Sextremismus – Die Femen-Frauen in Basel

Sextremismus - Die Femen-Frauen in Basel

17.05.2014, 02:50Uhr


Sie fallen durch körperbemalte, blumengeschmückte, barbusige Manifestationen auf. Sie rufen zu Aktionen gegen Korruption, gegen Missstände in der Sex-Industrie und gegen die Machtfreundlickeit der Kirche auf.

Am Filmfestival von Venedig erschien im letzen Sommer ihre Geschichte in neuem Licht. Plötzlich war in einem Dokumentarfilm von der Feministin Kitty Green von einem Mann als Strippenzieher der Polit-Stripperinnen die Rede. Von einem geschickten Schachzug wollten andere wissen. Im Winter standen die Frauen – ohne Mann - auf der Seite der Protestierenden auf dem Majdan-Platz in Kiew. Und auch dort liessen sie sich niemandem vereinnahmen. Heute sind die Frauen wieder ganz unter sich: Ihre Botschaften sind simpel, und auch auf T-Shirts, Taschen  und Tassen erhältlich.

Sind sie bloss ein modisches Protest-Label? Was steckt mehr hinter den jungen Frauen, die von Alt-Feministinnen belächelt, von Sozialisten kaum ernst genommen, von den Medien gehätschelt werden? Drei von Ihnen, Oksana, Jana und Sascha sind mit dem Schweizer Filmemacher Alain Margot am Samstag-Abend in Basel mit dem Film «Femen – mit Leib und Seele» zu Gast. Ab nächster Woche läuft der Dokumentar-Film im Kult-Kino-Programm. Hansjörg Betschart traf die Frauen in Zürich, nach einer - mit Standing Ovation- begleiteten Vorpremière im Kino Riff-Raff.

Oksana , Sie haben sich einen lateinischen Namen gegeben?

Femen ist das lateinische Wort für Schenkel. Weibliche Schenkel, als Ort, in dem das Leben schlummert, ist ein Bild, ohne weitergehende symbolische Bedeutung.

Dennoch erinnert es an das süditalienische «Femmene», an die Anfänge der Frauenbewegung im Süden  ...

Ja.

Sie leben zur Zeit in Paris. Wird Femen zu einem Sammelbecken für junge Frauen im Widerstand? .

In Frankreich unterstützen uns auch viele traditionelle Feministinnen, Frauen die seit sechzig Jahren für die Rechte der Frau kämpfen.

Sie operieren mit weiblicher Nacktheit? Ausgerechnet! Ruft das nicht die Feministinnen auf den Plan? Was sagen Sie zu ihren Aktionen?

Viele verstehen sehr wohl, dass wir auf eigene Art für ein neues Selbstbewusstsein um den weiblichen Körper kämpfen. Uns geht es nicht um Macht. Nicht um die Deutungshoheit von Weiblichkeit. Uns geht es um die Öffnung des Bewusstseins. Der weibliche Körper wird in der Politik, der Religion und im Business missbraucht.

In der Ukraine wurden sie eingekerkert. Wie lange glauben Sie, können Sie nicht mehr in die Ukraine zurück?

In der Ukraine sind wir in Lebensgefahr. Man würde uns verschleppen und ich hätte Angst um unser Leben. Der russische Geheimdienst ist überall. Er hat die Entwicklung des politischen Systems seit Jahren genau im Blick.

Haben Sie versucht in der Schweiz Asyl zu beantragen?

Anna kam zuerst in der Schweiz, weil sie in der Schweiz Verwandte hat. Wir leben aber jetzt in Paris und versuchen unsere Arbeit dort fortzusetzen. In Frankreich gibt es bereits eine Gruppe von Femen-Frauen. Da gab es eine Gruppierung von Frauen aus Nordafrika, die mit uns Kontakt aufnahmen. Wir fühlen uns wohl da. Die Repressalien in der Ukraine haben sich in den letzten drei Jahren systematisch verschärft. Die letzten Hemmschwellen der physischen Gewalt scheinen dort gefallen zu sein.

Gibt es in Ihrer Heimat eine organisierte Gegenbewegung?

Kaum. Neben Janukowitsch gibt es viele andere Figuren. Sie alle sehen sich als Gegenbewegung: Schewtschenko, Michail Dobkin, Oleg Tjagnibok, Julia Timoschenko das sind Namen. Sie stehen für die eine oder andere Gruppe von Oligarchen und Clans. Nach Janukowitsch folgen andere: Die Gesichter wurden ausgetauscht. Die Oligarchen sind geblieben. Wir haben keine legitimen Organisationen oder Parteien, die das Volk vertreten würden.

Gibt es im Parlament überhaupt Frauen?

