Tagblatt Online, 7. Oktober 2013, 02:32 Uhr
Sie will provozieren und die Geschlechterrollen aufbrechen. Jetzt hat Sasha Grey, einstiger Pornostar, ihren Débutroman veröffentlicht. Er handelt von sexuellen Abgründen. Als Person stösst Grey die eine oder andere Feministin vor den Kopf.
NINA RUDNICKI
Klar ist es nicht, was einen an Sasha Grey fasziniert. Vielleicht liegt das an ihrem Blick, dunkel, tief, abgründig und abgebrüht, aber auf keinen Fall einschätzbar. Vielleicht sind es Aussagen über die 25-Jährige wie etwa jene im «Spiegel»: «Sasha Grey ist hübsch und clever, eigensinnig und erfolgreich. Und dennoch – oder deswegen – ist sie wohl Alice Schwarzers fleischgewordener Albtraum.» Der «Stern» schrieb: «Sie sagt, sie möge die Filme von Werner Herzog, das Intellektuellen-Kino von Jean-Luc Godard und die Bücher von Hunter S. Thompson. Ausserdem: dreckigen, harten Sex.»
Wild und rebellisch
Sasha Grey galt bereits im Alter von 18 Jahren als eine der erfolgreichsten Newcomerinnen in der Pornoindustrie Hollywoods. Bis sie drei Jahre und einige hundert Filme später der Branche den Rücken kehrte, um als experimentelle Musikerin und Schauspielerin Karriere zu machen. Sie hat mit Regisseuren wie Steven Soderbergh etwa für «The Girlfriend Experience» zusammengearbeitet.
Sasha Grey
(Bild: ap)
Nun ist sie auch Autorin. Ihr Débutroman «The Juliette Society» ist gerade im Heyne-Verlag in den Buchläden erschienen. Das Filmstudio 20th Century Fox hat sich bereits die Rechte gesichert und plant eine Kinoverfilmung. Der Inhalt des Romans scheint skandalös genug zu sein, um den Erfolg zu garantieren. Er handelt von der jungen Filmstudentin Catherine, die auf einen Mann trifft, der sie in eine fremde Welt entführt. Und bald tritt sie der exklusiven Juliette Society bei, einer Geheimgesellschaft, in der sie ihre tiefsten und dunkelsten Sexphantasien auslebt.
Spätestens mit diesem Roman ist Sasha Grey in der Popkultur angekommen. Sie wird als eine Ikone einer neuen jungen Generation von Feministinnen gehandelt, auch weil sie die starren Geschlechterrollen kritisiert. «Wir sind das, was andere in uns sehen. Sie machen uns zu Objekten, und im Gegenzug machen wir uns selbst zum Objekt», schreibt sie etwa in ihrem Fotoband «Neü Sex». Das Buch enthält Selbstporträts von Grey. Bilder, die sie während ihrer Zeit als Pornodarstellerin selbst von sich geknipst hat. Vor dem Dreh, nach dem Dreh oder auf dem Weg zu einem Dreh. Greys Mission ist offensichtlich, Kunst in die Pornographie zu bringen und sich weder von der Gesellschaft noch von Männern etwas vorschreiben zu lassen. Sie schreibt: «Von Natur aus hoffe ich, dass wir Frauen jeden Tag gegen unsere Verdinglichung ankämpfen, egal ob es sich nun um unsere persönliche oder gesellschaftliche Identität handelt.»
Eine Kampfansage
In Sasha Greys Person selbst scheint etwas Widersprüchliches zu liegen. Einerseits ihr zerbrechliches Äusseres, andererseits ihre knallharten Aussagen. Da sitzt sie etwa als 18-Jährige im Studio der amerikanischen Talkmasterin Tyra Banks, um über ihre Erfahrungen in der Erwachsenenindustrie zu sprechen. Mit Äusserungen wie «als einziges Tabu gelte für sie Sex mit Kindern oder Tieren» wirft sie die 15 Jahre ältere Moderatorin aus dem Konzept.
Grey ist eine Frau, die es auf die Spitze treibt. Es ist eine Kampfansage. Aber ist das auch Feminismus? Die Frage scheint berechtigt, denn in Blogs wird über den neuen Feminismus und Sasha Grey diskutiert. Und auch als sie Anfang Woche zusammen mit Karl Lagerfeld im französischen Fernsehen in der Sendung «Le Grand Journal» auftritt, will der Moderator als erstes wissen, ob sie denn nun eine Feministin sei. Eine richtige Antwort darauf hat Grey nicht. Sie redet um die Frage herum. Denn vor allem ist «Grey» wohl auch eine Marke, die sich verkaufen muss.
