Fortschritt für die Frauenbewegung oder Feuer auf verbrannte Erde?
+++Pro: Starke Bilder, auf die wir nicht verzichten können
Die Bilder von den nackten Frauen von Femen bringen Abwechslung in die feministische Protestkultur. Auch wenn die SlutWalks in eine ähnliche Kerbe schlagen, fühlt frau sich in Anbetracht der Bilder von den Femen Protesten doch nochmal anders. Sie gehen in die Magengrube, sie treffen die BetrachterInnen ganz unmittelbar.
Mit dem blanken Busen von jungen, schlanken Frauen samt wallendem blondem Haar dürfte das allerdings wenig zu tun haben. Denn Körper wie diese sehen wir praktisch überall. Doch was diese sich ansonsten räkelnden oder Hintern und Busen herausstreckenden Körper tun, bricht gänzlich mit den Sehgewohnheiten: Sie schreien laute Parolen gegen Gewalt gegen Frauen etwa, halten Schilder hoch, knien mit nackten Beinen auf dem kalten Asphalt und kämpfen im wahrsten Sinne des Wortes. Und im körperlichsten Sinne des Wortes. Die nackten Frauen werden von PolizistInnen über den Asphalt gezerrt werden, die Gesichter auf den Asphalt gedrückt, am Rande stehen nicht schockierte PassantInnen, sondern Männer, die sich - hihi - sichtlich darüber freuen, eine nackte Frau live auf der Straße zu sehen.
Gewalt und Häme
Szenen wie diese schockieren, vor allem wenn man sich vor Augen hält, warum es zu dieser Gewalt und zu dieser Häme kommt: Ein paar Frauen demonstrieren für Dinge, die eigentlich Common Sense sind: Demokratie, Gewaltfreiheit und Chancengleichheit, eigentlich nichts Besonderes. Und sie tun das mit einem Auftritt, den wir auch mehr als gewohnt sind: Als Sexobjekte. Die Kombination aber ist neu, und beabsichtigt, das Spiel umzudrehen: Nicht nackte Frauen werden instrumentalisiert, sondern nackte Frauen instrumentalisieren Medien für ihre Zwecke.
Mag sein, dass sich der Nackt-Protest damit der Marktlogik der Medien anpasst, mag sein, dass er gierigere Blicke bedient - er zeigt aber deutlich den katastrophalen Status Quo: Dass einfache politische Forderungen noch immer Polizeigewalt auf den Plan rufen - wie in der Ukraine - und dass in Ländern, die zwar diese Proteste zulassen und sich daher für fortschrittlicher halten, am Straßenrand Männer stehen, die beim Anblick von Brüsten dümmlich grinsen, oder Kameraleute blöde Witze reißen. Hier überschneiden sich Welten, die sich bei anderen feministischen Protesten nicht mal annähernd berühren - und darin liegt eine große Chance. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 13.3.2012)
---Contra: Verbrannte Erde
Es ist kein Geheimnis, dass sich die Medienwelt für nackte Haut - vor allem von Frauen - interessiert. Diese Obsession für die eigenen politischen Zwecke zu nutzen ist legitim, birgt aber doch auch viele Gefahren.
Zum einen ist es so, dass durch Nacktprotest ja hauptsächlich Medienmechanismen zur Schau gestellt werden. Darüber darf und kann man staunen wie über einen brennenden Weihnachtsbaum, aber mit nachhaltiger Bewusstseinsarbeit hat dies nichts zu tun. Es wäre doch einmal interessant zu erforschen, wie viele Menschen, denen die Gruppe Femen ein Begriff ist, auch wissen, wofür oder wogegen sie eigentlich protestieren. Ich fürchte, es sind sehr viele weniger.
Was dann übrig bleibt, leitet gleich zum nächsten Punkt weiter: Frauen nackt zu zeigen, ist Teil einer westlich-globalen Symbolwelt über "Weiblichkeit". Es hat sich tief in unser kulturelles Bewusstsein eingegraben und der Nacktprotest reproduziert diese Logik: Frauen sind primär Körper und verschaffen sich nur über diesen Aufmerksamkeit.
Der Nacktprotest ist, mit Verlaub, eine feministische Sackgasse. Es zeigt sich fortwährend und an neuen Stellen, dass Sexualität und Nacktheit im öffentlichen Raum eben nicht "unversehrt" bleibt. Wie viele Prominente, die weibliche Sexualität vordergründig selbstbewusst zur Schau stellen, leiden in Wirklichkeit an Essstörungen oder anderen psychischen Störungen? Wie viele Medien-RezipientInnen reagieren auf die dominanten Körperrepräsentationen mit einem gestörten Körperbild?
Nacktheit ist für feministisches Engagement in Massenmedien (wohlgemerkt!) verbrannte Erde, ganz einfach weil die Lesarten und damit die Effekte derzeit nicht auseinander gehalten werden können. Anders ausgedrückt: Wenn man die Produktion von "schädlichen Normen" als Problem erkannt hat, können sie von Feministinnen auch nicht schadlos verwendet werden. (Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 13.3.2012)
Via: diestandard.at
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