Sie will ihren richtigen Namen nicht nennen, ebenso wenig will sie etwas über die nächsten geplanten Aktionen verraten. Wie viele Mitglieder die Frauenrechtsorganisation Femen in Deutschland hat, will die junge Aktivistin, die unter dem Pseudonym Freya Victoria auftritt, auch erst nicht sagen. Zu viel Information, die vielleicht besser nicht in andere Hände geraten sollte, sagt sie. Dann aber lässt sie sich auf eine Zahl festlegen. 20 bis 30 aktive Mitglieder vertreten hierzulande die Organisation, Hunderte Unterstützer helfen im Hintergrund - ideologisch und mit Sachspenden.
Freya Victoria ist Teil einer Frauenrechtsorganisation, die 2008 in der Ukraine entstanden ist und sich seither vor allem in Europa ausbreitet. Vier Frauen hatten es satt, beim Fußweg durch Kiew von Männern belästigt zu werden und als Frauen nicht die gleichen Rechte wie Männer zu haben. Sie gründeten die erste feministische Bewegung der Ukraine. Und merkten bald, dass ihnen niemand zuhörte. Sie brauchten Aufmerksamkeit. Aus dem Protest im Bikini wurde bald die Demonstration mit nacktem Oberkörper. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die die Bewegung genießt, hat seitdem viel mit dem Anblick von Brüsten zu tun. Und mit dem Anblick von halbnackten Frauen, die von Polizisten festgehalten, zu Boden gedrückt und weggetragen werden. Es hat viel mit nackter Haut zu tun, auf der Protestschriftzüge prangen, mit wütend erhobenen Fäusten und grimmigen Gesichtern.
Wenn die Aktivistinnen in Rom gegen das Frauenbild eines Berlusconi protestieren, wenn sie in Paris Strauss-Kahn angehen, auf der Roten Meile von Köln gegen die Sexindustrie vorgehen oder wenn sie sich vor dem Reichstag fotografieren lassen, dient das alles einem Zweck: Dem Kampf gegen politische Willkür, Patriarchat und die Sexindustrie - dem Kampf gegen Unterdrückung.
Und damit, so Freya Victoria, sei Unterdrückung jeder Art gemeint. Geht es um die Ziele von Femen, wird die 23-Jährige gesprächig. Sie erzählt, dass die grimmigen Mienen Methode sind. Sie sollen verhindern, dass die Nacktheit der Frauen als süß, als sexy gedeutet wird. "Wir sind keineswegs nur süße, hübsche Frauen", sagt Viktoria. Die Auseinandersetzung mit der Polizei, die gebrüllten Botschaften, die furchtlos ausgestellten Brüste sollen Stärke demonstrieren. Aber warum dieser Protest ohne Oberteil? Freya Victoria hat gleich mehrere Antworten. "Aufmerksamkeit" ist ihre erste. Dann erklärt sie, dass es auch eine Form der Unterdrückung sei, die Brust immer verstecken zu müssen, während die Brustwarze des Mannes nicht sexualisiert werde. Und schiebt noch hinterher: "Wir greifen das Bild der halbnackten verfügbaren Frau an. Frauen sind keine sexuell reizenden Objekte." Angst, gerade durch die öffentliche Nacktheit zum Objekt degradiert zu werden, hat sie nicht. "Als Frau wird man in unserer Gesellschaft andauernd zum Objekt gemacht. Wir provozieren das. Die Leute, die Frauen zu Objekten degradieren, wollen wir vor den Kopf stoßen." Eine der Galionsfiguren der Bewegung, Inna Schewtschenko, erklärt die Brüste ganz zum Instrument: "Wir nutzen unsere Brüste, um die Demokratie zu testen. Je härter die Reaktion des Staates, desto schlechter sein Zustand", sagte sie einmal.
Doch funktioniert das auf Dauer? Experten sind skeptisch, vor allem, weil diese Protestform in Westeuropa längst nicht so subversiv wirkt wie in der konservativ geprägten Ukraine. Schließlich gab es in Deutschland schon in der 60er-Jahren Frauen, die sich bei den Studentenprotesten entblößt haben. "Bei den Studierendenprotesten in Berlin 2003 sind Menschen im November nackt in die Spree gesprungen", erzählt Konfliktforscher Dieter Rucht. "Es gibt immer wieder irgendwelche Leute, die sich ausziehen." Solch provokativen Akte seien zunächst Hingucker, dann komme aber eine Art Inflations- oder Gewöhnungseffekt. Auch bei Demonstrationen gelte der Grundsatz: "Alles, was sich wiederholt, wird auf Dauer langweilig." Und ein nackter Busen funktioniere als Mittel der Aufmerksamkeitsgewinnung nicht lange.
Außerdem sei diese Protestform eine Gratwanderung. Es sei schwer zu beantworten, "ob das ein gutes Transportmittel ist für eine vielleicht vernünftige Botschaft oder ob das umgekehrt so ist, dass man nicht mehr über die Botschaften spricht, sondern nur noch über die Äußerlichkeiten", sagt Rucht. Die Gefahr bestehe, dass die Bilder von den Aktivistinnen nur nach ästhetischen Maßstäben angesehen würden. "Oder man bekommt Beifall von der falschen Seite, dass voyeuristische Männer sagen, ,nur weiter so'."
Femen will provozieren. Doch als Schewtschenko im vergangenen August ein sechs Meter hohes Kreuz mit einer Kettensäge zerstörte, war das selbst einigen wohlwollenden Beobachtern zu viel. Religiöse Menschen sahen ihre Gefühle verletzt. Freya Victoria sieht darin kein Problem. "Wir verletzen nur die Gefühle von Menschen, die fanatisch sind", sagt sie. Man wolle Religionsgemeinschaften provozieren, um zu einem toleranten Glauben anzuleiten. Und bei einigen der Kritisierten bleibt es nicht beim verbalen Widerspruch, die Aktivistinnen wurden unter anderem in Paris verprügelt. Dabei wurde einer Frau die Nase gebrochen, einer anderen ein Zahn ausgeschlagen. Schewtschenko war auch schon in Haft, wurde dabei nach eigenen Aussagen gefoltert und unbekleidet im Wald ausgesetzt.
Die Botschaft und der Widerstand dagegen machen Femen zu einer Organisation mutiger Frauen. Doch hat die Bewegung eine Chance auf Nachhaltigkeit? Konfliktforscher Rucht ist sich nicht sicher. Er rät den Aktivistinnen, nur selten und gezielt Aktionen zu starten. Außerdem müsse sich die Organisation "Bündnispartner suchen, die die Forderungen auch jenseits des Straßenspektakels umsetzen und mit Druck versehen können. Man braucht mehr Masse." Auf diese Masse hofft auch Freya Victoria. "Wir wachsen sehr schnell", sagt sie. Und "Es wird weitergehen und wir werden etwas bewegen."
Via: moz.de
Short link: Copy - http://whoel.se/~wcNU7$2B5