, der über dem Eingangstor des nationalsozialistischen Vernichtungslagers Auschwitz zu lesen ist, und der Verwendung des Hakenkreuzes einen geschichtsvergessenen Vergleich, zumal die Aktion am Tag nach dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz stattgefunden hat. Die Feministinnen von e*vibes aus Dresden schrieben einen offenen Brief, indem sie kritisierten, dass durch die Aktion „Faschismus, Genozid und Holocaust … relativiert und verharmlost“ würden. Mit Nationalfarben und historisch unsensiblen Argumenten bewege sich die Gruppe am rechten Rand, kritisierte die Dresdener Gruppe. FEMEN protestierte derweil in Berlin gegen die NPD.

Auch das Grundprinzip der attraktiven FEMEN, halb nackt zu protestieren, um wahrgenommen zu werden, wird immer wieder kritisiert - vor allem weil Medien inzwischen dazu übergehen, über Protestaktionen nur noch zu berichten, wenn sich Frauen dabei entblößen. Die Journalistin Maxi Leinkauf schrieb im Freitag, dass die FEMENistinnen den Sexismus zwar mit seinen eigenen Waffen schlagen wollten, aber mit ihren Oben-ohne-Aktionen in ihm verhaftet bleiben würden. Dahinter steckt die viel diskutierte Tatsache, dass bei FEMEN vor allem Frauen im Vordergrund stehen, die dem allgemeinen Schönheitsideal 90-60-90 nahekommen. Im Selbstverständnis der Gruppe heißt es auch, dass FEMEN-Aktivisten „moralisch und physisch fitte Soldatinnen“ sind, die über „heiße Brüste, coole Köpfe und saubere Hände“ verfügen. Die e*vibes greifen diese Formulierungen auf und fragen, ob denn FEMEN auch jene sein können, die diesen Normen – wer immer diese definiert – nicht entsprechen? Was sei etwas mit „Trans*menschen“? Eine Antwort steht aus.

Menschenrechte statt Titten versus Brüste für Menschenrechte. Piratinnen protestieren gegen die FEMENisierung der Medien | Foto: Enno Lenze

Andere sehen schon im Kampf gegen die legale Prostitution das falsche Segel gesetzt. taz-Kommentatorin Antje Lang-Lendorff kritisiert das Hauptziel von FEMEN-Deutschland, die legale Prostitution in Deutschland zu zerstören: „Es ist ja gerade eine Errungenschaft von Frauen, dass Prostituierte nicht heimlich und illegal anschaffen müssen, sondern sozialversichert arbeiten können.“

Dennoch fehlt es der feministischen Bewegung in Deutschland – trotz Sexismusdebatte – an Durchschlagskraft. Kann da eine Gruppe wie FEMEN nicht helfen? Die feministische Szene ist skeptisch, den Sextremistinnen gehe es nur darum, selbst im Zentrum zu stehen. Der Streit rund um den Slutwalk 2012, den deutsche FEMEN-Aktivistinnen für ihre Zwecke kaperten, ohne auf die Befindlichkeiten der mitdemonstrierenden feministischen Gruppen Rücksicht zu nehmen, lassen diese These nicht ganz unmöglich erscheinen.

Bleibt zuletzt noch ein Aspekt, der kritische Geister stutzig macht. Über die Hierarchie von FEMEN ist so gut wie nichts bekannt, aber womöglich ist die Organisation, die sich den Kampf für mehr Selbstbestimmung für Frauen und andere unterdrückte Gruppen auf die Fahnen schreibt, viel strenger organisiert, als es unabhängigen Köpfen lieb sein kann. Im Vordergrund stehen bei FEMEN immer dieselben Personen. Während Gründerin und Frontfrau Anna Hutsol kaum noch als Aktivistin auftaucht, stehen Sascha und Inna Schewtschenko, Oksana Schatschko und Julia Kovpachik bei fast allen FEMEN-Protesten in der ersten Reihe. Selbst bei den zwei größten nicht-ukrainischen FEMEN-Gruppen in Frankreich und Deutschland kommen die Ansprechpartnerinnen nicht aus dem jeweiligen Land. In Frankreich zeichnet sich Inna Schwetschenko, in Deutschland Sascha Schewtschenko verantwortlich für den Außenauftritt. Das Vorgehen, das Verhalten und selbst die Posen der Aktivistinnen sind überall die gleichen, als gelte es, in militärischer Disziplin die Corporate Identity der „moralisch und physisch fitten Soldatinnen“ der Ursprungsgeneration zu pflegen.

Wenn FEMEN zukunftsfähig sein will, dann müssen die Gründerinnen dieses elitäre Denken überwinden. Dann gilt es Koalitionen zu knüpfen, Inklusion zu üben und die zerstörerische Wut ihrer Eventaktionen in eine konstruktive Kritik zu verwandeln. Von der medienwirksamen Pop-Kultur bis zur ernstzunehmenden Kulturkritik scheint es aber noch ein langer Weg zu sein. Ob das internationale Franchise-Projekt FEMEN diesen gehen wird, ist im Moment nicht abzusehen.

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Via: diesseits.de


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About FEMEN

The mission of the "FEMEN" movement is to create the most favourable conditions for the young women to join up into a social group with the general idea of the mutual support and social responsibility, helping to reveal the talents of each member of the movement.

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