Diskriminierung und Kunst

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Kein Platz für neue Ideen

Die ukrainische Schönheit als Exportgut, von Heiratsvermittlung zu Prostitution und Menschenhandel - gerade anlässlich der kommenden Fußball-EM in Polen und in der Ukraine werden diese "Frauen-Themen" in westlichen Medien oft thematisiert.

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Foto aus der Serie "Room of my own" von Yevgenia Belorusets

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Foto aus der Serie "Room of my own" von Yevgenia Belorusets

Anna Soucek

Mit ihren Auftritten schaffen es die barbusigen Aktivistinnen der Femen-Gruppe auf die Deckblätter der ausländischen Zeitungen. In der Ukraine gibt es jedoch eine feministische Bewegung, die weniger schrill auftritt. Getragen wird sie von Kulturschaffenden, Frauen wie Männern, die keine Modelmaße haben, aber Visionen. Die Kuratorin Natalya Tchermarlykh engagiert sich in der Gruppe "Feministische Offensive": "Warum ich Feministin bin? Als Frau werde ich täglich mit der Diskriminierung konfrontiert. Ich bin alleinerziehende Mutter eines kleinen Buben, das ist nicht einfach. Geringere Bezahlung und Berufschancen, veraltete Rollenaufteilungen - all das sind Gründe, warum ich Feministin bin."

Ein Zimmer für sich allein

Natalya hat einen Workshop für Kultur-Arbeiterinnen organisiert und zuletzt eine Foto-Ausstellung über queere Lebensformen für das Visual Culture Research Center kuratiert. Feministinnen und Queer-Aktivisten, findet sie, sollten an einem Strang ziehen. Alle unterdrückten Gruppen sollten sich zusammenschließen zu einer politischen Bewegung.

In der Ausstellung waren Fotografien der Künstlerin und Kritikerin Yevgenia Belorusets zu sehen, die schwule, lesbische oder Transgender-Menschen in ihrem Alltag und ihrer Lebensumgebung zeigen. Der Titel "A room of my own" spielt an auf Virginia Woolfs Buch "Ein Zimmer für sich allein", ein Schlüsselwerk des Feminismus von 1929. "Früher bedeutete ein eigenes Zimmer Emanzipation - in diesem Zusammenhang ist es wie ein Gefängnis, in das ausgegrenzte Menschen verbannt werden", sagt Yevgenia Belorusets. Es ist ein sehr behutsamer, unvoreingenommener Blick auf diskriminierte Menschen, der ihre Fotoserie "A room of my own" kennzeichnet.

Altes Denken

Mit "diesen Bedingungen" meint die Künstlerin die Homophobie, die in der Ukraine herrscht. In der Sowjetunion war Homosexualität strafbar. Diese Gesetze wurden mit der Eigenständigkeit der Ukraine aufgehoben, doch alte Feindbilder halten sich hartnäckig. Außerdem sind Homosexuelle gesetzlich vor Übergriffen nicht geschützt. Rechte Parteien haben das Thema für sich gepachtet und hetzen gegen die Schwulen, die - so lautet ein besonders absurdes Argument - für die demographische Krise verantwortlich gemacht werden.

Vergangenen Sonntag hätte die erste Gay-Pride-Parade in der Ukraine stattfinden sollen - sie wurde von den Veranstaltern im letzten Moment abgesagt, da kein ausreichender polizeilicher Schutz vor den zu erwartenden Angreifern gewährleistet werden konnte. Von der Polizei ist in solchen Fällen keine Hilfe zu erwarten, sagt Yevgenia Belorusets.

Gewalttätige Übergriffe

Zwei Tage nach dem Interview mit Belorusets hat eine Gruppe Rechtsradikaler ihre Ausstellung überfallen - der vorsorglich angeheuerte Sicherheitsmann konnte die Zerstörung der Kunstwerke nicht verhindern.

Institutionen, also nicht nur Ausstellungshäuser, sondern auch Bildungseinrichtungen, greifen solch brisante Themen lieber nicht auf - aus Angst vor Angriffen, Zensur und anderen Unannehmlichkeiten. Diese ganze Palette hat das Visual Culture Research Center in Kiew erlebt, das an der Kiew-Mohyla Akademie als Forschungsstelle zu visueller Kunst gegründet wurde. Im Winter wurde eine Podiumsdiskussion von Rechtsradikalen gestürmt, die Teilnehmer verprügelten und Gasbomben warfen, erzählt der Kulturtheoretiker Vasyl Cherepanyn: "Die Veranstaltung musste abgebrochen werden, und wir hatten danach eine Menge Ärger mit der Polizei und der Verwaltung der Universität. Der Vorfall veranschaulicht auch, wie bei uns die Opfer-Täter-Logik funktioniert: Man warf uns vor, die Angriffe verschuldet zu haben, weil wir uns mit solchen heiklen Themen beschäftigen. Ihr seid schuldig, weil Ihr angegriffen wurdet. So wird argumentiert."