Ich kenne keine, aber, ja, es gibt sie. Vielleicht fünf Prozent. Aber sie gehören zu den Kreisen der Oligarchen, Nichten, Schwägerinnen. Timoschenko ist die einzige Frau unter den Oligarchen. Sie herrscht über einen Energiekonzern.

Was verbirgt sich hinter Namen wie Sergei Kurtschenko (dessen Genfer Konten gesperrt wurden), Petro Poroschenko, Rinat Achmetow, Ihor Kolomoisky?

Es stecken ganz unterschiedliche Interessengruppen dahinter, aber keine demokratischen Organisationen: Diese Oligarchen sind alle innerhalb von zwanzig Jahren zu fabulösen Finanz-Imperien gelangt.  Z.B. Durch Schokolade...   

Wie wird man in der Ukraine mit Schokolade zum Milliardär? Soweit ich weiss, gehört der Kakao-Anbau nicht wirklich zum Ukrainischen Kerngeschäft ...  

Das Geld stammt wohl aus anderen Quellen. Aber mit dem Monopol auf sämtliche im Land verkauften Süssigkeiten lässt in der Ukraine üppig Geld verdienen. Und ein Monopol ist mit Korruption leicht aufrechtzuerhalten. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden die Staatsbetriebe an Clans verteilt. Damals war für ein paar wenige Geschäftsleute fast alles möglich. Das Volksvermögen wurde praktisch verschenkt.

Wieso haben sich die Menschen auf dem Majdan erst so spät gewehrt?

Das Volk kennt seit dem Zerfall der Sowjetunion kaum eine legitime Form von Willensäusserung. Es kennt keine demokratischen Abläufe. Es wird lange dauern, bis die demokratischen Prozesse in unserem Land wieder in Gang kommen.

Wer steht am Sonntag zur Wahl? Wer vertritt da die demokratischen Kräfte des Volkes?

Sie dürfen hinter dem Parlament in der Ukraine nicht eine Politik verstehen, wie man sie im Westen kennt: Es stecken unzählige Organisationen hinter den Vertretern, die als Günstlinge Business-Interessen vertreten. Das Land ist weithin von der Korruption gelähmt. Wir haben keine Tradition des Protestes.

Sind Sie in eine Bresche gesprungen?

Unsere Bewegung hat andere Protest-Quellen. Wenn Sie den Ruf der ukrainischen Frauen im Westen kennen, wissen Sie, wogegen wir kämpfen. Unsere Frauen sind verzweifelt. Viele sind gezwungen ihre Körper zu verkaufen. Das tun sie auch im Westen. Also nutzen wir unsere Körper, um darauf aufmerksam zu machen. Das ist nur eine kleiner Teil des Protestes.

Also haben auf dem Majdan gar keine Organisationen zusammengearbeitet?

Das ist alles in den Anfängen. Auch die Organisationen der Frauen. Frauen werden in unserem Land nahezu versklavt. Vergewaltigungen werden nicht geahndet. Die Arbeitslosigkeit ist immens. Wir sind am Anfang. Wir haben noch keine seriösen politischen Leader. Wir kennen nur Günstlinge der Oligarchen.

Führt dieser erste Schritt nicht in Richtung Demokratie?

In einer Woche sind Wahlen. Nach Janukowitsch folgen vielleicht Timoschenko, oder andere. Aber das sind Figuren der alten Oligarchen. Klitschko ist da auch nur einer der Sprecher einer elitären Minderheit. Die Menschen sind nicht gewohnt, Wahlen nach Inhalten zu entscheiden. Sie haben nur die Wahl von Köpfen im Kopf. Aber neue Gesichter machen kein neues Denken: Die Clans sind sich alle sehr ähnlich. Und in einem sind sie gleich: Sie vertreten nicht die Interessen des Volkes.

Heisst das Spaltung nach der Wahl?

Das Volk will keine Spaltung. Es will  auch nicht russisch werden. Als Land kann die Ukraine eine eigene demokratische Tradition entwickeln. Aber nicht unter der Vormundschaft von Putin, nicht in seinem Clan-System. Auch der Westen ist nicht wirklich an den Wünschen des Volkes orientiert: Der Westen will bloss Putin zurück binden.

Sie waren vor kurzem noch in Donezk? Was hören Sie von dort?

Im Moment ist eine Rückkehr nicht zu denken. Wenn aus Donezk eine freie Republik Donezk wird, dann wird Putin sich diesen Teil schnappen. Das wird für die Ukrainer bedeuten, dass sie auswandern müssen. Meine Familie wird dann, wie es in der Krim passiert ist, fliehen müssen.

Fürchten Sie um das Leben ihrer Familie?