Sein Tun reflektieren
Mit dem Phänomen Grey hat sich auch Katrin Gottschalk vom Missy Magazine beschäftigt. Die feministische Zeitschrift verbindet nach eigenen Angaben Berichterstattung über Popkultur, Politik und Style mit einer feministischen Haltung. «Das auszuleben, worauf man Lust hat, ist durchaus eine feministische Forderung», sagt Gottschalk. «In Greys Pornos sieht man, dass sie wirklich Spass an Dingen hat, die andere als erniedrigend empfinden würden.» Das alleine sei aber noch keine feministische Haltung, sondern eine sexuelle Vorliebe. Es gehe vor allem darum zu zeigen, wie die weibliche Lust auch sein könne. Hinzu komme aber, dass Sasha Grey eine intelligente, junge Frau sei, die ihr Tun reflektiere.
Nacktheit als Waffe
Laut Dominique Grisard, Historikerin am Zentrum für Gender Studies an der Universität Basel, zeigt ein Blick zurück auf die Anfänge der Frauenbewegung, dass schockierende Darstellungen von Sexualität und Nacktheit schon immer auch zu gesellschaftlichen und politischen Zwecken eingesetzt worden sind. «Nackte Haut oder den Sexualakt öffentlich zu zeigen, das wird nicht selten mit der Befreiung von gesellschaftlichen Fesseln gleichgesetzt», sagt sie. Das gelte gleichermassen für «die BH-Verbrennungen der 1960er-Jahre, die offenherzige Inszenierung von Sex-positiven Aktivistinnen der 1970er und 1980er, bis zu den Post-Porn-Feministinnen heute.»
Nach dem Sex-positiven Feminismus, wie ihn allenfalls Grey an den Tag legt, ist es kein Widerspruch, Feministin zu sein und Pornos gut zu finden. Diese Meinung stösst aber die eine oder andere Aktivistin vor den Kopf. Dass Pornographie die Frauen abwerte, ist ein Standpunkt, den etwa die Femen-Aktivistinnen vertreten. Auch wenn dies nicht ganz einleuchten mag, zumal sich die Femen stets medienwirksam nackt inszenieren. Inna Schewtschenko, eine bekannte Aktivistin der ukrainischen Femen sagte kürzlich in einem Arte-Beitrag: «Ich bin nackt, weil ich eine Feministin bin. Wir müssen neue und radikalere Wege finden, die zeigen, dass es eine neue Feminismus-Generation gibt. Setzt euren Körper, eure Nacktheit als Waffe ein. Denn niemand spricht zu Frauen, aber jeder schaut sie gerne an.» Diese Strategie, mit der sie für die Stellung der Frau kämpfen, nennen die Femen «Sextremismus».
Ohne Tiefgang
Der Unterschied liegt laut Gender-Expertin Grisard darin, dass das Phänomen der Femen nicht per se sexuell anreize. Im Unterschied zur Pornographie, die ja gerade sexuell erregen solle. Aber ob pro- oder antipornographisch, gemeinsam ist dem jungen Feminismus, dass er wieder grundsätzliche Fragen wie etwa jene nach den Machtverhältnissen stellt. Es geht darum, nicht einfach hinzunehmen, dass jemand über andere bestimmt. Und zumindest ist Sasha Grey eine Person, die das überschreitet, was die Gesellschaft als normal erachtet.
Das soll aber nicht davon ablenken, dass es sich beim Buch «The Juliette Society» inhaltlich um nicht viel mehr als erotisches Geschreibe handelt. Die Figuren entwickeln keine Tiefe und auch die Geschichte bleibt äusserst flach. In Erinnerung bleibt höchstens ein Satz: «Die Handlung dient immer den Figuren.» Sasha Grey sagt: «Das Entscheidende ist, wie wir uns selbst neu definieren, denn erst das erlaubt es uns, frei zu sein. Oder werden wir Frauen aufgrund des Blicks etwa ewig der Doppelmoral ausgesetzt sein?»
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Via: tagblatt.ch
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