"Keine Kunst, sondern Scheiße"

Vasyl Cherepanyn leitet das Visual Culture Research Center, das gerade im Gebäude des Schovten-Kinos in der Innenstadt von Kiew untergebracht ist - übergangsweise. Im April wurde das Center von der Akademie rausgeworfen, nachdem eine kontroversielle Ausstellung verboten worden war. Der Rektor persönlich veranlasste die Schließung mit den Worten, das sei keine Ausstellung, sondern Scheiße. Vasyl Cherepanyn erinnert die Wortwahl an die Kampagnen der Nazis gegen sogenannte "Entartete Kunst".

Auslöser des Konflikts war eine Ausstellung mit dem Titel "Der ukrainische Körper", die den Körper als Sinnbild für die Gesellschaft hernahm. Für Vasyl Cherepanyn war es die wichtigste Ausstellung, die das Visual Culture Research Center je gemacht hat. "Es sagt viel über den Zustand der Gesellschaft aus, dass Themen wie Körper und Sexualität solche Irritationen hervorrufen, dass sie die Rechten für ihre Hetze instrumentalisieren und konservative Teile der Bevölkerung ablehnend reagieren. Der Körper ist offenbar ein ideologisch besetztes Thema. Der Körper, das ist etwas, was nur Dir gehört und unantastbar ist, der Körper bist Du selbst. Es ist für manche Menschen offenbar unvorstellbar, darüber eine Debatte zuzulassen", so Cherepanyn. Dabei, meint er, sei die Ausstellung harmlos gewesen, geradezu unschuldig, und zu wenig radikal für seinen Geschmack.

Gefährliche Situation für die Freiheit der Kunst

Dass die Ausstellung und schließlich auch das Visual Culture Research Center durch die Akademie, die als beste Universität des Landes gilt, geschlossen wurde, rief internationale Reaktionen hervor. Zu den Intellektuellen, die dem Center ihre Unterstützung aussprachen, gehören Slavoj Zizek und Judith Butler.

Auch der Kurator David Elliott, der die erste Kiew-Biennale leitet, kritisiert das Vorgehen der Akademie: "Wir gehen davon aus, dass die Meinungsfreiheit gilt, auch für die Kunst, und diese Maßnahme setzte sich unübersehbar darüber hinweg. Noch dazu in einem recht ausfälligen Tonfall, der an totalitäres Vokabular erinnert - das war zu billig. Ich fand die Ausstellung nicht großartig, aber die Kunst als 'Scheiße' zu bezeichnen, ging zu weit; das war aggressiv und unnötig. Für die Gruppe rund um das Visual Culture Research Center bedeutet das vielleicht nichts Schlechtes, es gibt ihnen den Anstoß, sich selbst zu überdenken. Das ist noch kein Weltuntergang."

Ganz so einfach ist es nicht, denn das Visual Culture Research Center ist die einzige Institution ihrer Art in der ganzen Ukraine. "Ich sehe die Situation hier als potenziell gefährlich für die Kunst", sagt Belorusets.

Ein Zimmer für alle

Die Künstlerin Yevgenya Belorusets, die auch das kritische Online-Kultur-Magazine "PROstory" mitgegründet hat, stellt eine konkrete Forderung: Die freie Kunstszene braucht einen Raum, in dem experimentiert und diskutiert werden kann. Unabhängig und ohne Zensur. "Es sollte ein staatlicher Raum sein, an dem nicht das Label eines Oligarchen klebt. Der Staat gehört uns, wir sind die Bürger. Der Staat ist zwar entfremdet, wir fühlen es jeden Tag. Aber er soll uns gehören. Und so ein Platz für die Kunst würde mit Recht von uns benutzt."

Im neu eröffneten Kulturareal Arsenale etwa gibt es genug Platz, meint Belorusets. Doch sie glaube nicht, dass das Visual Culture Research Center hier unterkommen wird. Zu groß ist die Angst, dass etwas geschieht, dass - wie in der Vergangenheit - Künstler unbequeme Aussagen machen.

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Text:
Anna Soucek

·

24.05.2012

Via: oe1.orf.at


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