Lieber Herr Thadeusz,

wofür würden Sie sich aus Protest ausziehen? Anders als die Femen-Frauen können Männer mit ihrer Nacktheit Angst und Schrecken verbreiten. Anmerkungen zu einem Selbstversuch.

Wir können, was die Femen-Frauen nicht vermögen. „Wir“ sind Männer mit einer durchschnittlichen körperlichen Beschaffenheit. Kein Werber käme auf die Idee, uns zu fragen, wenn sich ein Männerkörper mit größtmöglicher Knusprigkeit auf einem Fels räkeln soll. Wie seinerzeit in der Parfum-Werbung. Mit diesem von einer wüsten Gischt umtosten Jüngling. Wir wissen, was sich gehört. Deswegen halten wir unseren Körper züchtig bedeckt. Wer wissen will, was sich andernfalls ereignet, muss nur einen Blick auf Fußballtribünen werfen, wenn die Temperaturen über 15 Grad steigen. Oder im englischen Fall über sieben Grad. Dann wackeln die wilden Wampen. Kopfschüttelnd fragen wir uns dann, wie sich Frauen überhaupt für Männer interessieren können. Oder manche Männer für die Vertreter des eigenen Geschlechts.

An der Siegessäule protestieren Femen-Aktivistinnen am Mittwoch (19.06.2013) mit nacktem Oberkörper gegen den Besuch von US-Präsident Barack Obama.

Foto: REUTERS


Wir können, anders als die Femen-Frauen, mit unserer Nacktheit Angst und Schrecken verbreiten. Jedenfalls würde Vladimir Putin das Grinsen vergehen, wenn ich eine Gruppe anderer Mittvierziger zusammentrommelte, um gemeinsam blankzuziehen. Einmal gucken reicht und er findet sich im Dickicht bedrohlich wuchernder Körperhaarwälder wieder. Wellen und Dellen bekäme der Macho-Russe zu Gesicht. Dabei ist es ja nicht so, als hätten wir die Botschaft nicht vernommen, die uns „BrigitteSternSpiegelBunte“ spätestens im Frühling alljährlich entgegenblöken: Ja, wir essen Salat. Ja, wir bewegen uns. Ja, wir trainieren. Deswegen sehe ich aber nicht David Beckhams Ebenbild, sobald ich in einem Unterhemd vor dem Spiegel stehe.

Femen-Aktivistinnen stören am Donnerstag in Berlin das Produzentenfest 2013. Insgesamt vier Frauen rissen sich die T-Shirts von ihren bemalten Oberkörpern und skandierten Protestrufe, als Bundeskanzlerin Merkel (CDU) auf dem blauen Teppich am Spreeufer vor dem Haus der Kulturen der Welt erschien.

Foto: dpa


Stattdessen sehe ich Gründe, mir über meine hoffentlich erheblichen inneren Werte Gedanken zu machen. Anderen geht es nicht anders. Vor Jahren in der Sammelumkleide eines Fitnessstudios wurde mir klar, dass wir keine Chance auf Anmut haben. Immer wenn sich die Tür öffnete, kam ein Mann herein, der zuvor Gewicht in der Größenordnung eines Kleinlasters nur mit seiner Körperkraft bewegt hatte. Die Arme geschwollen, der Schultergürtel noch vor Belastung zitternd. Alles fest, hart, stark. Seiner Schniepelhaftigkeit entkam aber trotzdem keiner. Anders als Frauen sind wir eben nicht vollkommen geformt. Etwas ist über, der Herr hat uns was hingehängt. Tatsächlich habe ich mich schon für den guten Zweck entkleidet. Gemeinsam mit anderen Männern. Zu Ehren des runden Geburtstags einer Freundin. Um ihr zu versichern, dass wir immer alles für sie geben würden. Beim Betrachten trat in ihr Gesicht ein Ausdruck, mit dem Besucher einer Foto-Ausstellung über den Kosovo-Konflikt Mitgefühl zeigen.

Ich weiß, dass wir in Sachen Eisenbahn in der Post-Kritik-Phase sind. Erduldendes Verständnis heißt das Gefühl der Stunde. „Riesige logistische Leistung“, „Jeden Tag so viele Kunden, wie die Lufthansa im gesamten Jahr innerdeutsch fliegt“, „Unternehmen meines Vaters und Großvaters“, murmle ich üblicherweise mein Mantra. Dennoch stand ich kürzlich auf einem Bahnsteig und begann zu brodeln, während die Automatenstimme die Verspätung weiter hochzählte. Da wäre mir nach Nackt-Protest zumute gewesen. Zumal es bei Femen „Sextremismus“ heißt. Ein in vielerlei Hinsicht nötiger Begriff. Habe mich aber doch nicht getraut. Sondern stattdessen nur im Mutter-und-Kind-Abteil mit freiem Oberkörper eine geraucht.

Jörg Thadeusz, RBB-Moderator

Via: berliner-zeitung.de


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