Unsere Leben wären gewiss in Gefahr. Wir sind in den letzten drei Jahren systematisch ausspioniert worden. Mit jeder Verhaftung haben sich die Haftbedingungen für unserer Frauen verschärft. Ich fange auch an, mir Sorgen um das Leben meiner Eltern zu machen. Es kann vieles rasch viel schlimmer werden.

Ihre Handgelenke sind gebrochen ...

Ich bin Malerin. Ich kann den Pinsel wieder in der Hand halten. Ich werde jetzt mit einer Metallplatte im Handgelenk leben müssen. Ich bin froh dass ich lebe und male wieder.

Oksana lächelt eher scheu, als sie das sagt, und lacht auch erleichtert als Sascha hinzufügt: Sie piepst immer! Wenn wir einen Laden mit Diebstahlsicherung verlassen, dann ist das etwas schrill! Aber damit kann sie leben!

Sie malen wieder Ikonen?

Ich trainiere wieder, ja. Ich male für Freunde. Ikonen sind ein Geschäft. Ich habe Priester erlebt, die wollten für zwei bezahlte Ikonen eine dritte geschenkt. Kunst ist ein Geschäft wie jedes andere –. Ich suche eher nach einer anderen Freiheit.

In der Kunst oder der Politik?

Es gibt in der Kunst die Suche nach der Wahrheit. Ich suche nach einem Weg für den Ausdruck dieser Wahrheit. Unsere Körper sind, wie die aller Körper der Frauen der Ukraine, nicht nur Ware für das internationale Geschäft im Menschenhandel. Sie sind auch Ausdruck unseres Selbstbewusstsein. Wir malen uns an. Wir ziehen uns aus. Das gefällt nicht allen. Das provoziert viele. Vor allem jene, gegen die wir uns richten: Religion, Politik und Korruption. 

In einem der stillen Aufnahmen im Film stehen Sie im Louvre vor dem Gemälde von Delacroix von Marianne -  der Ikone der französischen Barrikadenkämpferin. Auch sie ist barbusig. Ist ihre Kunst nicht einfach nur Politik?

Politik und Kunst trenne ich nicht. Wir nutzen den medialen Aspekt der Kunst. Es ist der einzige politische Aspekt der Kunst. Politik bestimmt eben alle Bereiche des Lebens. Selbst jene Menschen in der Ukraine, die sich als nicht politisch empfinden, werden zur Zeit von der Politik eingeholt. Politik holt irgendwann alle ein. Spätestens in der Folter. Wir betreiben eigentlich nur Kunst. Aber wir holen damit die Politik zurück in die Medien. Die Politik blockiert alle Diskurse in der Ukraine. Sie hat die Menschen in der Ukraine unpolitisch gemacht. Der Protest war ein Anfang. Doch jetzt schlägt die Reaktion zurück. Jetzt herrscht erst einmal die Willkür.  

Haben Sie politische Sympathisanten?

Wir erhalten von keiner Seite unverhohlenes Lob. Wir setzen unsere Sexualität ein, wir nennen uns «Sextremistinnen». Das verlangt viel Liberalität. Unsere Frauen kommen aus ganz unterschiedlichen Richtungen: Ich bin christlich erzogen. Ich habe als Ikonenmalerin gemerkt, dass die Männer der Kirche  Aber wir sind nicht Feministinnen, die sich wie Männer kleiden.

Gibt es bei «Femen» auch Männer?

Wir arbeiten in der Ukraine nur mit Frauen.

Aber Wiktor Swjazki war doch ganz zu Beginn in Euern Reihen?

Die Zusammenarbeit ist beendet. Er spielt keine Rolle mehr. Es gab einen Dokumentarfilm, der für Verwirrung sorgte. Da wurde vor allem in Deutschland, viel aufgebauscht. Wir ecken mit unserer Arbeit an. Da wird auch viel falsche Information über uns verbreitet. Aber wir haben viele Sympathisanten. In Frankreich sind es vor allem junge Linke, Frauen. Man hat uns in Frankreich politisches Asyl gewährt. Nicht in der Schweiz.

Welche Politiker unterstützten Sie?

Keine. Wir wollen ausserhalb dieser blockierten Diskurse bleiben.

Wie geht es weiter?

Wir bauen in Frankreich die «Femen» aus. Es melden sich nach dem Film viele junge Frauen bei uns. Auch aus der Schweiz. Das ist ein Anfang. Der «Sextremismus» wird vielleicht eine freier verstandene Form von Feminismus.

 

Am Samstag stehen Alain Margaut und drei der Gründerinnen von Femen im Atelier in Basel bei einer Vorpremière Red und Antwort.

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Via: tageswoche.ch


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The mission of the "FEMEN" movement is to create the most favourable conditions for the young women to join up into a social group with the general idea of the mutual support and social responsibility, helping to reveal the talents of each member of the movement.

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